@WurstsatenVorab noch einmal zum Begriff des Zufalls:
Du übersiehst erstens, dass der Begriff "Zufall" weitaus älter ist als Stochastik und Wahrscheinlichkeitstheorie, davor war "Zufall" ein rein
qualitatives Konzept. Zweitens entspricht er gerade im Alltag und im Verständnis der meisten Menschen eben
nicht dem wohldefinierten stochastischen Begriff aus Naturwissenschaft und Mathematik. "Zufall" ist in erster Linie erst einmal nur ein semantischer Platzhalter, der je nach Kontext und subjektiver Interpretation mit den unterschiedlichsten Konzepten gefüllt wird. Häufig fungiert er entsprechend auch einfach nur als bloßer
Lückenbüßer, wenn die kausalen Mechanismen oder Umstände eines Ereignisses unbekannt oder zu komplex sind, ähnlich wie
"das war halt Schicksal" oder
"das passierte einfach so (zufällig)". Wer etwa sagt
"mein Computer ist zufällig abgestürzt" oder
"das Leben entstand eben durch Zufall", liefert damit keine Erklärung, sondern lediglich eine Schein-Erklärung, indem er dem Ganzen das Etikett "Zufall" aufklebt. Deshalb suggerieren auch Aussagen a la "die Entstehung des Lebens ist dem reinen Zufall zu verdanken" vieles - nur nicht, dass uns ein konkretes Wahrscheinlichkeitsmodell vorliegt, aus dem sich die Entstehung von Leben explizit berechnen ließe.
Zum Gesagten im Detail:
Wurstsaten schrieb:Du erklärst großspurig, Abiogenese geschehe „nicht aus Zufall“ – ohne jeden Beleg.
Da könntest du im Prinzip auch genauso gut unterstellen, ich würde großspurig erklären, Abiogenese geschehe
"nicht durch Gott oder schicksalhafte Fügung verursacht" - ohne jeden Beleg. Solange die tatsächlichen kausalen Mechanismen nicht bekannt sind, kann man natürlich
immer behaupten, dahinter stecke Gott, schicksalhafte Fügung oder bloßer Zufall (und wer etwas anderes behauptet, habe das dann gefälligst zu belegen).
Oder anders ausgedrückt: Zu belegen, dass kein Zufall vorliegt, ist logisch äquivalent dazu, Zufall zu widerlegen - und dass sich der Lückenbüßer-Zufall letztendlich eigentlich genauso wenig widerlegen lässt wie der Lückenbüßer-Gott, hatte ich wiederum bereits angemerkt:
Noumenon schrieb:Man kann den Lückenbüßer-Zufall streng genommen genauso wenig widerlegen wie den Lückenbüßer-Gott.
Allerdings: Logische Gleichrangigkeit bedeutet nicht erkenntnistheoretische Gleichwertigkeit. Ockhams Messer bevorzugt die Erklärung, die mit weniger Zusatzannahmen auskommt und mit den etablierten physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten vereinbar ist.
Und wer nun etwa behauptet, Abiogenese sei das Ergebnis von "bloßem Zufall" - also ohne jegliche kausalen Mechanismen - muss zusätzlich annehmen, dass ausgerechnet hier keine der in der Natur sonst allgegenwärtigen Gesetzmäßigkeiten wirksam gewesen sind (etwa die der Thermodynamik, Reaktionskinetik, Selbstorganisation, Autokatalyse, dissipativer Strukturen oder Polymerisationsprozesse). Diese Behauptung ist intellektuell billig und unredlich: Sie verlangt keine Modelle, keine Hypothesen, keine Belege, nur die bequeme Formel
"ist halt zufällig passiert".
Demgegenüber stützt sich die Annahme, dass die Abiogenese aus einem Zusammenspiel kausaler physikalisch-chemischer Mechanismen hervorging, auf jahrzehntelange Forschung, zahlreiche Hypothesen, experimentelle Nachweise und theoretische Arbeiten. Und damit ist sie im naturalistischen Weltbild nicht nur sparsamer und plausibler, sondern vor allem auch um ein Vielfaches substanzieller als die plumpe Zufallshypothese, für die abseits eines
argumentum ad ignorantiam a la
"wir wissen es nicht so genau, es könnte auch Zufall gewesen sein" nun einmal nichts spricht.
Wurstsaten schrieb:Aber du baust daraus immer wieder Strohmänner, um naturwissenschaftliche Modelle zu diskreditieren, die Zufall lediglich als Teilaspekt begreifen.
Nö, DAS ist ein Strohmann. Nirgends habe ich irgendwelche naturwissenschaftliche Modelle diskreditiert, sondern die Begriffsverwendung von "Zufall" in einem spezifischen weltanschaulichen Kontext kritisiert, wo unterstellt wird, dass die Entstehung von Leben dem bloßen Zufall zu verdanken sei.
Wurstsaten schrieb:Wenn du Mechanismen wie Autokatalyse und Hydrothermalquellen heute anerkennst, widersprichst du damit deiner eigenen Rhetorik, die Zufall zuvor als „Etikett“ abgetan hat. Erst „Lückenbüßer“, jetzt „habe ich immer schon gesagt“ – das ist schlicht inkonsistent.
Wo genau widerspreche ich mir? Genannte (und weitere) Mechanismen haben wenig mit bloßem Zufall bei der Entstehung von Leben zu tun, sondern bieten klare kausale Mechanismen.
Wurstsaten schrieb:Und das „Märchen Ursuppe + Zufall = erste Zelle“ ist ebenfalls ein reiner Popanz.
Nö, das ist kein Popanz, sondern entspricht nachweislich weit verbreiteten Mythen über die Entstehung des Lebens.