Ich will nun nicht nur noch Krihsnamurti posten, aber es ist so interessant!
:D Er benennt das Universelle, stellt heraus was hier ohnehin schon so vielen klar IST.
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http://www.jkrishnamurti.de/LdG09-1.364.0.html (Archiv-Version vom 01.09.2013)Das Ende der Angst – Teil 1
Pupul Jayakar (PJ): Ich würde bei diesem Gespräch gerne so mit dir sprechen, als stellte ich dir zum allerersten Mal eine Frage. Ich leide, und da ich in meinem Leid gefangen bin, frage ich nach dem Weg, der aus diesem Leid heraus führt. Du hast einmal den Weg der Selbsterkenntnis als Ausgangspunkt des Forschens bezeichnet, und deshalb frage ich dich: »Wo fängt man an. Was ist der Ausgangspunkt des Forschens?«
J. Krishnamurti (K): Zunächst müssen wir verstehen, dass alle Probleme miteinander in Beziehung stehen. Es gibt kein einzelnes Problem, das unabhängig von anderen Problemen existiert. Sie sind alle eng miteinander verknüpft, und wenn wir ein Problem direkt und tief greifend lösen oder verstehen könnten, hätten wir tatsächlich alle Probleme gelöst.
PJ: Ich bin ein einfacher Mensch. Ich weiß nicht, was es heißt, tief genug zu schürfen, um ein Problem zu lösen.
K: Nehmen wir die Angst als Beispiel, denn alle Menschen kennen sie. Ob du im Westen oder im Mittleren Osten, im Fernen Osten oder in Indien lebst, du wirst feststellen, dass Angst ein Grundproblem des Menschen ist. Und es ist ihm bis heute nicht gelungen, dieses Problem zu lösen. Seit Jahrtausenden schleppt der Mensch es mit sich herum. Um dieses Problem, um die Angst, verstehen zu können – die unseren Geist und unser Herz verkrüppelt und unser Handeln lähmt –, müssen wir uns zuerst darüber im Klaren sein, wie wir dieses Problem angehen wollen.
PJ: Was meinst du mit ›angehen‹?
K: ›Angehen‹ bedeutet ›nahe kommen‹, ›damit in Kontakt kommen‹, ›ganz, ganz nahe sein‹ …
PJ: Wie kommt man einem Problem wie der Angst nahe? Angst taucht auf, und wir wollen instinktiv weglaufen, uns davon entfernen, sie unterdrücken, alles tun, um sie zu meiden. Aber du sagst: »Komm ihr nahe.«
K: Ja, komm ihr nahe.
PJ: Was bringt diese Nähe mit sich?
K: Zunächst einmal ist es völlig sinnlos, vor ihr davonzulaufen. Du flüchtest dich vielleicht in Gottesdienste, Gebete, alle möglichen Formen der Unterhaltung – so genannte religiöse und auch andere. Aber wenn all das vorbei ist, wenn die Gebete verklungen sind, stehst du wieder da, wo du vorher warst. Die Angst ist immer noch da. Du hast das Problem nicht wirklich gelöst. Es hat also keinen Sinn, vor der Angst zu fliehen. Das ist der erste Punkt.
PJ: Wenn man ihr nicht entkommen kann, muss man erkennen, auf welche Weise man vor ihr wegläuft.
K: Natürlich; man muss wissen, auf welche Weise man flüchtet.
PJ: Um zu sehen, auf welche Weise man flüchtet, muss man das beobachten.
K: Ja, zuerst muss man die Angst beobachten.
PJ: Wie beobachtet man die Angst, und wo beobachtet man sie?
K: Ist diese Angst von dir getrennt – ist sie irgendetwas dort draußen, das gar nichts mit dir zu tun hat – oder bist du diese Angst? Angst ist nicht etwas anderes als du, Pupul, du bist Angst.
PJ: Angst existiert nicht außerhalb von uns; sie ist für uns etwas Inneres.
K: Genau.
PJ: Wir betrachten uns als von dem getrennt, was in uns aufsteigt.
K: Das ist das eigentliche Problem: dass wir mit unseren Reaktionen immer so umgehen, als wären sie etwas anderes als wir – die Beobachter.
PJ: Du bringst es auf eine Ebene, wenn ich das sagen darf, wo ich den Kontakt zu dir verloren habe.
K: In Ordnung. Wir wollen ganz langsam vorangehen, Schritt für Schritt.
PJ: Ja.
K: Schauen wir uns die Sache genau an. Ich habe beispielsweise Angst.
PJ: Ja, so viele verschiedene Ängste.
K: Nein, Pupul, die Erscheinungsformen meiner Angst können sich ändern, aber Angst ist …
PJ: Angst ist ein schrecklicher Vorgang, der einen innerlich schrumpfen lässt. Und nun sagst du: »Beobachte das, schau es dir an.« Aber ich kann nicht schauen, wenn mich die Angst im Griff hat.
K: Oh doch, das kannst du. Wenn Angst hoch kommt, dann schau sie dir an, verstehe sie. Erforsche sie und finde heraus, was die Ursache ist.
PJ: Kann man forschen, wenn man voller Angst ist?
K: Oh, ja. Es erfordert allerdings Aufmerksamkeit, eine gewisse Wachheit. Schau, ich nehme meine Umgebung bewusst wahr; ich bin mir der Größe dieses Raumes bewusst.
PJ: Ja.
K: Ich kann dies und jenes darüber sagen, etwa dass er hässlich oder nicht gut proportioniert ist, aber ich nehme ihn bewusst wahr.
PJ: Ja.
K: Genauso kann ich mir auch meiner Angst bewusst sein. Ich habe Angst, ich könnte sterben. Ich habe Angst davor, meine Arbeitsstelle zu verlieren. Ich habe Angst vor etwas, das jetzt oder in der Vergangenheit geschehen ist. Ich habe Angst vor etwas, das in der Zukunft geschehen könnte.
PJ: Wenn du sagst, dass ich mir der Angst bewusst sein kann, dann kann ich mir ihrer als verbale Feststellung bewusst sein.
K: Nein, nein, nein. Pupul, das ist …
PJ: Ja, ich kann mir ihrer auch als eines inneren Zustands bewusst sein.
K: Sie ist ein Teil von mir!
PJ: Wenn du sagst, dass sie ein Teil von mir ist, verstehe ich das nicht. Aber ich kann mir der inneren Anzeichen der Angst bewusst werden. Ich nehme also meine äußere Umgebung und
Das Ende der Angst – Teil 2
PJ: (Fortsetzung) Wir sprechen über ›Gewahrsein‹, darüber, wie man der Angst ›nahe kommt‹. Kann man der Angst nahe kommen und die inneren Vorgänge bewusst wahrnehmen – das eigene Innere, wo die Angst spürbar ist? Wenn ja, taucht die Frage auf, wer die Person ist, welche die Angst beobachtet.
K: Ja, Pupul. Nimm an, du hast Kopfschmerzen … diese Kopfschmerzen sind ein Teil von dir.
PJ: Ja.
K: Wenn du wütend bist, ist das ein Teil von dir, wenn du neidisch bist, ist das auch ein Teil von dir.
PJ: Ja.
K: Und wenn du Angst hast, ist sie ebenfalls ein Teil von dir, du bist nicht von der Angst getrennt.
PJ: Nein, wenn ich Kopfschmerzen habe, kann ich mich mit meinen Kopfschmerzen beobachten, aber wenn Angst da ist – wenn ich Angst habe – kann ich mich nicht im Zustand der Angst beobachten.
K: Schau, ich bin mir bewusst, dass ich Kopfschmerzen habe; ich bin mir bewusst, dass ich Hunger habe.
PJ: Ja.
K: Ich bin mir auch bewusst, dass ich habgierig bin. Dieses Gewahrsein weist mich darauf hin, dass Habgier ein Teil von mir ist, es weist darauf hin, dass sie nicht etwas außerhalb von mir ist.
PJ: Nein, das ist sie nicht.
K: Also bin ich die Angst.
PJ: Ja.
K: Und jetzt fragen wir: Ist es möglich, diese Angst zu beobachten?
PJ: Ja, das ist wirklich die Frage.
K: Das ist die eigentliche Frage, ja.
PJ: Kann man die Angst beobachten?
K: Ja.
PJ: Wenn du davon sprichst, die Angst zu ›beobachten‹, meinst du damit, sie wirklich zu sehen?
K: Schließlich kennst du alle Anzeichen der Angst.
PJ: Ja, ich kenne die Anzeichen der Angst …
K: Warte. Du kennst alle Anzeichen und vielleicht auch die Ursache der Angst.
PJ: Ja.
K: Vielleicht kennst du auch die Reaktion auf die Ursache und weißt, dass diese Reaktion als ›Angst‹ bezeichnet wird – die ein Teil von dir ist.
PJ: Ja.
K: Aber unglücklicherweise sagst du auf Grund deiner Tradition, deiner Erziehung und so weiter: »Ich bin nicht die Angst. Ich bin die Beobachterin. Die Angst ist etwas anderes als ich.«
PJ: Unsere ganze Erziehung ist darauf ausgerichtet, mit etwas fertig zu werden.
K: Ja.
PJ: Wir versuchen, mit Problemen fertig zu werden, und genauso gehen wir mit der Angst um.
K: Ja, du gehst mit der Angst um, als wäre sie ein Problem außerhalb von dir.
PJ: Nein, selbst im Hinblick auf ein inneres Problem … Weißt du, ich befasse mich damit – das bedeutet, dass eine Abgrenzung stattfindet; was wiederum bedeutet, dass ich mir vorstelle, von diesem Problem getrennt zu sein.
K: Genau. So sind wir erzogen worden. Unsere Tradition, unser gewohnheitsmäßiges Denken ist: Ich kann auf die Angst ›einwirken‹ – und das bedeutet, dass man sich von ihr abtrennt.
PJ: Ja, Tradition und Erziehung machen mich glauben, dass ich etwas anderes bin als die Angst.
K: Aber wir haben gerade anerkannt, dass wir die Angst sind. Ich bin Angst.
PJ: Nein, Angst ist Ausdruck einer der Aspekte des ›Ich‹.
K: Des ›Ich‹, ja. Angst, Gewalt, Schmerz, Einsamkeit, Verzweiflung, Depression, Unsicherheit, die vielen Überzeugungen, Zweifel – all das ist Teil von mir.
PJ: Ja, und du sagst: »Beobachte das.«
K: Beobachte es ohne die Erinnerung an frühere Ängste. Beobachte es so, als würdest du es zum ersten Mal anschauen. Das ist die Schwierigkeit.
PJ: Zu beobachten, als sähe man etwas zum ersten Mal – das ist unmöglich. Es ist nicht möglich, weil mit meiner Beobachtung alle Erinnerungen an frühere Erfahrungen und Beobachtungen verbunden sind.
K: Das stimmt.
PJ: Ich beobachte durch die Brille dieser Erinnerungen.
K: Genau das sage ich doch. Diese Erinnerungen an das Vergangene machen den Beobachter aus. Und du beobachtest die Angst, als wäre sie etwas anderes als du. Wir haben festgestellt, dass Angst, Habgier, Neid, Glauben, Einsamkeit, Schmerz – dass wir all das sind. Ich bin nicht von diesen Dingen getrennt. Daraus bestehe ich.
PJ: Ja. Aber es bleibt auf der Vorstellungsebene.
K: Das ist die Schwierigkeit. Wir sind nicht darin geübt, einfach nur zu beobachten, sondern darin, aus allem, was wir beobachten, eine Vorstellung, einen verallgemeinernden Begriff zu machen. Und mit diesem abstrakten Begriff schauen wir auf die Wirklichkeit.
PJ: Würdest du mir sagen, ›wie‹ man schaut?
K: Wie betrachtest du einen Baum – das erstaunlichste Ding auf Erden? Wie schaust du einen Baum an?
PJ: Nun, mein Blick fällt auf den Baum … und geht achtlos an ihm vorbei oder ruht längere Zeit auf ihm.
K: Er – der Baum – geht nicht achtlos an uns vorbei, wir gehen an ihm vorbei.
PJ: Ja, mein Blick geht achtlos an ihm vorbei, wenn ich nicht an ihm interessiert bin oder wenn ich es bin, ruhen meine Augen auf ihm …
K: Du schaust ihn an. Zuerst betrachtest du ihn beiläufig und nennst das, was du siehst ›Baum‹. Dann sagst du, dass dieser Baum zu einer bestimmten Art, einer bestimmten Familie gehört. Aber bereits, als du ihn ›Baum‹ genannt hast, Pupul, hast du aufgehört, ihn anzuschauen.
PJ: Deshalb sagst du …
K: Ich sage, dass das Benennen die Beobachtung beeinträchtigt.
Das Ende der Angst – Teil 3
PJ: Wie kann man beobachten, ohne dass das Wort die Beobachtung beeinträchtigt?
K: Um das herauszufinden, müssen wir uns anschauen, auf welche Weise wir in Worten gefangen sind. Wir müssen untersuchen, wie unser Geist, unser Gehirn, mit Worten umgeht.
PJ: Darf ich dich nun fragen, ob der Geist die Grundlage des Beobachtens ist?
K: Das hängt ganz davon ab, was du mit ›beobachten‹ meinst. Beobachten kann etwas sehr Oberflächliches sein. Wenn das Beobachten wirklich Bedeutung hat, wenn es in die Tiefe geht, dann gibt es keine Worte.
PJ: Aber lass mich zuerst mit Worten beginnen, weil …
K: Natürlich.
PJ: Was wir beobachten müssen, ist die Tiefe des Geistes.
K: Wir sprechen über Angst
PJ: Wie sie sich in der Tiefe des Geistes regt.
K: Nein, sie ist Teil des Geistes.
PJ: Also ist die Beobachtung …
K: Es geht um die Beobachtung des Geistes, der all die charakteristischen Merkmale, all die anderen Eigenschaften aufweist …
PJ: Ja. Wenn also die Angst verschwindet, taucht die Wut auf oder ein Bedürfnis …
K: Und so weiter und so weiter. Wie wir bereits gesagt haben, stehen sie alle miteinander in Beziehung.
PJ: Sie stehen miteinander in Beziehung, aber der Vorgang des Beobachtens …
K: Der Vorgang des Beobachtens steht nicht damit in Beziehung.
PJ: Deshalb ist das Beobachten der Grundlage des Geistes …
K: Nein – ich würde nicht das Wort ›Grundlage‹ benutzen. Es geht darum, die Beschaffenheit des Geistes zu beobachten, die Angst ist und all diese anderen Dinge.
PJ: Ich würde das noch nicht einmal einordnen.
K: Um so besser.
PJ: Man beobachtet also den Geist.
K: Man beobachtet die Aktivitäten des Geistes.
PJ: Ja, man beobachtet die Aktivitäten des Geistes. Und ich habe festgestellt, dass der Geist beim Beobachten ruhiger wird.
K: Natürlich.
PJ: Wenn also ein bestimmtes Verlangen auftaucht und man dieses Verlangen beobachtet, dann hört es auch auf; aber dafür tauchen andere Dinge auf.
K: Ja, eines nach dem anderen.
PJ: Geht man dann zu dem Verlangen zurück, das gerade aufgehört hat, oder schaut man sich die nächste Sache an, die aufgetaucht ist?
K: Lass uns langsam vorangehen. Nehmen wir also an, ich beobachte Verlangen – ja? Aber während ich das beobachte, ist mein Geist, mein Gehirn, nicht ganz bei der Sache, es verfolgt einen anderen Gedanken, der auftaucht. Es tauchen ja ständig Gedanken auf.
PJ: Ja.
K: Mein Geist folgt also einem anderen Impuls, es ist eine ständige Bewegung.
PJ: Ja.
K: Jetzt will ich die Angst verstehen.
PJ: Ja.
K: Alle mit Angst verbundenen Reaktionen tauchen auf – Unterdrückung, Analyse, Flucht.
PJ: Ja.
K: Nun ist es sehr schwierig, einem Faktor der Angst völlige Aufmerksamkeit zu widmen, ohne davon abzuweichen.
PJ: Ja.
K: Das bedeutet, dass der Beobachter – der die Vergangenheit ist – beim Beobachten abwesend ist.
PJ: Ja, aber ich würde hier gerne einmal einen Moment innehalten, weil das genau der Punkt ist, wo es schwierig wird. Ich werde der Angst in mir gewahr, aber wenn ich sie mir dann anschaue, hat sie sich schon wieder verändert und ein neuer Gedanke kommt mir in den Sinn. Meine Frage lautet also: Sollte das Gewahrsein wieder zu dem zurückkehren, was gerade da war – in diesem Fall die Angst –, oder sollte es bei dem bleiben, was aufgetaucht ist?
K: Bleibe bei dem, was dann aufgetaucht ist.
PJ: Deshalb bewegt sich die Aufmerksamkeit – ich will hier nicht das Wort ›Geist‹ benutzen – ständig von einer Sache zur nächsten.
K: Ja, sie bewegt sich von einer Sache zur nächsten – die alle miteinander in Beziehung stehen.
PJ: Sie bewegt sich von einer Sache zur nächsten, weil das Gewahrsein wie ein Licht ist …
K: Ja, ja.
PJ: Und man schaut sich immer das an, was gerade auftaucht. Die Schwierigkeit dabei ist – da ja Angst die Sache ist, die es zu untersuchen gilt –, dass man, wenn etwas anderes auftaucht, das Gefühl hat, man müsse zur Angst zurückkehren.
K: Weißt du, eines unserer Probleme besteht darin, dass wir immer eine schnelle Antwort wollen. »Ich habe Angst, sag mir also, wie ich sie schnell loswerden kann.« Das ist alles. Wir sind so ungeduldig. Wo Ungeduld herrscht, ist Zeit im Spiel. Wo Geduld ist, gibt es keine Zeit.
Ich will also das Wesen der Angst verstehen. Während ich mir die Angst anschaue, taucht ein anderer Gedanke auf, und ich folge diesem anderen Gedanken, nicht der Angst.
PJ: Ja.
K: Ich verfolge den anderen Gedanken; ich untersuche, was ihn ausgelöst hat, und so weiter. So verfolge ich jeden auftauchenden Gedanken.
PJ: Ja.
K: Aber letztendlich kehre ich zu diesem Punkt zurück – nämlich zur Angst.
PJ: Weil das Auftauchen dieser verschiedenen Gedanken mit der Angst in Zusammenhang steht.
K: Deshalb bist du wieder am selben Punkt.
PJ: Ja, aber man kehrt nicht absichtlich zurück.
K: Nein; natürlich nicht.
PJ: Aber wenn diese Dinge – die Erscheinungsformen verschiedener Dinge – auftauchen oder ins Bewusstsein dringen …
K: Ja, und indem du ihnen nachgehst, indem du sie beobachtest …
PJ: Hören sie auf.
K: Ja, das stimmt, sie lassen nach. Es ist wie Ebbe und Flut, ein Auf und Ab.
Das Ende der Angst – Teil 4
PJ: Das ist also die ganze Kunst des Beobachtens.
K: Ja. Es geht darum, ohne jeden Widerstand zu beobachten. Die Gedanken, die nacheinander auftauchen, sind eine Form des Widerstands gegen die Angst.
PJ: Ja.
K: Kannst du ohne Widerstand beobachten? Und wenn du die verschiedenen Gedanken beobachtest und untersuchst, wie sie im Bewusstsein auftauchen, lösen sie sich auf und du bist wieder am Ausgangspunkt. Auf diese Weise gibt es keinen Widerstand, keine Vermeidung und keine Flucht vor der Realität der Angst.
PJ: Ich greife jetzt ein anderes Thema auf – eines, das eng mit dem vorhergehenden zusammenhängt, nämlich das Thema ›wiedererkennen‹ und ›benennen‹. Denn was unsere Beobachtung beeinträchtigt, ist das unmittelbare Wiedererkennen und Benennen dessen, ›was ist‹ oder was auftaucht.
K: Ja, das ist das eigentliche Problem. Lass uns bitte einen Augenblick dabei bleiben. Das ist das wirkliche Problem. Der Vorgang des Wiedererkennens ist die Erinnerung an vergangene Angsterlebnisse, die im Gehirn aufgezeichnet wurden.
PJ: Ja.
K: Das heißt, wenn eine neue Reaktion – eine Reaktion, die wir in diesem Fall als ›Angst‹ bezeichnet haben – auftaucht, sagt das Gehirn sofort: »Ja, dieses Gefühl hatte ich schon einmal.« Der Vorgang des Wiedererkennens setzt also sofort ein.
Nun geht es darum, die Wirklichkeit, die vor uns steht – die Wirklichkeit, die wir sind – ganz genau zu sehen und zu beobachten, ohne jede Erinnerung an vergangene Erlebnisse. Das bedeutet, dass man, wenn die Erinnerung an vergangene Angsterlebnisse zeitweilig außer Kraft gesetzt ist, die Angst so betrachtet, als sähe man sie zum ersten Mal.
PJ: Löscht dieses Beobachten, bei dem die Vergangenheit zeitweilig außer Kraft gesetzt ist, die Angst aus?
K: Ja. Wir sagen, dass das Beobachten ohne den Beobachter – denn der Beobachter ist das Produkt unzähliger Erinnerungen, sozusagen ein Konglomerat des Vergangenen –, dass das reine Beobachten, das Feuer der Angst wirklich vollkommen löscht.
PJ: Du sprichst von dieser äußerst wichtigen Angelegenheit, vom Beobachten ohne den Beobachter, als wäre es die einfachste Sache der Welt.
K: Ja, es klingt sehr einfach.
PJ: Aber in Wirklichkeit ist es das nicht.
K: Natürlich nicht.
PJ: Denn beim Beobachten wird die Vergangenheit zu einer Flut, die uns überrollt.
K: Weil wir daran gewöhnt sind. Es ist unsere Angewohnheit, unsere Tradition, unsere Erziehung.
PJ: Du sprichst davon, sich der Angst ›zu nähern‹, und deshalb möchte ich dich fragen, ob es einen bestimmen Weg gibt, auf dem man …
K: Genau; das ist es. Es gibt einen Weg, auf dem man sich der Angst nähern kann. Nicht die Angst ist das Wesentliche, sondern die Art und Weise, wie man sich ihr nähert.
PJ: Und das ist das Beobachten ohne Beobachter.
K: Warte, warte, so weit bin ich noch nicht. Lass uns langsam vorangehen. Wie gehe ich an ein Problem heran? Im Allgemeinen will ich es lösen. Ich will es beiseite schieben, weil es mich stört. Ich will davor weglaufen. Ich will es durch verschiedene Aktivitäten unterdrücken. Du siehst also, mein Umgang mit einem Problem ist niemals frei von irgendwelchen Wünschen, Meinungen und ähnlichem. Wenn all das wegfällt, gibt es auch kein Problem. Das Problem existiert auf Grund meiner Verwirrung.
PJ: Es scheint also nur einen Weg zu geben: zu beobachten und zu lauschen …
K: Sich selbst.
PJ: Den Klängen des eigenen Wesens zu lauschen.
K: Ja. Das heißt, zu erkennen, dass man selbst die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft ist – zu erkennen, dass man selbst der Schöpfer der Zeit ist und dass man ein Sklave der Zeit und damit der Vergangenheit ist. Es bedeutet die immense Vielschichtigkeit des Ganzen zu sehen und bei dieser Vielschichtigkeit zu bleiben, anstatt zu versuchen, sie zu meiden, vor ihr zu fliehen oder auf sie einzuwirken. Es geht darum, einfach bei der Tatsache zu bleiben – bei der Tatsache, dass man ein Sklave der Zeit ist.
Die Zeit ist Teil der Angst. Ich habe Angst vor der Zukunft oder vor der Vergangenheit. Vor der Gegenwart habe ich eigentlich keine Angst. Ich habe Angst vor dem, was in der Zukunft geschehen könnte, oder vor etwas, das in der Vergangenheit geschah. In dieser Sekunde, die ja die Gegenwart ist, habe ich keine Angst.
PJ: Also geht es darum – wenn ich es so ausdrücken darf – den Geist einzufangen, bevor er sich im Morgen oder Gestern verfängt.
K: Nein, nicht ›einfangen‹, denn dann hättest du das Problem, dass es einen Fänger und etwas Eingefangenes gibt.
Eigentlich geht es darum, die tiefe Bedeutung der Tatsache zu verstehen, dass du im Grunde der Schöpfer der Zeit bist. Du bist die Zukunft; die Zukunft ist nicht von dir getrennt.
Wir sind so an die Zeit gewöhnt. Evolution ist Zeit. Fortschritt ist Zeit. Eine Sprache zu lernen erfordert Zeit. Sich eine Fertigkeit anzueignen erfordert Zeit. Zeit ist für uns also außerordentlich wichtig geworden. Aber wir sehen nicht, dass Zeit auch Angst ist und dass man die Angst sehr genau betrachten muss, um ihr Wesen zu begreifen – geduldig, ohne den Wunsch, vor ihr zu fliehen, und so weiter. Wir müssen mit ihr leben, und mit ihr zu leben verändert ihr Wesen.
PJ: Vielen Dank, Krishnaji.