dergärtner01 schrieb:Warum zur damaligen Zeit niemand mit den Ermittlern kooperieren wollte, hatte wahrscheinlich den Hintergrund dass niemand in Kontakt mit der Polizei stehen wollte. Oft ist es so dass Zeugen schon Dinge beobachtet haben von denen sie dachten diese seien nicht relevant und haben sich erst später der Polizei anvertraut bis dann raus kam dass die damalige Sichtung doch von Bedeutung war.
Auch in diesem Fall kann es gut möglich sein dass vielleicht Dinge beobachtet wurden die nie bis hin zu den Ermittlern gelangt sind aufgrund der Angst ihr Name könnte in Verbindung zur Polizei stehen. Angst vor Ausgrenzung innerhalb der Community und vor allem auch die Angst wieder in die Heimat zurück zu müssen.
Ja, ich finde, genauso kann man sich das sehr gut vorstellen.
Ich denke, dass das auch ein dynamischer Prozess war und nicht gleich bei allen ab dem ersten Ermittlungstag Vorbehalte bestanden haben. Das man eventuelle Beobachtungen anders/falsch einschätzt und vor allem auch, dass man niemanden aus dem eigenen Bekanntenkreis so eine Tat zutraut und auch vor diesem Hintergrund Beobachtungen anders interpretiert, ist doch einfach nur menschlich und hat nichts damit zu tun, dass es hier um Menschen mit türkischen Wurzeln ging. Das hätte damals (und auch heute!) in jeder Siedlung, in der nur Deutsche leben, genauso passieren können: dem Nachbarn, dem Verwandten, dem Freund, dem Arbeitskollegen traut man so eine Tat einfach nicht zu, vor allem, wenn man prinzipiell gut mit denen auskommt und sie immer nett und freundlich waren.
Man will selbst nichts mit der Polizei zu tun haben und will auch niemanden Scherereien einbrocken, weil man ihn ungerecht verdächtigt. Einen Verdacht gegen eine Person aus dem eigenen Umfeld wegen so einer Tat der Polizei zu melden, ist schon ein großer Schritt. Jeder sagt sich: "Also in so einem schlimmen Fall muss man aber doch als Zeuge alles sagen, was man gesehen hat, sowas will doch keiner decken!" Wenn man die Tat beobachtet hat oder jemand einem die Tat gestanden hat, ganz sicher, aber es geht eben oft auch um vage Vermutungen, um Beobachtungen, die auch durch ander harmlose Gründe erklärt werden können, um Dinge, die nicht quantifizierbar sind (z.B. Verhaltensänderungen nach der Tat, die einfach auch damit zusammenhängen, dass alle von so einem Ereignis erschüttert sind).
Man hört es doch auch immer wieder, dass Familien, in denen jemand vermisst wird oderjemand zum Opfer einer Straftat wurde, sich darüber ärgern, dass die Polizei angeblich wertvolle Zeit damit verschwendet hat, in der Familie und im direkten Umfeld des Opfers zu ermitteln, statt den mysteriösen unbekannten Mister X zu jagen, der zufällig auf der Durchreise war und dabei eine Straftat begangen hat. Ich denke, dass das hier auch eine Rolle gespielt hat, gerade weil das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Siedlung durch die familiären Bezüge, die gemeinsame Herfkunft aus einer türkischen Stadt und durch das relative Abgeschottetsein gegenüber den Deutschen (einmal rein geographisch durch die Lage der Siedlung am Stadtrand und dann auch durch die Sprachbarriere) recht groß war und man es dann als unfair, ungerechtfertigt, nicht zielführend empfunden hat, dass die Polizei offensichtlich vor allem innerhalb der Gemeinschaft nach einem Täter sucht. Das wird dann schnell dadurch interpretiert und erklärt, dass die Polizei Vorurteile gegen Türken/ Ausländer hat. Und auch das kann dann im Laufe der Zeit dazu führen, dass man allgemein ungern mit der Polizei zusammenarbeitet, sich von denen nicht ernst genommen und als Mitglied der Gemeinschaft auch vorverurteilt fühlt.
Hinzu kommen eben noch, wie schon angesprochen, die Angst, vielleicht ausgewiesen zu werden, die Arbeitsstelle und damit auch das Aufenthaltsrecht zu verlieren, wenn man allzuviel mit der Polizei zu tun hat. Das muss nicht tatsächlich juristisch so gewesen sein, aber ich denke dass es solche Ängste, egal ob real begründet oder irrational eben durchaus gegeben haben kann.
Und eben die Sprachbarriere, die selbst mit Dolmetschern ein Problem und eine weitere Beeinträchtigung bei der Zusammenarbeit mt der Polizei darstellt.
Dass es in der türkischen Gemeinschaft in der Winterlit also Vorbehalte gegen die Polizei gab und da, wie es oft heißt "gemauert" wurde, kann man also denke ich als gegeben ansehen. Aber ich bin der Meinung, dass man das nicht zwangsläufig so interpretieren darf, dass die einige (oder sogar alle) in der Gemeinschaft wussten und wissen, wer der Täter ist und diesen decken. Das ist ein Trugschluss und Interpretationen, dass die schlechte Zusammenarbeit belegt, dass es "ein Ehrenmord war", dass "die türkische Mafia dahintersteckt, die de Familie durch die Ermordung Zeyneps einschüchtern wollte", dass "die Türken das schon nach ihren eigenen Gesetzen und Regeln geregelt und gesühnt haben" etc. sind ziemlich an den Haaren herbeigezogen und zeugen tatsächlich von Vorurteilen gegenüber anderen Kulturkreisen, in die man selbst wenig Einblick hat.