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Mordfall Hinterkaifeck

51.742 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Bauernhof, Hinterkaifeck ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Mordfall Hinterkaifeck

Mordfall Hinterkaifeck

20.10.2018 um 18:20
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:LS wäre durch den tod aller hinterkaifecker bis auf Josef miterbe des hofes geworden bzw. als der volljährige vater seines anerkannten sohnes josef im sinne eines treuhänderischen verwalters in die verfügungsgewalt über den hof gelangt.
Ich würde es anders ausdrücken.
ich würde sagen, dass LS dann auf den Hof hätte hoffen können. Und Hoffnung ist auch ein Motiv.
Aber vermutlich hätten sich verschiedene Gerichte mit dem Mordfall und dem Erbe beschäftigt- und wer weiss, ob das für LS glatt gegangen wäre.

Vielleicht hat ja auch LS im Dorf erzählt, dass er den Kindsvater vor Gericht gibt-und hat die Gerüchteküche um den Inzest weiter angeheizt?

Aber auch letztlich egal, weil auch Josef getötet wurde.
Diese Spekulation hat seitens LS also nicht stattgefunden

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Mordfall Hinterkaifeck

20.10.2018 um 18:46
@EdgarH
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:LS wäre durch den tod aller hinterkaifecker bis auf Josef miterbe des hofes geworden bzw. als der volljährige vater seines anerkannten sohnes josef im sinne eines treuhänderischen verwalters in die verfügungsgewalt über den hof gelangt.
War das so?
Es gab damals keinen Erbanspruch eines unehelichen Vaters und ebenfalls kein Recht auf Vormundschaft. Vormund des Kleinen war sein Großvater Andreas Gruber und da dieser auch zu den Opfern zählte hätte die Vormundschaftsfrage neu geregelt werden müssen. Hier wäre dann wohl eher die Verwandtschaft des Josef bevorzugt worden, also in erster Linie seine Tante Cäzilia Starringer.


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Mordfall Hinterkaifeck

20.10.2018 um 21:03
Zitat von jaskajaska schrieb: Hier wäre dann wohl eher die Verwandtschaft des Josef bevorzugt worden, also in erster Linie seine Tante Cäzilia Starringer.
Wohl eher männliche Verwandtschaft @jaska, vielleicht der Starringer Onkel oder ein Bruder von Andreas Gruber!

Ich weiß zwar nicht genau wie das gehandhabt wurde, aber wenn man damals der Mutter (Frau) schon so wenig zutraute und ihr (dem Kind) einen Vormund zur Seite stellte, dann tippe ich das da Männer bevorzugt wurden! 🤔


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20.10.2018 um 21:14
Zitat von margarethamargaretha schrieb:Ich weiß zwar nicht genau wie das gehandhabt wurde, aber wenn man damals der Mutter (Frau) schon so wenig zutraute und ihr (dem Kind) einen Vormund zur Seite stellte, dann tippe ich das da Männer bevorzugt wurden! 🤔
@margaretha
Das war doch noch lange so.
ich kann mich an berichte empörter frauen aus den 70er jahren erinnern: die kinder alleinerziehender frauen standen unter aufsicht des jugendamtes, bzw. ein vormund wurde eingesetzt.
ich erinnere speziell an einen Zeitungsartikel, in dem es um eine zahnärztin ging, die ihr kind ohne partner aufzog. Noch nicht einmal frauen, die gutes geld verdienten und ein tadelloses leben führten, gestattete man dieses recht.
Ist lange her, dass ich das las. Ich meine, das war ende der 1970er jahre.


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20.10.2018 um 21:42
@jaska
@margaretha

§§ 1776 i.V. mit 1779 BGB a. F. ergibt nach meiner vorläufigen Prüfung, dass in einem solchen Falle das Vormundschaftsgericht eingreift und tatsächlich nach Anhörung des Gemeindewaisenrats Verwandte und Verschwägerte des Mündels zunächst zu berücksichtigen sind. (Es wird allerdings nicht zwischen Männlein und Weiblein unterschieden,) aber auf das religiöse Bekenntnis des Mündels ist Rücksicht zu nehmen.
[Die tatsächliche Gültigkeit der Fassungen der §§ zum Zeitpunkt auch und gerade 1922 kann ich allerdings erst morgen sicher überprüfen.]


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20.10.2018 um 21:46
@pensionär
Schau mal, hier gibt es die damals gültige Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 im Netz: http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BGBDR18961900.htm


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Mordfall Hinterkaifeck

20.10.2018 um 21:58
@jaska
Ja stimmt überein.
Vielen Dank.

Vielleicht kann ja auch noch irgendwann unser Kollege @"DerGreif" als mir überlegener Zivilspezialist draufschauen.
(Ich wünsche allen eine ruhige Nacht.)


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Mordfall Hinterkaifeck

20.10.2018 um 23:30
@jaska
@margaretha
@pensionär

Die Rechtslage vor dem Mord gestaltete sich wie folgt:

§ 1776 BGB aF regelte grundsätzlich die Reihenfolge, in welcher Vormünder berufen wurden (Hervorhebungen von mir):
"§ 1776.
(1) Als Vormünder sind in nachstehender Reihenfolge berufen:

1. wer von dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist;
2. wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist;
3. der Großvater des Mündels von väterlicher Seite;
4. der Großvater des Mündels von mütterlicher Seite."

Das ist die Ausgangslage. Nun hatte J Gr keinen Vater im Rechtssinne gem. § 1589 Abs. 2 BGB aF. Das Vaterschaftsanerkenntnis stellte damals nur ein Geständnis dar, der Mutter im Empfängniszeitraum beigewohnt zu haben und war zugleich ein Verzicht auf die Einrede des Mehrverkehrs.

Damit scheidet Nr. 1 aus.

J Gr hatte auch keine eheliche Mutter, denn V Ga war nicht verheiratet, damit scheidet Nr. 2 aus.

Da J Gr keinen Vater im Rechtssinne hatte, scheidet auch Nr. 3 wieder aus.

Damit bleibt nur Nr. 4 übrig, der Großvater mütterlicherseits, nämlich A Gr. Entsprechend wurde auch A Gr als Vormund bestellt.

Theoretisch hätte man auch die V Ga nach § 1778 Abs. 3 BGB aF. zum Vormund bestellen können:
"Für eine Ehefrau darf der Mann vor den nach § 1776 Berufenen, für ein uneheliches Kind darf die Mutter vor dem Großvater zum Vormunde bestellt werden." Aber in dieser sexistischen, patriarchalischen Gesellschaft kam das wahrscheinlich niemandem in den Sinn, solange es andere Möglichkeiten gab.

Hätte nur J Gr nach dem Mord überlebt, wäre die Chance für LS zum Vormund bestellt zu werden, auch eher gering gewesen:

Stirbt A Gr, gibt es zwar zunächst niemanden mehr auf der Liste des § 1776 (1) BGB aF, der in Betracht käme. Auch V Ga, die bei einem Überleben sicherlich beste Chancen gehabt hätte, vgl. § 1778 Abs. 3 BGB aF, scheidet ja bei J Gr als einzigem Überlebenden auch aus. Grundsätzlich wäre das Gericht dann frei gewesen zu entscheiden, wer in Betracht kommt. Grundlegend ist hier § 1779 BGB aF (Hervorhebungen von mir):
"§ 1779.
(1) Ist die Vormundschaft nicht einem nach § 1776 Berufenen zu übertragen, so hat das Vormundschaftsgericht nach Anhörung des Gemeindewaisenraths den Vormund auszuwählen.
(2) [1] Das Vormundschaftsgericht soll eine Person auswählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Vermögenslage sowie nach den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft geeignet ist. [2] Bei der Auswahl ist auf das religiöse Bekenntniß des Mündels Rücksicht zu nehmen. [3] Verwandte und Verschwägerte des Mündels sind zunächst zu berücksichtigen."

Hiernach wären also Verwandte von J Gr bzw. Verschwägerte vorher zu berufen. Da LS mit J Gr wie bereits dargestellt im Rechtssinne nicht verwandt war, steht er auch da erstmal ziemlich weit hinten in der Reihe. Der Bruder von A Gr, oder auch etwa der Ehemann von C. Starringer wären da naheliegender.

Generell halte ich die Chance für LS in irgendeiner Form doch noch zum Vormund erklärt zu werden, für äußerst gering. Jedenfalls hätte angesichts der Sach- und Rechtslage nicht rechnen können.

@EdgarH
Ich nutze die Gelegenheit, um nochmals auf ein handfestes finanzielles Motiv des LS für einen etwaigen Mord zu verweisen. Am 2. März 1922 (also knapp einen Monat vor der Tat) berichtete das Schrobenhausener Wochenblatt, also DIE Zeitung in der Gegend, die ua auch die HKler lasen, über folgendes Urteil des (hiesigen, also örtlich zuständigen) LG Neuburg:
Ein interessantes Urteil hat das hiesige Landgericht gefällt. Es handelt sich darum, ob ein Abfindungsvertrag, in welchem ein Kindsvater sein außereheliches Kind für die Zukunft abgefunden hat, wegen des jetzigen Geldwerts durch ein Urteil abgeändert werden kann. Das Landgericht hat dies für zulässig erklärt und den Kindsvater verurteilt noch eine monatliche Zusatzrente zu zahlen. Dieses Urteil wird wohl viele Prozesse zur Folge haben.
Allein mit diesem Urteil drohte LS erneut die monatliche Zahlung einer Zusatzrente.[1] Dass er davon über die Zeitung Kenntnis erlangte, ist anzunehmen. Über die sich daraus auch ergebenden Probleme für die innerfamiliäre Beziehung im Haushalt des LS hab ich hier und an anderer Stelle auch schon detailliert referiert. Neben dem auf jeden Fall gegebenen finanziellen Motiv sind auch entsprechende zusätzliche emotionale Motive - mithin ein in dieser Situation damals wie heute klassisches Motivbündel bei Alimentezahlungen - äußerst wahrscheinlich.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang im Übrigen, wie weit LS bereit war zu gehen, um Zahlungen für ein Kind zu vermeiden, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seines war. 1919 zeige er - ausschließlich deswegen - die A Gr und V Ga wegen angeblichen Inzests[2] an, wohlwissend, dass dies für beide mit großer Wahrschweinlichkeit die Existenzvernichtung bedeutet hätte. Zu einer Rücknahme dieser Angaben war LS erst bereit, als V Ga ihm erneut die Heirat - sprich HK - anbot. Selbst die Vorauszahlungen der HKler auf die Abfindung allein, hatten LS nicht gereicht, um seine Aussage zurückzuziehen. Diese Option hatte LS aber 1922 nicht mehr, da die HKler jedenfalls für den streitgegenstädlichen Zeitraum vom Vorwurf des Inzests freigesprochen worden waren.

Kurz gesagt: LS hatte definitiv ein Motiv für die Tat, insbesondere auch ein Motiv J Gr selbst zu töten, was über reine Verdeckung der übrigen Morde hinausging.

Wie stets betont macht allein diese Tatsache ihn nicht zum Mörder. Und generell bleibt wieder mal nur festzustellen, dass ein Täter auf der Basis des bisher bekannten Materials nicht - auch nicht annähernd üer Wahrscheinlichkeiten - festgestellt werden kann.





[1] Darüber hinaus war die Angelegenheit aber sowie keinewegs mit dem Abfindungsvertrag abschließend geregelt gewesen. Der Abfindungsvertrag war gleich aus verschiedenen Gründen nichtig.

[2] Ich hege starke Zweifel daran, dass damals dieser Inzest stattgefunden hat, unabhögig davon, ob er überhaupt jemals stattgefunden hat, was ich aus verschiedenen Gründen auch zweifelhaft finde.


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21.10.2018 um 00:00
@DerGreif
Danke!

Mir drängt sich gerade eine weitere Frage auf an Dich und @pensionär:
Zitat von DerGreifDerGreif schrieb:1. wer von dem Vater des Mündels als Vormund benannt ist;
2. wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist;
3. der Großvater des Mündels von väterlicher Seite;
4. der Großvater des Mündels von mütterlicher Seite."
Wie wahrscheinlich ist es, daß Karl Gabriel senior Vormund der Cäzilia Gabriel war?
Andersherum die Cäzilia wurde im Januar 1915 geboren und im Mai 1915 gab es ja diesen Inzestprozeß, d. h. da waren ja wohl zuvor schon zuvor auch Ermittlungen im Gange und mglw. hatte die V. Gabriel in Ermittlerkreisen nicht gerade den besten Ruf aufgrund der Thematik.
Konnte die wie unter 2. dennoch mit dem "schwebendem Verfahren" einen Vormund vorschlagen? Also wurde ihr Vorschlag wohl vorbehaltslos umgesetzt oder eher gleich 3. gemacht?


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21.10.2018 um 00:39
@margarethe
Stand Karl Gabriels Tod damals amtlich fest, oder galt er zunächst nur als vermisst?


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21.10.2018 um 00:48
@margaretha
Sorry, hab deinen Nick falsch geschrieben

Ich bin nicht mehr so gut eingelesen, wie ich es mal war.
Es gibt zwar ein Todesdatum, das Karl Gabriel zugeordnet wird,- aber ist das schon damals 1914/15 geschehen,- oder erst später (nach dem Historiker die Kriegsereignisse untersucht hatten)?
Viele Gefallene im I und II Weltkrieg galten ja lange als vermisst.


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21.10.2018 um 01:03
@frauZimt
Nein, Karl Gabriel war nie vermisst. Seine Witwe wurde noch 1914 von seinem Tod unterrichtet.


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21.10.2018 um 01:20
@margaretha

1. Gem. § 1627 ff. BGB aF stand damals zwar die elterliche Gewalt dem Vater zu. Nach § 1684 (1) Nr. 1 BGB aF ging diese aber im Falle dessen Todes grds. auf die Mutter über. § 1686 BGB aF schreibt hierzu ausdrücklich vor:
Auf die elterliche Gewalt der Mutter finden die für die elterliche Gewalt des Vaters geltenden Vorschriften Anwendung, soweit sich nicht aus den §§ 1687 bis 1697 ein Anderes ergiebt.
Damit wäre die Mutter dann auch vertretungsbefugt. Eine Einschränkung kann sich nur aus § 1687 ff. BGB aF ergeben, die in bestimmten Fällen die Bestellung eines Beistandes für die Mutter vorsehen. Hinweise darauf, dass hier solch ein Fall vorlag, kenne ich aber nicht. Daher sehe ich hier überhaupt keine Möglichkeit für einen Vormund. Denn § 1773 (1) BGB verlangt für die Vormundschaftsbestellung als Voraussetzung, dass das Kind nicht unter elterlicher Gewalt steht. Das war für J Gr der Fall, weil er ein uneheliches Kind war und hier die Mutter die elterliche Gewalt gem. § 1707 S. 1 BGB aF explizit abgesprochen wurde. Bei C Ga hatte aber zunächst K Ga jun. die elterliche Gewalt inne und die ging eben gem. § 1684 BGB aF auf V Ga über.

2. Unabhängig davon sieht § 1776 BGB aF da keinen Ermessenspielraum vor. Die Reihenfolge ist klar und eindeutig festgelegt. Wäre es hier also zur Festlegung eines Vormunds gekommen, so hätte diesen V Ga bestimmt.

Ich hoffe, ich konnte damit Deine Frage beantworten, sonst einfach nochmal nachfragen.

@pensionär
Ich verwende immer lexetius.de, um die Gesetze auch in ihren alten Fassungen nachzulesen. Dort findest Du alle jemals gültigen Fassungen eines § bis heute.

Beste Grüße und schön mal wieder von Dir zu lesen!


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21.10.2018 um 08:44
@DerGreif
Danke für die ausführliche Darlegung. Das ist eindeutig. Was ich mich nur frage, war das damals allgemein bekannt, also konnte der LS davon ausgehen, dass er als leiblicher aber nicht ehelicher Vater quasi keine Rolle spielen würde?

Das finanzielle Motiv rückt durch das zitierte Urteil wieder in den Mittelpunkt.


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21.10.2018 um 08:57
Zitat von jaskajaska schrieb:heute um 01:03
@frauZimt
Nein, Karl Gabriel war nie vermisst. Seine Witwe wurde noch 1914 von seinem Tod unterrichtet.
@jaska

Danke jaska.
Das wusste ich nicht mehr.


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21.10.2018 um 10:34
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Das finanzielle Motiv rückt durch das zitierte Urteil wieder in den Mittelpunkt.
Zitat von DerGreifDerGreif schrieb:Ich nutze die Gelegenheit, um nochmals auf ein handfestes finanzielles Motiv des LS für einen etwaigen Mord zu verweisen. Am 2. März 1922 (also knapp einen Monat vor der Tat) berichtete das Schrobenhausener Wochenblatt, also DIE Zeitung in der Gegend, die ua auch die HKler lasen, über folgendes Urteil des (hiesigen, also örtlich zuständigen) LG Neuburg:
Ein interessantes Urteil hat das hiesige Landgericht gefällt. Es handelt sich darum, ob ein Abfindungsvertrag, in welchem ein Kindsvater sein außereheliches Kind für die Zukunft abgefunden hat, wegen des jetzigen Geldwerts durch ein Urteil abgeändert werden kann. Das Landgericht hat dies für zulässig erklärt und den Kindsvater verurteilt noch eine monatliche Zusatzrente zu zahlen. Dieses Urteil wird wohl viele Prozesse zur Folge haben.
Folgendes muss in Bayern des Jahres 1922 berücksichtigt werden.

Von November 1918 bis zum Mai 1924 waren im Freistaat so genannte Volksgerichte tätig.Sie sollten ursprünglich dazu dienen,Gewalt- und Plünderungstaten schnell abzuurteilen.Die Zuständigkeit umfasste schließlich auch Hoch und Landesverrat.Gegen Urteile der Volksgerichte war kein Rechtsmittel zu lässig – obwohl ihre Fehlerquote dank improvisierter und summarischer Verfahren hoch war und so sehe ich auch das Urteil vom Neuburger Volksgericht mit dem Abfindungsvertrag.
Ich sehe hier weder ein finanzielles Tat- oder Mordmotiv durch L.S., da er jederzeit seine landwirtschaftlichen Erträge zu Wucher-Preisen verkaufen konnte.(Aufkäufer Bichler)

Verurteilte konnten nur um Gnade bitten, bis der Reichsgesetzgeber 1924 - gegen den energischen Widerstand der bayerischen Staatsregierung – den Weg eines Wiederaufnahmeverfahrens beim Reichsgericht in Leipzig eröffnete.


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21.10.2018 um 12:30
@DerGreif
Danke!
Zitat von DerGreifDerGreif schrieb:Ich nutze die Gelegenheit, um nochmals auf ein handfestes finanzielles Motiv des LS für einen etwaigen Mord zu verweisen. Am 2. März 1922 (also knapp einen Monat vor der Tat) berichtete das Schrobenhausener Wochenblatt, also DIE Zeitung in der Gegend, die ua auch die HKler lasen, über folgendes Urteil des (hiesigen, also örtlich zuständigen) LG Neuburg
Es gibt für mich einige Aspekte, die dieses mögliche Motiv relativieren.

Du hattest ja schon geschrieben, dass Schlittenbauer 1919 sehr schlimme Verdächtigungen äußerte und damit einhergehend die Existenz der Nachbarsfamilie gefährdete. Aus diesem Verdacht sind die HKler möchte ich mal sagen nur mit einem blauen Auge herausgekommen, ein glorreicher juristischer Sieg sieht anders aus.
Aufgrund der Vorstrafe und vielleicht auch aufgrund von verärgertem ehemaligen Personal (das eventuell was gesehen hat oder die Gelegenheit für eine Racheaktion nutzen hätten können) standen ihre Karten für einen erneuten Prozess nicht gut und 1919/1920 hatten sie sehr viel Glück, dass Schlittenbauer sich durch sein Hin und Her selbst unglaubwürdig gemacht hat; auch weil er ja ein Eigeninteresse mit dieser Beschuldigung verband.

Letztlich unterzeichnete er die Vaterschaftsanerkennung. Bleibt die Frage, warum? Dass er dabei sich finanziell schadlos halten konnte war sicher eine Komponente eines Kompromisses und zeigt auch andererseits, wie sehr den HKlern an einer auf Papier geklärten Situation gelegen war. Warum also unterzeichnete Schlittenbauer die Abmachung? Er hatte keine Vorteile, oder? Mir fallen da grade tatsächlich nur moralische und emotionale denkbare Gründe ein wie ein gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber dem Kleinen, von dem er nicht ausschliessen konnte, dass es sein Kind war. Oder eine Verliebtheit gegenüber Viktoria und die stille Hoffnung, das Ganze vielleicht doch noch kitten zu können, wenn er mitmachte. Auch ein drohender Gesichtsverlust hätte bestehen können, gegenüber seiner Familie und anderen Gemeindemitgliedern, die ihn vielleicht auslachten und aufforderten, zu seinem Tun und dessen Folgen zu stehen.
Was ich damit sagen will: wenn er durchs "den Vater machen" keinerlei handfeste Vorteile wie Erbansprüche oder so hatte, dann kann er gar nicht so vollkommen bösartig gewesen sein, wie man ihn zuweilen darstellen mag. Denn dann zeigte er ein Einlenken aufgrund von gesellschaftlichen, moralischen oder emotionalen Gründen. So ein wenig Herz war also da :)
Was aber natürlich auch für eine emotionale Affekttat durchaus begünstigend hervorzuheben wäre, da Emotionen und voreilige Handlungen in Rage durchaus passen könnten.


Schauen wir uns dann nochmal die andere Seite an.
Viktoria und ihr Vater waren vorbestraft und "eben erst" mit Glück einer weiteren Strafe entgangen. Sie hatten mit einem Kniff (Zahlungserstattung an Schlittenbauer) für geordnete Verhältnisse gesorgt und unfreiwilligerweise waren sowohl Polizei als auch Amts- und Vormundschaftsgericht in die Vaterschaftsfrage involviert gewesen.

Jetzt erscheint ein Artikel in ihrer Tageszeitung, der aufgrund der Inflationssteigerung vorher getroffene Abfindungen über Einmalzahlungen bei Kindesunterhalt für noch einmal verhandelbar hält. Damit wäre im ersten Augenblick das berühmte Dollarzeichen vor dem geistigen Auge erschienen und hätte (ganz dem aktenkundigen Geiz folgend) eine Zahlung in Aussicht gestellt. Was ja nur fair gewesen wäre, denn Schlittenbauer hatte zu diesem Zeitpunkt ja aus eigener Tasche noch nicht einmal die Einmalzahlung geleistet.

ABER: beim 2. Nachdenken hätte jede vernünftige Stimme doch gesagt "lass das sein, rühr nicht mehr daran, das ist ein heisses Eisen". Der Gegner bei einer solchen Nachforderung wäre nämlich nicht nur Schlittenbauer gewesen. Und auch dieser wäre schon gefährlich genug gewesen, denn eine erneute Anzeige wegen Blutschande oder aber das Öffentlichmachen des Gemauschels bzgl. der geleisteten Zahlung hätte die HKler postwendend erneut in eine Verteidigungsposition befördert. Mit einem ungleich höheren Risiko als es ein paar Tausend Papiermark hätten rechtfertigen können: bei einem erneuten Prozess im gleichen Umfeld hätten sie riskiert, aufgrund der Vorstrafen und des Alters der Kinder tatsächlich verurteilt zu werden und das so, dass sich der Hof nicht hätte halten können.
Zumal sie als Vorbestrafte damals immer die schlechteren Karten hatten. Selbst wenn sie tatsächlich unschuldig gewesen wären, so wäre der Zweifel an der Redlichkeit immer gegeben gewesen. Ein paar Leumundszeugen herbeigebracht, die Schlechtes berichtet hätten, ein Knecht, der den Bauer mal in einer zweideutigen Situation mit seiner Tochter angetroffen hatte, zur Not 1 gelogene Zeugenaussage - schon wären die beiden verurteilt gewesen. Dass es solche negativen Stimmen gab (nicht nur auf einen möglichen Inzest bezogen) haben wir mehrfach in den Akten belegt und die HKler hatten selbst am besten gewußt, mit wie vielen Menschen sie nicht so gut standen. Blutschande ist heute wie damals ein Umstand, der in seltensten Fällen aufgrund von Sachbeweisen verurteilt werden kann und umso einen höheren Stellenwert erhalten Zeugenaussagen. Das wäre Viktoria Gabriel und ihrem Vater nicht gut bekommen.

Da die HKler auch nicht auf dieses Geld (war ja "nur" der Inflationsausgleich) angewiesen waren, da es keinen Streit mehr gab von dem wir wissen, scheint für mich persönlich die Option viel wahrscheinlicher, dass die späteren Opfer sich nicht in die nächste öffentliche Auseinandersetzung gestürzt hätten.


Anzeichen dafür wie die vielzitierte Fahrt nach Schrobenhausen zur Rechtsberatung oder zur Anzeige sind überhaupt nicht bestätigt. Es hat sich kein Notar, kein Anwalt, kein Mitarbeiter vom Land- oder Vormundschaftsgericht, kein Gendarm, kein Schlichter, kein Bürgermeister... nach dem Mord gemeldet und von Schritten Viktoria Gabriels gegen den Kindsvater Schlittenbauer berichtet.
Es gab nicht einmal ein Anzeichen für einen privaten Streit zwischen den Opfern und Schlittenbauer, wenn der noch am Tag vor der Tat von Gruber wie die anderen Nachbarn auch behandelt und über den Einbruch informiert wurde.


1,5 - 2 Jahre zuvor hätte ich jeglichem emotionalen Motiv zugestimmt. 1922 fehlt mir dazu das passende Szenario, was mit den vorhandenen Informationen vereinbar wäre.
Wenn man erst den (für mich bestätigten) Inzest und auch noch den (für mich ebenfalls bestätigten) Einbruch argumentativ aus der Welt räumen muss, um einen Schlittenbauer als Täter platzieren zu können, ist das für mich zu konstruiert.


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Mordfall Hinterkaifeck

21.10.2018 um 13:08
@DerGreif

Danke für Deine Antwort, meine Frage war aus folgendem Interesse heraus:

Nachdem Karl Gabriel gefallen war erfolgten ja die Verrichtungen auf dem Nachlassgericht. Hier gab V. G. am 9.2.15 zum ehelichen Vermögen u. a. Kurrentschulden in Höhe von 1 550 M an, zudem verneinte sie den Besitz von Bargeld oder Pfandbriefen.

Irgendwie hat ihr Schwiegervater von diesen Angaben erfahren, denn in einer handschriftlichen Notiz datiert unterm 3.3.15 ist vermerkt:
“I. Vorzuladen ist Viktoria Gabriel, Gütlerswitwe in Hinterkaifeck auf Freitag, 19. März , vor, 10 Uhr.
II. von Seiten des Vaters des Erblassers ist angegeben worden, daß 2000,-- M Pfandbriefe u. 600,-- M. Bargeld da wären u. daß keine Currentschulden bestehen.
Schrobenhs., 3. März 1915
k. Amtsgericht
Unterschrift Kohlndorfer
Am 19.3.15 korrigiert sie dann ja diese Angaben und räumt den Besitz von Pfandbriefen zu 2000,-- M. ein sowie das die Summe der Kurrentschulden nur 550 M. beträgt.
https://www.hinterkaifeck.net/wiki/index.php?title=Sachverhalte:_Der_falsche_Erbschein_von_1915

Diese falschen Angaben betrafen ja letztlich das Vatergut der Cäzilia. Ich hatte mich da schon länger gefragt wie der Karl senior darüber Bescheid bekam was seine Schwiegertochter dem Nachlassgericht mitgeteilt hatte. Das der einfach in die Akte schauen durfte kann ich mir nicht vorstellen, deshalb dachte ich er wäre evtl. der Vormund.


@jaska
Danke die Ansicht würde ich auch für mich mit unterschreiben!


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Mordfall Hinterkaifeck

21.10.2018 um 13:32
Ich habe bei dieser Schlittenbauer-Vaterschaftssache immer das Gefühl, dass LS nicht alles erzählt hat.
Die HKler waren tot. Sie werden nicht viel nach draussen erzählt haben.
Die haben das unter sich abgemacht.
LS wäre schön dumm, wenn er zugeben würde, dass er einen Haufen Geld erhalten hat.
Das Finanzamt war damals so rührig wie heute.

Vielleicht war es so und er hat das Geld von Viktoria erhalten und bis auf 200 Mark zurückbezahlt.
Vielleicht hat er auch mehr bekommen?
Wer will das wissen?
Jetzt lese ich hier auch noch von Pfandbriefen, die er dann auch wieder zurückgegeben haben will.

Das ist alles sehr undurchsichtig.
Umsonst wird er den HKlern den Dienst schon nicht erwiesen haben.
Vielleicht hat er sich damals Hoffnung auf Viktoria gemacht?
Oder hat sich Viktoria berechnend verhalten und ihm Hoffnungen gemacht?

Ihre Lage war prekär. Sie musste sich etwas einfallen lassen.

Man kann nur Vermutungen anstellen.


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21.10.2018 um 13:54
@jaska
danke für deine einschätzung, die sehr logisch klingt. ich stimme zu, die HKler dürften das nicht anfestrebt haben, den unterhalt neu zu verhandeln, zumal sie wie du sagst, weder interesse an neuerlichem kontakt zu staatlichen stellen in verbindung mit der dann ggf. wieder aufflammenden frage der vaterschaft hatten, noch hatten sie die unterhaltsfrage ja bisher als einnahmequelle gesehen. im gegenteil, sie gatten LS für die anerkennung derer ha bezahlt. aus HK sicht macht das sehr viel sinn was du ausführst!

was ich mich frage: hatte aber im gegensatz dazu LS sorge, dass da etwas nachkommen könnte? hatte er deshalb streit mit VG (es gibt doch zeugenaussagen, diebon einem lebhaften gespräch der beiden wenige tage vor dem mord berichten, richtig?)?

denkansatz: hatte LS ggf. eine unterlassungserklärung (spekulation!) von den HKlern gefordert, dass keine weiteren forderungen erhoben würden auf basis des neuen gesetzes und hatten due HKler das abgelehnt? ist er (reine spekulation!) darüber in rage geraten?

zu den anderen spuren, münchner zeitung, spuren im schnee, schlüssel verschwunden etc.: frage a) stehen die alle in einem zusammenhang? frage b) steht der einbruch in verbindung mit dem morgeschehen?

wäre es nicht riskant von einem mörder derart plakativ auf sich aufmerksam zu machen, ehe er den mord begeht? waren die spuren evtl. fingiert? denn eine durchsuchung des grubers ergab ja keinen fund, wie also sollte z.b. ein eindringling dann tatsächlich wieder ohne weitere spuren aus dem hof hinaus gelommen sein? wenn er aber nicht drin zu finden war, dann war er ja vielleicht nie da gewesen.

nur mal als gedankenexperiment: waren die spuren evtl. die vorbereitung für das eigentlich geplante verbrechen?


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