@PrivateEyeWie versprochen folgt nun meine Antwort
:) Erstmal möchte ich sagen, dass es mir leid tut dass du einen Infarkt erleiden musstest- das löst sicher viele Ängste in die aus, vorallem auch weil ich ja gelesen habe unter welchen Umständen du ihn erlitten hast.
Dann den ganzen nachfolgenden Verlauf als alleinerziehender Vater durchmachen zu müssen, liest sich fast wie das katastrophale Sahnehäubchen :/
Ich wünsche dir viel Kraft und natürlich vollständige Genesung!
PrivateEye schrieb:Wie auch immer liebe @Streuselchen , alles was ich dir mitgeben kann, sei einfach da für deinen Vater. Ich bin mir ziemlich sicher, das er dafür sehr dankbar sein wird, auch wenn er es vielleicht nicht (oder nicht gut) zeigen kann. :) Ich spreche da auch Erfahrung, von mir selbst.
Hierzu mag ich erwähnen das der Schlaganfall meines Papas nun 1 Jahr und 3 Monate her ist.
Ich bin all die Zeit des KH's damals und auch die Reha nicht von seiner Seite gewichen. War sein Sprachrohr und seine engste Vertraute, neben meiner Mama natürlich. Dadurch das meine Mama das emotional sehr mitgenommen hat, war ich natürlich auch zuständig für den ganzen organisatorischen Teil. Meine Mama habe ich stets sachte mit eingebunden, bis immer mehr ging und sie wieder mehr Sachen annehmen konnte - bishin zur völligen zurückgewonnener Selbstorganisation.
Ich hatte fast ein Jahr lang kaum noch ein eigenes Leben weil ALLES nur noch Schlaganfall war. Der gesamte Alltag war immer nur Schlaganfall, alles drehte sich immer IRGENDWIE darum - Termine der Therapien, Anträge, Anrufe auf Arbeit "Püppi, Papa kommt nicht aus der Wanne, kannst du ihn bitte rausheben kommen, er wird schon kalt" und man brettert so schnell wie man kann los, baut Minusstunden ohne Ende auf.. Oder abendliche Anrufe "Papa ist Gestürzt, kannst du bitte kommen und ihm hochhelfen" und man zieht sich mitten in der Nacht an und rennt mit zerzaustem Haar rüber.
Darüber hinaus hat sein Wesen sich sehr verändert - im Grunde ist er nicht mehr mein Vater wie ich ihn kannte. Er hat ganz neue Wesenszüge, dazu immernoch starke SA-Depressionen, spricht oft davon lieber tot sein zu wollen. Wenn er Erdbeeren aus irgendeinem brandenburgischen 200km weit entfernten Dorf möchte gibts kein zurück- ich werde sie holen fahren müssen. Und so ist es mit allen Dingen. Er war früher der zurückhaltenste Mensch der Welt und hat NIE an sich gedacht. NIE! Wirklich immer nur an meine Mama und mich - und deswegen lassen wir ihn jetzt auch gewähren (auch wenn ich oft schimpfte mit ihm, dass sein Ton jetzt msl ganz schnell in einen höflichen zu wechseln hat, dass ich sonst gehe) dann macht es auch sofort klick bei ihm und er entschuldigt sich. Ich WEISS mittlerweile das er seine neue ruppige Art garnicht merkt, erst wenn man ihn darauf hinweist.
Durch Corona kann ich nur ganz ganz selten für meine Eltern körperlich anwesend sein. Unser Kontakt beschränkt sich auf Telefonate und das ich für die beiden einkaufen fahre usw.
Meine Mama sehe ich noch öfter draußen zum spazieren, meinen Vater in den letzten 3 Monaten vllt 3 mal? Kurz? Von weiten? Es geht nicht anders.
Warum ich das so ausführlich schreibe ist dein Satz "sei einfach für ihn da" (auch wenn du das lieb gemeint hast und ich das weiss) - ich war non stop für meinen Vater da. Soviel, dass ich mein Leben völlig vernachlässigt habe. Meine Kinder kamen zu kurz (sind mir aber nicht böse, wir holen das jetzt nach), meine Arbeit hätte ich fast verloren weil ich ständig von dort abhauen musste um Notfälle zu bearbeiten, ich habe seit Januar 2020 einen Burnout ZUSÄTZLICH zu meiner diagnostizierten chronischen Depression, ich habe desöfteren Magenbluten dank der Magengeschwüre die mich regelmäßig heimsuchen durch den stress, mein kleiner Sohn hat HKS/ADS und hat viele Termine mit mir beim Kinderpsychologen und nebenbei muss ich mich mit Sozialpädagogen bald wöchentlich 3 mal unterhalten weil er bestimmte Zusatzhilfsleistungen im schulischen Rahmen erhält.
Und ich habe noch genau 2 paar Schuhe! Weil ichs nichtmal schaffe in nem verkackten Schuhgeschäft Schuhe zu kaufen.
N Eis schaffe ich mal zu essen während der Autofahrt, wenn Polizisten mich anhalten trauen die sich garnicht mich nach den Personalien zu fragen weil ich genervt das Fenster runterlasse und frage "WAS?" (überspitzt dargestellt)
Ich bin einfach am Ende meiner Kräfe Eye, wirklich am Ende.
Und ich habe, in Absprache mit meinen Eltern zu Silvester, einfach ausgemacht das ich jetzt NICHT mehr für meinen Vater pausenlos da sein werde.
Die beiden müssen alleine einen Weg finden (und haben sie auch, bin ganz stolz wie sie das meistern) und wenn ich komme, dann komme ich als Tochter die besucht! Nicht die Tochter die den Haushalt schmeisst, meinen Vater badet und wäscht und und und - das mache ich nicht mehr und habe mich mit meiner Mum gekümmert das dafür Leute kommen, vom MDK geschickt.
Ich bin im Notfall natürlich weiterhin da, aber auch meinen Eltern war es wichtig das ich wieder MEIN Leben lebe. Weil ich es MUSS. Ich habe mehr Verantwortung für meine Kinder als wie für meinen erwachsenen Vater. Und so sehen es auch meine Eltern, weil sie sehr vernünftig sind.
PrivateEye schrieb:Vor allem: Nutze die Zeit! Ich will nicht düster klingen, aber gerade nach solchen Sachen weis man NIE was wird. Also keine Hektik oder Panik machen, aber auch nicht die Momente ungenutzt verstreichen lassen. Denn etwas hinausschieben, "keine Zeit haben", diese lektion hatte ich schon zuvor auf die harte Tour lernen müssen. Und jetzt quasi nochmals, nur aus der eigenen Perspektive.
Bei meinem Vater wird sich nach all der langen Zeit der Therapie nicht mehr viel bessern.
Es hat sich seit der Reha enorm viel verbessert aber das reicht IHM nicht (was logisch ist) er möchte wieder der alte sein und hat noch nicht begriffen das er das nie wieder sein wird.
Auch ich habe erst lernen müssen meinen neuen Vater neu zu lieben - mittlerweile liebe ich seine Macken und kann auch viel über sein bockiges Kleinkindverhalten lachen. Aber BIS 2020 Jahreswechsel bin ich permanent heulend zusammengesackt und habe gedacht dass ich ihn garnicht mehr kenne. Er sagt auch meinen Kosenamen "Püppi" anders als wie er es früher sagte. Es ist das gleiche Wort aber gesprochen wie von einem fremden.
Das zu akzeptieren allein hat ewig gedauert. Jetzt, heute, bin ich damit gut und mag auch das neu gesprochene Püppi.
Und wenn ich anrufe weiss ich mittlerweile das ER einfach mitten in meinen Sätzen auflegt wenn ER meint wir hätten alles wichtige besprochen und der Rest der da von mir kommen würde wäre nur noch atemverschwendung.
Beispiel :
"Hallo Papa, ist Mutti nicht da?"
"nö"
"wo isse denn?"
"weiss ich nicht"
"kannst du ihr sagen sie soll zurück rufen?"
"mach ich" *geraschel*
(früher hätte er gefragt worums geht, dementsprechend hole ich sofort aus um zu erklären)
"ich wollte nämlich...." TUT TUT TUT TUT
*Blick ins Telefon*
*nochmal anruf* er hebt ab
"DEINE MUTTER KANN NICHT FLIEGEN, SIE IST IMMER NOCH NICHT DA" tut tut tut
Kannste lustig lesen, kannste aber auch heulend lesen. Und beide Stufen habe ich durchleben müssen. Mittlerweile kann ich Späße darüber machen.
"hallo Papa, ich bins"
"aha"
"WARTE, LEG NICHT AUF! ES FOLGT EIN INFORMATIONSAUSTAUSCH"
"fass dich kurz Püppi"
"info bla bla"
"ok, pass auf dich auf Kind" tut tut tut
Es ist nicht mehr viel alt-liebevolles übrig, dafür kamen aber neu-liebevolle Sachen hinzu.
Für einander da sein reicht bei weitem nicht um das seelisch zu ertragen! Es fordert die permanente Beschäftigung damit UND die Akzeptanz die man erst gaaaanz ganz langsam lernen muss..und dafür muss man auch mal für sich alleine sein dürfen. Und das Recht nehme ich mir seit 2020 weil ich sonst garnicht mehr da sein könnte.
So nun isses ausführlicher geworden als ich es eigentlich geplant hatte, aber mir war wichtig, dass man erkennt das ein Satz wie "sei einfach da für ihn" bei einem Angehörigen auch ganz viel auslösen kann und wenn du ihn nicht geschrieben hättest (bei dir weiss ich ja das du es einfach lieb gemeint hast) wär mir wahrscheinlich die Hutschnur geplatzt ^^
LG und alles Gute