Moralische Frage: Suizid verhindern, Ja oder nein?

Ich gehe auch davon aus, dass es mehr oder weniger subtile Signale gibt, fühle aber meinen Lieben regelmäßig auf den Zahn, wie sehr sie denn wirklich am Leben hängen, indem ich sehr offen über den Tod spreche.

Mila_ schrieb:Suizid begehen und Gedanken äußern ist ja mal ein meilenweiter Unterschied.

Natürlich. Ich wollte nur anmerken, dass nicht jeder plötzlich ohne Vorankündigung Suizid begeht.
Manche haben schon öfters gesagt, dass sie nicht mehr wollen usw.
Manche unternehmen ja auch mehrere Versuche.

Es gibt da eine große "Bandbreite".

Mila_ schrieb:Eben weil so erlebt

Ich hoffe, nur ein Mal?

equinoxx schrieb:Viele Leute, die Suizid begehen wollten und davon abgehalten wurden, waren im Nachhinein froh.

Das könnte ich mir auch vorstellen. Wenn ihr "Todeswunsch" nur auf einer depressive Episode oder so gründete.

Ich würde versuchen denjenigen abzuhalten. Und würde mir Vorwürfe machen, es nicht Versucht zu haben.

Selbst bei einem ehemaligen Klassenkameraden der mir eigentlich auch immer wichtig war erlebt.
Er war sein Leben lang einer, der anderen geholfen hat und immer mit einem offenen Ohr zur Seite stand.
2 Tage vor seinem Suizid war er verdammt anders drauf. Irgendwie nicht er selbst. Nicht traurig oder deprimiert. Eher das genau Gegenteil.
Ich ärger mich bis heute, dass ich ihn nicht darauf angesprochen hatte sondern nur gewundert aber mangels Zeit nicht tat.
Ob ich im endeffekt bei ihm durch das ansprechen etwas verändert hätte weiß ich nicht. Aber ich reagiere jetzt bei Bekannten die etwas depressiv sind definitiv sensibler.

Ich sehe das individuell in der konkreten Situation mit einem Individuum.

Habe nur den Eingangspost gelesen und möchte dazu etwas sagen.
Eine gute Freundin von mir hat vor vielen Jahren Selbstmord begangen.
Ich war traurig und auch bestürzt, aber eigentlich war es klar, daß es irgendwann soweit kommen wird das sie es "schafft". Sie wollte einfach nicht mehr leben, wurde bei zweimaligen Versuchen vorher "gerettet".
Ich weiß, was sie dazu bewegt hat, kannte genug von ihr um es verstehen zu können.
Auch wenn es für die hinterbliebenen Menschen eine emotionale Last ist, sollte man es respektieren und nicht verteilen wenn jemand nicht mehr leben möchte.

Glitzer schrieb:sollte man es respektieren und nicht verteilen wenn jemand nicht mehr leben möchte.

Natürlich muss man das im Endeffekt respektieren.

Wenn es so ist wie bei deiner Freundin, liegt es ja auf der Hand, dass sie es solange versucht hat, bis es funktioniert hat.

Aber man weiß es eben zunächst nicht so sicher. Letztendlich kann man es auf lange Sicht sowieso nicht verhindern, sondern nur kurzfristig. Und das ist gut und richtig.

Genauso gut finde ich es aber, dass man, wenn man sich spontan entscheiden muss, hilft man jemandem oder nicht, nicht zunächst für das Leben entscheidet.

Laura_Maelle schrieb:Ich gehe auch davon aus, dass es mehr oder weniger subtile Signale gibt, fühle aber meinen Lieben regelmäßig auf den Zahn, wie sehr sie denn wirklich am Leben hängen, indem ich sehr offen über den Tod spreche.

Das wird aber auch von der entsprechenden Person abhängen, es gibt Leute die ihr Vorhaben andeuten und dann gibt es welche bei denen man nichts merkt, da sie nichts nach außen tragen.
Eine Frage wie es einem momentan geht oder wie sehr man momentan Lust auf das Leben hat, wird vermutlich einfach mit einer etwas allgemeinen Frage beantwortet oder eben mit einer Lüge.

Wer wirklich vor hat sich umzubringen, der wird es auch durchführen. Man kann ja auch nicht den wirklichen Grund dieser Person erkennen, sondern nur vermuten. Zudem weiß man auch nicht wie es wirklich in dieser Person aussieht, Dinge die vielleicht einen "normalem" Menschen Spaß und Glück bringen, können auf diese Person eher abstoßend oder sogar als Auslöser gelten, da sie feststellt, dass alle anderen das haben können was sie selbst nicht bekommt, egal was sie versucht dagegen zu unternehmen.

Interested schrieb:Und hier glaube ich, dass es nur nicht richtig gedeutet wird. Ich glaub, dass das ganze Davor - ein einziger Hilfeschrei ist. Eine Ankündigung. Ich stelll es mir jedenfalls so vor. Ich glaube kaum, dass jemand der glücklich ist und das auch lebt, einfach von Jetzt auf Gleich so eine Entscheidung trifft.

Eine Depression , eine langwierige schwere Erkrankung oder ein Schicksalsschlag der nur schwer verarbeitet werden kann. Erschwerte Sinnfindung. Zu hohe Erwartungen an sich , an das Leben und von anderen. Druck , der immer größer wird.
Medikamente gegen Depression erhöhen ebenfalls das Suizidrisiko.

In der Tat : Glückliche zufriedene Menschen werden wohl kaum ohne Anlass von der Autobahnbrücke springen.

Wer seinem Leben ein Ende setzt ist (denke ich) schon länger "am Ende".
Dieses "am Ende sein" versteht die Umwelt oft nicht. Weil die Menschen so funktionieren wie von ihnen erwartet wird. Oft erfolgt der Suizid für Angehörige unerwartet , "ohne Ankündigung" : Der Studienabschluss ist geschafft. Der neue Job wartet. Der runde Geburtstag wird vorbereitet. Der Liebeskummer scheint verflogen zu sein.

Yotokonyx schrieb:Das wird aber auch von der entsprechenden Person abhängen, es gibt Leute die ihr Vorhaben andeuten und dann gibt es welche bei denen man nichts merkt, da sie nichts nach außen tragen.

Kommt halt auf die Beziehung an, wie eng sie ist. Ich jedenfalls suche sehr oft das Gespräch mit meinen engsten Angehörigen und rede mit ihnen auch offen über den Tod. Ich berücksichtige dabei auch durchaus, dass vielleicht Suizidgedanken verheimlicht werden könnten. Deshalb achte ich auf die Signale und fühle auch entsprechend auf den Zahn bei Themen, die mit dem Tod zusammenhängen, um die Sichtweise des Anderen zu erfahren. Wir führen keinen Smalltalk, sondern wirklich tiefe Gespräche. Und ich sage auch, wenn ich Angst habe, der anderen könnte evtl. Suizidgedanken oder Depressionen haben. Da dies jahrzehntelang bei meiner Schwester der Fall war, bin ich dafür schon sensibilisiert und weiß deshalb auch, wie bei Todeswunsch oder Todessehnsucht gedacht wird.

Als ich 13 oder 14 Jahre alt war... Wusste ich, dass meine Mutter vielleicht Suizid begehen würde, da es einmal davor schon passiert ist.
Jedenfalls, war ich sauer auf sie, weshalb ich nicht nach ihr gesehen habe und es mir egal war ob sie sich umbringt oder nicht. Wäre eine Freundin von ihr nicht gekommen (meine Mom hat sie angerufen nachdem sie bemerkt hat, dass sie zu viele Tabletten genommen hat), dann wäre meine Mutter vielleicht tot.
Der Rettungswagen der kam, hat mir die Schuld gegeben, weil ich den Krankenwagen nicht selbst angerufen habe, sondern die Freundin.

Heute bin ich 20 Jahre alt, ich habe selber Depressionen und eine Borderline Störung und ich weiß, wie scheiße das Leben meiner Mutter ist... Wenn sie es wieder tun würde.... Möchte ich für sie nur das Beste. Ich brauche sie noch... Aber ich will nicht das sie leidet.

@Devexa
Da macht es sich aber jemand leicht mit der Schuldverteilung. Und das noch einer Jugendlichen vorzuhalten, die diesen Krisen ausgeliefert ist.

Verantwortlich ist und bleibt deine Mutter für ihr Handeln.
Auch sie kann sich Hilfe holen.

Aber so wie du es beschreibst, hast du ja ein heftiges Paket mitbekommen.
Da wünsche ich dir alles Gute!

@Bundeskanzleri

Hi, danke für deine Antwort.

Naja... Ich muss gestehen, ich mache mir Vorwürfe. Es wäre meine Schuld gewesen. Damals habe ich Depressionen aber auch für Quatsch gehalten als Kind oder Jugendliche.
Bis ich es dann selbst welche bekommen habe und es natürlich auch besser verstehen konnte.

Durch Vererbung aber auch durch Erlebnisse.

@Devexa
Ja klar, man würde sich schuldig fühlen, aber genau dann ist es die Aufgabe der Erwachsenen, dir dieses Gefühl zu nehmen.

Es ist eine Extremsituation für dich gewesen, mit Vorgeschichte.

Kinder fühlen sich auch schuldig am Suizid der Eltern, wenn sie gar nicht vor Ort waren.
Das ist eine der schwierigsten psychischen Dynamiken, denen man als Kind ausgesetzt sein kann.

Schuldgefühl ist wohl das falsche Wort, aber man fühlt sich als nahe Angehörige schon irgendwie verantwortlich, es nicht verhindert zu haben. Mir erging es auch so als Jugendliche, als meine Schwester vergewaltigt wurde. Ich machte mir Vorwürfe, weil ich sie nicht begleitet hatte oder sie nicht abhielt auszugehen bzw. es nicht verhinderte, indem ich es unserer Mutter verriet, denn sie hätte gar nicht weggehen dürfen. Und so war es dann auch bei ihren Suizidversuchen, wo sie echt mehr Glück als Verstand hatte, dass sie diese überlebte. Ich habe allerdings dann doch einige ihrer weiteren Suizidversuche verhindert und sie aus diesem Tief rausgeholt und stabilisiert. Das hat mich sehr viel Kraft gekostet.

Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch viel Leid erlebt hätte, aber seltsamerweise breche ich nur dann in Weinen aus, wenn es um die Vergewaltigung meiner Schwester (sie war erst 14 - und ich 15) geht, dann kann ich das Weinen nicht unterdrücken. Das ist wie ein Dammbruch, auch wenn ich vorher noch so sachlich bin. Diese Vergewaltigung hat sie einfach zerstört.

Bundeskanzleri schrieb:Kinder fühlen sich auch schuldig am Suizid der Eltern, wenn sie gar nicht vor Ort waren.

Kinder geben sich auch manchmal die Schuld dafür, wenn ihre Eltern sich streiten, wenn sie sich trennen.

Laura_Maelle schrieb:Schuldgefühl ist wohl das falsche Wort, aber man fühlt sich als nahe Angehörige schon irgendwie verantwortlich, es nicht verhindert zu haben.

Meine Erfahrungen sind auch, dass man sich in diesem Zusammenhang fragt, ob man das nicht hätte merken müssen, ob man es nicht hätte verhindern können/müssen. Selbst, wenn einem das faktisch nicht möglich war, sind diese fragenden Gedanken da.

Man muss sicherlich die individuelle Situation eines Menschen, der suizidal ist, berücksichtigen. Aber wenn dieser Mensch aufgrund einer psychischen Krisensituation suizidal ist, ist diese Person nicht voll entscheidungsfähig. Denken, Fühlen und daraus resultierendes Handeln sind dann krankhaft verzerrt. Einer Person in einer Krise würde ich also immer an einem Suizid hindern. Nach Bewältigung der Krise könnte und wird diese Person es vermutlich gänzlich anders sehen.

Haltet den der sich umbringen möchte davon ab, sonst lebt ihr ein ganzes Leben mit der Schuld. Ein guter Freund von mir hat sich umgebracht. Ich hätte es verhindern können, habe jedoch alle Signale ignoriert weil ich dachte das es schon nicht so schlimm ist. In unserem letzten Gespräch hat er mich angeschrien das er sich umbringt und ich dachte nur er reagiert über. Leider wusste ich nicht das er seit Jahren depressiv ist und seine Medikamente abgesetzt hatte. Das hat er 2 Jahre vor mir verheimlicht.
Wenn Euch jemand sagt das er sich umbringt, dann denkt nicht das es eine Floskel ist. Hinterfragt solche Sätze lieber.

Als ich ein Kind war hatte meine Tante eine Beziehung zu einem Mann (Peter) der an Schizophrenie erkrankt war. Nach einiger Zeit ging es ihm wohl so gut, das er eigenständig seine Tabletten abgesetzt hat. Er bekam eine Psychose, sah eines Abends in ihr den Teufel und prügelte sie fast zu Tode. Meine kleine Cousine (12 Jahre) und mein Cousin (15 Jahre) waren dabei und riefen die Polizei die ihn stoppen konnte.

Noch während sie im künstlichen Koma lag, erhängte er sich im Wald. Im Abschiedsbrief stand, das er es nicht aushalten kann, was er seiner großen Liebe angetan hat. Jeder der die Beiden kannte, würde diese starke Liebe auch Blind unterschreiben.
Das machte das Ganze noch unfassbarer.

Ein paar Tage hat man meiner Tante nichts von dem Tod erzählt, nachdem sie aus dem Koma zurück geholt wurde. Als man ihr es dann endlich erzählte, war sie laut Erzähungen ganz ruhig und emotionslos. Die Beerdigung war zu diesem Zeitpunkt auch schon vorbei.
Sie wurde entlassen und wollte nur noch nach Hause zu ihren Kindern.

Abends kam sie dann zu uns zu Besuch und bedanke sich bei meinen Eltern für die ganze Unterstützung. Die Freude war groß, weil es ihr anscheinend wieder gut ging und das sie soweit es ging emotional im Lot war. Es schien wirklich alles in Ordung zu sein.

Nachts kam dann ein Anruf von meinem Onkel (ihr Ex-Mann und Vater der Kinder) das mein Cousin ihn angerufen hat weil meine Tante nicht nach Hause kam und ein Zettel auf dem Küchentisch lag mit den Worten: Es tut mir Leid, aber ich muss zu Peter.
Nach und nach kam ans Tageslicht das sie nicht nur bei uns, sondern auch bei meinen Großeltern und ihrer Schwester war um sich zu bedanken.

Mein Onkel und mein Vater fuhren noch zu seinem Grab, weil man davon ausging das sie dort sei. War sie aber nicht...
Kurz nach Mitternacht sprang sie vor einen Zug und beendete ihr Leben.

Mir tut der Zugführer, die Polizei die mit dem Rettungsdienst der die Leiche bergen musste und letztendlich mein Onkel der zur Identifizierung musste leid.

Zurück lies sie 3 Kinder wovon 2 noch Minderjährig waren. Obwohl ich noch ein Kind war machte es mich so wütend und ich konnte nicht begeifen wie eine Mama sowas machen kann.

Selbstmord ist für mich egoistisch und feige. Sie hätte sich Hilfe holen können. Bis auf das gebrochene Herz war sie kerngesund und gemeinsam mit Ärzten und unserer Familie hätte sie das auch überstehen können...

@Hellskitty

Selbstmord ist nicht feige.

Den Beginn des eigenen Lebens kann man sich nicht aussuchen. Über das Ende hingegen sollte man meiner Meinung nach schon selbst entscheiden dürfen. Soviel Freiheit, auch die zur Entscheidung über den eigenen Tod, sollte schon sein.