@Noumenon
Noumenon schrieb am 22.08.2020:Sorry, aber Kant ist einfach veraltet. Kant lebte im 18. Jahrhundert, wusste bspw. weder etwas vom Urknall, noch von der Existenz von Atomen. Für ihn lagen bspw. Fragen nach dem Anfang des Universums oder kleinsten Bausteinen der Materie nicht nur jenseits jeglicher Empirie, sondern waren sogar prinzipiell unlösbar (=> Kant'sche Antinomien). 1808 legte John Dalton sein berühmtes Atommodell vor, da war der gute Kant schon vier Jahre tot... Und von der modernen Teilchenphysik bis hin zur Kosmologie hatte der arme Kauz erst recht keinen blassen Schimmer. Naja, wenigstens kommst du uns nicht mit der Bibel...
Nach Jahren des intensiven Studiums Kants kehre ich zurück. Diesmal mit vollem Angriff. Und korrigierend was meine Irrtümer anging.
Fangen wir gleich an. Es wird keine Rücksicht genommen.
0. Auch ein Aristoteles ist veraltet, ebenso wie der Satz des Pythagoras. Das hat an dessen durchschlagender Beweiskraft aber nichts geändert. Kants Transzendentalphilosophie ist nach wie vor so stichhaltig wie davor. Da ändert auch eine andere Verwendung von Wörtern nichts daran.
1. Die Urknalltheorie tut dem Kant'schen Lehrgebäude nichts zur Sache. Es steht nach wie vor so fest wie davor. Die Urknalltheorie zeigt doch eben nur wieder eines: Das der moderne Empiriker nicht unterscheiden kann zwischen den zwei Modi der Kategorie der Kausalität. Als Verstandesgrundsatz formuliert bedeutet sie die relative Kausalität (die wir auch ausschließlich in unserer Erfahrungswelt wahrnehmen, sonst nichts): als das Bedingende (Bestimmte), das selbst wieder bedingt ist. (d.h. Ursachen in der Erscheinungswelt sind nicht wirklich Ursache im idealen Sinn, sondern anschaulich selbst nur wieder Wirkung einer vorhergehenden Ursache). Als Vernunftprinzip sind sie die reine Kausalität: als das Bedingende, das selbst unbedingt ist (d.h. eine Erstursache, die selbst nicht wieder Wirkung einer vorhergehenden Ursache ist; In den Erscheinungen finden wir sowas niemals vor).
Die Urknalltheorie versucht also an das Vernunftprinzip zu appellieren (denn, unser Denken ist durchaus genötigt anzunehmen es gäbe eine unbedingte Ursache), kann aber auch trotzdem die Grenze nicht überschreiten, nämlich die Frage was denn überhaupt den Urknall ausgelöst hat. Die Urknalltheorie ist also fast genau so "Idee" wie Gott, Freiheit, Seele, usw. Nur das die Urknalltheoretiker sich anmaßen, dass die Erscheinungswelt tatsächlich eine "Anfangssingularität" hätte. Der Astrophysiker mutiert zum Mystiker.
Die Kant'sche Antinomien haben also auch mehrere Jahrhunderte später nicht an Durchschlagskraft verloren. Nach wie vor tappt man im Dunkeln, trotzdem glaubten sich ja solche wie Hegel, Fichte, Nietzsche und wie sie sonst noch so alle heißen den "ollen Kautz" überwunden zu haben. Na, das soll mir mal einer zeigen!
2. Und da mögen wir noch so viele kleine Teilchen finden, seien es nun Atome, Elektronen, Neutronen, Protonen, Quarks, usw. Es wird nichts daran ändern (und hat auch nichts geändert daran), dass unser Erfahrungsbegriff trotzdem immer die drei Analogien der Erfahrung enthält (d.h. Substanz + Akzidenz, Kausalität und Wechselwirkung). Da kannst du noch so sehr die empirische Trickkiste herzaubern. Das ändert nichts. Sinnlichkeit und Verstand gehören immer zusammen, Empirie und Rationalismus immer im Verbund. Auch der Empirismus wird niemals über die Sätze a priori sich hinwegschleichen können, da sie nun mal allgemeingültig und universell sind (d.h. wir können sie uns gar nicht als unmöglich vorstellen oder negiert wahrnehmen; Kausalität ist immer da, egal wo wir auch hinblicken in der Sinnenwelt, da sie Teil unseres Verstandesapparates ist). Diese Anmaßung hatten in der Vergangenheit schon die Mystiker und Spiritisten. Nun scheint sie auch die Materialisten und Physiker ergriffen zu haben.
Noumenon schrieb am 22.08.2020:Was Kant ebenfalls nicht kannte - das Semiotische Dreieck, welches Ausgangspunkt zumindest meiner Überlegungen ist
Das ist selbstverständlich Blödsinn. Sicher kannte Kant nicht das "semiotische Dreieck" als Sprachmodell. Aber er selbst verwendete und musste auch notwendigerweise zu einem solchen, ganz ähnlichen Modell, kommen, denn sonst wären die Verstandeskategorien überhaupt gar nicht auf die Welt der Erscheinungen anwendbar und eben nur "leere" Begriffe. Das, was zwischen Begriff und Anschauung vermittelt ist das Schema. Der Verstand wiederum bedient sich der Einbildungskraft durch diese Schemata um die Kategorien zu versinnlichen, d.h. ihnen Inhalt zu geben. Wir wüssten nichts von der Kategorie der Kausalität wenn wir nicht den Prüfstein, die Natur, sinnlich vor uns hätten. Was du beschreibst als "deine Überlegungen" ist nur Wiedergekäutes, das schon Kant Jahrhunderte zuvor längst formuliert hat. So viel zu "Kant ist veraltet". Die Probleme sind immer noch dieselben, nach wie vor.
Noumenon schrieb am 22.08.2020:Fakten bestehen unabhängig von uns Menschen, werden von uns entdeckt und sind objektiv.
Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Das bedarf einer etwas tiefergehenden Erläuterung. Das, was unabhängig von unserem Verstand existiert, ist uns unzugänglich. Was wir in der Natur, in der Welt der Erscheinungen vorfinden bzw. entdecken, kann nur deshalb gefunden werden, weil es unser Verstandesapparat zulässt und sie systematisch ordnet. Wie da das "an sich" beschaffen ist, da wissen wir nix von. Und werden es auch nicht, denn es erfordert, dass wir, unser Bewusstsein, etwas von etwas wissen soll, dass gänzlich unabhängig von unseren Verstandeskategorien operiert. Wie soll das aber gehen? Selbst das Verwenden eines Messinstruments wird ja immer noch von einem Bewusstsein getätigt, und die Ergebnisse müssen weiterhin mithilfe unseres Verstandes interpretiert werden. Ebenso wurde auch das Messinstrument innerhalb der Verstandeskategorien gebaut und entwickelt. Wir sind gänzlich gefangen in unseren eigenen Grenzen. Fakten bestehen also nicht unabhängig vom Menschen. Sie sind Teil des Menschen bzw. des Bewusstseins. Und ja, diese sind gesetzmäßig. Aber "unabhängig" ist das nichts. Das wäre anmaßend. Vom "Ding an sich" weißt du genauso wenig wie jeder andere.
Noumenon schrieb am 22.08.2020:'Atom' ist eine Bezeichnung und besteht nicht aus Protonen, Neutronen und Elektronen, sondern aus vier Buchstaben. Und auch wenn wir uns auf Fakten in der Realität beziehen, sind unsere Vorstellungen bzw. Konzepte von Atomen subjektiv und nicht zuletzt auch stets dem aktuellen Stand der Wissenschaft verschuldet
Nichts anderes sagt Kant. Begriff ist hier nicht zu verwechseln mit Wort/Bezeichnung. Ein Begriff, im Kant'schen Sinne, ist eine innere Dauervorstellung (auf die wir die Kategorien, Schemata und Verstandesgrundsätze angewendet haben), die wir uns von einem Gegenstand der Sinnenwelt gebildet haben und auch unabhängig vom Wahrnehmen des Gegenstandes fortwährend im Verstand existiert. (z.B. das wahrgenommene Haus, das man nun auch wenn man ganz woanders ist gewahrt und damit erwartet, dass auch in Zukunft dieses Haus noch am selben Ort steht) Die Begriffe, die wir uns vom Atom gebildet haben, haben, ganz richtig, nur subjektiven Charakter. Objektiv sind sie erst, was notwendig (in einem „Bewußtsein überhaupt“, s. d.) verknüpft ist, was gemäß der Gesetzlichkeit des erkennenden Bewusstseins an der Hand des Erfahrungsmaterials notwendig und allgemeingültig gesetzt wird.
Noumenon schrieb am 22.08.2020:Das gilt selbst für so einfache Dinge wie Baum, Wald, Stuhl oder Tisch. Es gibt zwar Fakten, auf die wir uns mit diesen Konzepten beziehen, aber die Natur selbst kennt diese Konzepte nicht. Sie weiß nicht, was genau - bspw. welcher Baum, Stein, Zweig oder Krümel - noch alles zu "Wald" gehört und was nicht.
Auch dem widerspricht Kant keinesfalls. Was ist denn "die Natur selbst" ? Die Natur selbst kann nur das sein, was außerhalb der Kategorien, Schemata und Verstandesgrundsätze, mehr noch, außerhalb unserer Sinne liegt. Davon können wir aber, lieber Noumenon, nichts wissen! Sie, die Natur selbst (ihr "an sich"), ist ja gerade, deinem Namen entsprechend, noumenal. Eine Welt der Dinge an sich. Die Begriffe (oder wie du es nennst "Konzepte"), die wir uns von den Gegenständen bilden, sind unser eigenes Produkt, das aber nicht regellos, sondern gemäß fester Regeln und Grundsätze abläuft.
Noumenon schrieb am 22.08.2020:Letztes Beispiel: Planet. Warum gibt es nur noch 8 Planeten in unserem Sonnensystem, nicht 9...? Ist einer explodiert? Nein, geändert hat sich nur eines: Unser Konzept bzw. unsere Vorstellung hinter der Bezeichnung 'Planet'. So gesehen gibt es Planeten also überhaupt nicht, sondern nur Fakten, auf die wir uns mit unserem Konzept hinter der Bezeichnung 'Planet' beziehen, oder auch nicht.
Ich sehe immer noch nicht, inwiefern hier dies Kant widerlegen soll. Im Grunde genommen ist das doch alles wiedergekäut, was Kant doch schon längst selbst erwähnt hatte. Du verwendest lediglich nur andere Bezeichnungen für ein- und dasselbe. Kant würde dein Beispiel folgendermaßen formulieren: Wir haben uns von einer Anschauung, dem wahrgenommenen Himmelskörper, einen (Gattungs-)Begriff (Konzept) gebildet und ihn gleichsam in unser Begriffsgewebe eingefügt. Darunter hatten wir wiederum ganz bestimmte Artbegriffe, die das Wesen des Gattungsbegriffes ausmachen mitgebildet, da wir gewisse Gemeinsamkeiten in den einzelnen Erscheinungen (der Himmelskörper) suchen und nun uns ebenfalls einen Begriff von ihnen bilden, sodass wir über diese Erscheinungen ähnlicher oder gleicher Art gewahren können.
Zerlegen wir also den Begriff, so kommen wir zu den analytischen Urteilen (die unsere Erkenntnis also nicht erweitern, sondern lediglich erläutern), und da findet sich, dass wir Eigenschaften in diesen Begriff hineinlegen. Ein beispielhaftes Urteil wäre: "Saturn bewegt sich in einer Umlaufbahn um die Sonne". Im Begriff des Saturn ist der Begriff des Planeten bereits enthalten, im Begriff des Planeten wiederum ist das Prädikat der Umlaufbahn um die Sonne enthalten, da wir ja gemäß dieser Bildungsregel/Eigenschaft unseren Begriff vom Planeten gebildet haben.
Eine Umänderung der Definitionen was ein Planet ist, ändert selbstverständlich nichts an dessen Erscheinung (ebenso wenig wie an seinem hypothetischen zugrundeliegendem Ding an sich), die wir nach wie vor am Himmel beobachten können. Auch Kant sagt nichts anderes. Wir ändern lediglich nur Relationen in unserem Begriffsgewebe. Kant tat auch dasselbe mit den reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit. Er änderte die Relation dahingehend, dass sie nicht länger "Dinge an sich" seien, sondern eben a priori sind, d.h. Begriffe sind, die wir vor aller Erfahrung gewahren und notwendigerweise in unsere Erfahrung immer mit hineinlegen müssen, da sonst Erfahrung unmöglich wäre (=> Bedingungen zur Möglichkeit von Erfahrung). Sonst hat sich nichts geändert, ebenso wenig hat sich damit nicht das geringste darüber geändert was wohl eine "objektive" Zeit und ein "objektiver" Raum wäre.