mjk-17 schrieb:Ein Fragezeichen bleibt bei mir: Der ursprüngliche Haftbefehl basiert ja nicht auf der Aussage des Knastzeugens, da sich ST zu dem Zeitpunkt schon lange in U-Haft befand, also inwiefern kann dieses Aussage dann ursächlich für die Aufhebung sein. Der dringende Tatverdacht musste ja auf anderen Tatsachen basieren?
Zu dem damaligen Zeitpunkt belastete ST vor allem die Aussage von Verena, die sich aber später als Irrtum herausgestellt hat.
Lindström schrieb:Welche Indizien sind denn jetzt aktuell noch gegeben?
@Tiergarten hatte mal die Indizien sehr schön zusammengestellt (nochmal ein Danke dafür). Das muss man nun mal aktualisieren:
Tiergarten schrieb am 25.05.2025:1.
Spekulation bei der Polizei
ST wurde während seiner ersten Zeugenbefragung bei der Polizei gebeten, einmal auszumalen, wie denn ein Überfall auf Hanna abgelaufen sein könnte. Auf dieses aus meiner Sicht eigenartige Ansinnen hätte ST einfach sagen können: „Ich weiß es nicht, keine Ahnung“.
Stattdessen hat er sich zu Spekulationen verleiten lassen, dass der Täter Hanna „eine draufgehauen“ haben könnte, eventuell mit einem Stein - was womöglich aber nicht gleich zum Tod von Hanna geführt habe.
Das kann Täterwissen gewesen sein - aber auch reine Phantasie. Daher:
Indizwert: eher schwach.
das ist und bleibt schwach und jedenfalls für eine Begründung einer Verurteilung ungeeignet
Tiergarten schrieb am 25.05.2025:2.
„Kronzeugin“ Verena
Sie galt einst als eine Art Kronzeugin, doch dann brach dieses Indiz zusammen: Die Schilderung von Verena R., dass Sebastian T. ihr am Abend des Tattages 3.10. 2022 bei einem längeren Spaziergang von der Ermordung einer jungen Frau in Aschau berichtet habe, liess sich nicht aufrecht erhalten.
Zwar war Verena R. am 3.10. frühabends kurzzeitig in Aschau eingeloggt (wohl um ST nach einem Ausflug an den Chiemsee wieder heimzubringen), doch den Abend über war die junge Frau zu Hause bei Traunstein, was durch Chats und Anrufe belegt ist.
Verena R. korrigierte das Treffen mit T. dann auf den 5.10.; später erwies sich der 4.10. als der korrekte Termin. Im Prozess machte Verena R. von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.
Indizwert: Null
wie
@Tiergarten richtig schreibt, inzwischen völlig wertlos
Tiergarten schrieb am 25.05.2025:3.
Aussage Lea R.
Die Schwester von Lea R. erwies sich als wesentlich robuster. Sie blieb bei der Polizei und vor Gericht konstant bei der Aussage, dass Sebastian T. bei einem Ausflug zum Chiemsee unvermittelt erklärt habe, in Aschau sei in der Nacht ein Mädel umgekommen. Das war zu einem Zeitpunkt am 3.10. 2022, als die Kunde vom Todesfall noch nicht die Öffentlichkeit erreicht hatte.
Die Begleiter von Lea R. und Sebastian T. gaben allerdings zu verstehen, sie hätten eine solche Preisgabe von Täterwissen nicht gehört. Das Vorgängergericht stufte die Aussage von Lea R. gleichwohl als voll glaubwürdig ein.
Indizwert: eher stark
das dürfte jetzt das entscheidende Indiz sein. Es muss geprüft werden, ob Lea oder Raffi sich irrt. Hätte das Gericht im ersten Prozess eine Prüfung des Handys von Raffi nicht unterlassen, wüsste man nun mehr.
Tiergarten schrieb am 25.05.2025:4.
„Spassgeständnis“
Während einer sogenannten Hausparty am 17.11. 2022 bei der Familie R. In Bernhaupten, als die Sprache auf den Mord an Hanna kam, bekannte sich Sebastian T. zu dem Verbrechen. Sinngemäss sagte er. „Ja, ich war’s. Ich habe Hanna umgebracht“.
Die Teilnehmer reagierten geschockt, aber auch ungläubig. Weil man ihm einen Mord nicht zutraute, sprach man von einem (schlechten) Scherz. Später machte das Wort „Spassgeständnis“ die Runde, um das Mordbekenntnis des an diesem Abend auch stark alkoholisierten Sebastian T. herunterzuspielen.
Allerdings: Als er das Geständnis zum besten gab, war T. wohl noch nüchtern. Frau R., die wie ihre Töchter zugegen war, sah sich veranlasst, T. spontan zu anwaltlichen Beistand zu raten - was bei einem „ Spassgeständnis“ ja völlig überzogen und unsinnig gewesen wäre. Ein Kumpel von T. machte das Mordbekenntnis so zu schaffen, dass er in der Folge mit psychosomatischen Belastungen einen Arzt aufsuchte.
Aus meiner Sicht hat Sebastian T., der tags darauf verhaftet wurde, das iGeständnis nicht spaßig, sondern ernst gemeint.
Indizwert: hoch
an der Stelle bin ich anderer Meinung als @Tiergarten. Ich halte dieses "Spassgeständnis" (oder eher "Frustgeständnis") für unverwertbar. Wie das Gericht das sieht, wird man erleben. Eventuell werden dazu ja auch nochmal die Zeugen eingehender befragt, um die Natur dieses Geständnisses besser kennenzulernen.
Tiergarten schrieb am 25.05.2025:5.
Schilderung des „Knastzeugen“
Viel Wirbel löste Adrian M., zeitweilig Mithäftling von Sebastian T., mit der Behauptung aus, T. habe ihm in der Zelle gestanden, dass er Hanna W. umgebracht habe.
Er, T.,habe die junge Frau aus sexuellen Motiven überfallen und sie geschlagen, um sie bewusstlos und wehrlos zu machen, berichtete Adrian M. unter Berufung auf seinen Mithäftling. Später habe T. Hanna dann nach eigenen Angaben in den reißenden Bärbach geworfen, wo sie ertrank.
Die Verteidigung brandmarkt Adrian M. als „notorischen Lügner“ und wirft ihm vor, das angebliche Geständnis erst Monate später gemeldet und dabei auf Vorteile im eigenen Prozess (mit derselben Vorsitzenden Richterin) geschielt zu haben.
Während die vorherige Kammer dem „Knastzeugen“ Glaubwürdigkeit attestierte und dessen Aussage zulasten von Sebastian T. verwertete, reagierte das neue Gericht und gab ein Gutachten in Auftrag, um die Glaubwürdigkeit von Adrian M. Prüfen zu lassen.
Wenn M. als glaubwürdig eingestuft wird und bei seinen Aussagen bleibt, könnte das ein maßgeblicher Stützpfeiler für die Anklage sein - andernfalls geriete eine erneute Verurteilung wohl eher ins Wanken.
Indizwert: hoch, aber wackelig.
richtig, wackelig, und jetzt umgefallen und wertlos
In Summe: aus meiner Sicht dreht sich jetzt alles darum zu schauen, ob datentechnische Überprüfung Leas oder aber Raffis Aussage stützen. In der Position der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts würde ich bereits jetzt das Versäumnis aus dem ersten Prozess, eine Prüfung von Raffis Handy, nachholen. Wenn diese Leas Aussage stützt, dann würde ich weiterhin einen dringenden Tatverdacht sehen.
Sollte aber die Prüfung von Raffis Handy der Aussage von Lea entgegenstehen, meine ich, dass es unverantwortlich wäre, überhaupt noch einen neuen Prozess zu starten.