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Hanna W. tot aus der Prien geborgen

14.331 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Club, Getötet, Rosenheim ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Hanna W. tot aus der Prien geborgen

Hanna W. tot aus der Prien geborgen

25.06.2025 um 19:56
Zitat von RedRalphRedRalph schrieb:1) Eine vollkommen unabhängige Anklagebehörde (keine Weisungen vom Justizministerium möglich)
2) Eine Berufungsinstanz bei Kapitaldelikten, hierzu ein ganz aktueller Fall:
https://www.sueddeutsche.de/panorama/kreuzfahrt-italienisches-gericht-hebt-mord-urteil-gegen-deutschen-auf-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-250529-930-607033
Ist jetzt Off-topic, aber der Kreuzfahrt-Fall ( zu dem es auch nen eigenen Thread gibt, wo wir ggf weiter diskutieren können) scheint kein sehr geeignetes Beispiel für Vorteile der italienischen Justiz betreffend Tatsacheninstanzen. Was in dieser "Berufungsinstanz" genau passiert ist wird nicht berichtet, aufgehoben wurde die erste Instanz jedenfalls wegen logischer Fehler des Urteils (mit der Begründung kann auch eine Revision in Deutschland Erfolg haben). Der Angeklagte war jedenfalls beim Prozess dort nicht dabei, insofern ist zweifelhaft, ob das eine ernst zu nehmende Tatsacheninstanz sein kann. Ende Offtopic.
Zitat von fassbinder1925fassbinder1925 schrieb:Das ist ja was anderes. Aber die Beispiele die ich aufgezählt habe, sind in meinen Augen ein absoluter Logikverstoß. Und der BGH wendet dann ja auch nicht „in dubio pro reo“ an, sondern hebt das Urteil auf und es geht zu einer anderen Strafkammer, genau wie es jetzt auch so geschehen ist.
Ja. Nicht auszuschließen, dass auch die Logik - Verstöße bei der Beweiswürdigung als "Verstoß gegen Denkgesetze" ggf gereicht hätten, hätte es nicht ohnehin den absoluten Revisionsgrund Besorgnis der Befangenheit gegeben.


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Hanna W. tot aus der Prien geborgen

25.06.2025 um 21:08
Zitat von BohoBoho schrieb:Er liest zwar eifrig online drüber und unterhält sich intensiv mit einer Freundin darüber,
Er hat ein oder zwei Artikel aufgerufen. "Eifrig" ist etwas anderes. Und er hat sich darüber mit einer Freundin unterhalten wie alle anderen auch.

Ich finde es erstaunlich, dass es ständig um das "Nicht-Melden" geht.
Hier ist nochmal zur Erinnerung der erste Aufruf:
Wer hat die Getötete im Musikclub "Eiskeller" gesehen oder hatte dort Kontakt mit ihr?

Befand sich die 23-Jährige in Begleitung oder hatte sie dort mit jemandem Kontakt?

Wer hat die junge Frau beim oder nach dem Verlassen des Musikclubs „Eiskeller“ oder im Laufe des Montags gesehen?

Wer hat insbesondere in den frühen Morgenstunden des Montags Wahrnehmungen in der Gemeinde Aschau im Chiemgau oder im Umfeld gemacht?

Wer kann zu folgenden Gegenständen der Getöteten Angaben machen (schwarze Umhängetasche, schwarze Damenlederjacke)?
Ich lese da nicht raus, dass sich alle melden sollen, die nachts unterwegs waren. Wenn das gemeint war, hätte die Polizei das so formulieren müssen und nicht nur nach Leuten suchen sollen, die Wahrnehmungen gemacht haben.
Wenn ich so einen Zeugenaufruf sehe, gehe ich davon aus, dass sich die Polizei was dabei gedacht hat.

Am 19.10. um 16.20 kam dann der Aufruf nach dem Jogger. Am 20.10. um 6:52 Uhr hat sich die Mutter gemeldet. Schneller geht es wohl kaum.
Dass er grundsätzlich keine Lust auf die Aussage hatte, trifft wahrscheinlich auf 90% aller Gleichaltrigen zu.


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26.06.2025 um 13:34
Zitat von fassbinder1925fassbinder1925 schrieb:Anderseits ist eine generelle Möglichkeit der Berufung in solchen Fällen, schon extrem aufwendig in verschiedenen Punkten. Gedacht wurde sich schon was dabei.
Auch in einem Zivilprozess im privaten Baurecht kann eine Berufung extrem aufwendig sein und dennoch gibt es die Möglichkeit generell. Vor allem große Baufirmen mit dickerer Brieftasche können so durch langwierige Verfahren private Kläger*innen, denen irgendwann das Geld für das Verfahren ausgibt, weil es auch nie eine Rechtsschutz finanziert, zu Vergleichen drängen, die womöglich ungünstiger sind als wenn es bis zum Schluss ausgeurteilt würde. Aber was kann existenzvernichtender oder unerträglicher sein als ein "lebenslänglich" zu Unrecht sein oder ein/e mit einem Freispruch davonkommende Mörder*in, weil in der ersten Instanz die Beweise noch nicht richtig zusammen getragen worden sind?

Man könnte ja daran denken, eine Berufung ab 10 Jahren Freiheitsstrafe generell zuzulassen bzw bei einem Freispruch, wenn mindestens 10 Jahre gefordert waren von der StA.


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26.06.2025 um 18:59
Zitat von RedRalphRedRalph schrieb:Auch in einem Zivilprozess im privaten Baurecht kann eine Berufung extrem aufwendig sein und dennoch gibt es die Möglichkeit generell.
In einem, Zivilprozess wird in der Berufung aber regelmäßig nicht eine erstinstanzliche Beweisaufnahme wiederholt. Kann in einzelnen Punkten passieren, ist aber die Ausnahme. Der Unmittelbarkeit und Mündlichkeitsgrundsatz besteht auch nicht, sodass es recht unproblematisch ist, dass das Berufungsgericht nicht alle Zeugen selbst gehört hat.

Im Strafprozess bedeutet (wie jetzt hier nach der erfolgreichen Revision), dass das letztlich über Schuld oder Unschuld entscheidende Gericht alle Beweise selbst in der Hauptverhandlung hören muss. Dass hat auch gute Gründe.

Man will aber nicht - insbesondere auch bei schweren Strafen mit in der Regel langen Verhandlungen und Beweisaufnahmen - nochmal alle Zeugen nach Jahren hören. Das wird mit der Zeit in der Regel nicht besser sondern nur ungenauer.

Berufungen machen daher im Strafprozess wenig Sinn m. E.


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26.06.2025 um 19:27
Zitat von abgelenktabgelenkt schrieb:Das wird mit der Zeit in der Regel nicht besser sondern nur ungenauer.

Berufungen machen daher im Strafprozess wenig Sinn m. E.
Sinnvoller als Berufungen wäre in der Tat eine Protokollierungspflicht während des Prozesses. Damit könnte dann tatsächlich Ungenauigkeiten vorgebeugt werden. Kaum ein Richter ist dazu in der Lage, sich Stichworte zu machen und gleichzeitig Zeugen zu vernehmen oder ihnen zumindest zuzuhören


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26.06.2025 um 19:32
Zitat von Fridolin31Fridolin31 schrieb:Hingegen hätte sie für die Anklage als Belastungszeugin fungieren können, falls sie über verdächtiges Nachtatverhalten berichtet hätte.
In den 1,5 Stunden ging es wohl nicht nur um das Nachtatverhalten. Aber wie sich hier schön gezeigt hat, dient es halt nicht unbedingt der Aufklärung eines Falles, eine Bekannte eines Zeugen 1,5 Stunden nach „verdächtigen“ Verhalten auszufragen und dann die Angaben dieser Zeugin ungeprüft zu übernehmen. Na wer hätte sich denn sowas denken können?
Zitat von abgelenktabgelenkt schrieb:Man will aber nicht - insbesondere auch bei schweren Strafen mit in der Regel langen Verhandlungen und Beweisaufnahmen - nochmal alle Zeugen nach Jahren hören. Das wird mit der Zeit in der Regel nicht besser sondern nur ungenauer.

Berufungen machen daher im Strafprozess wenig Sinn m. E.
Ich denke auch, dass Fehlurteile im Strafrecht durch andere Wege als zusätzliche Instanzen vermieden werden müssten. Neben dem extrem großen Aufwand und dem Verblassen der Erinnerung der Zeugen, sehe ich vor allem die Gefahr, einer Zwei-Klassen-Justitz gegeben. Es werden sich immer nur bestimmte Personengruppen eine Berufung leisten können und dadurch wird die Wahrscheinlichkeit noch größer, dass das Einfluss auf die Entscheidung mit sich bringt. Zusätzlich könnte der Staat sich immer eine Berufung leisten, wird es dann eventuell ungleich schwerer einen Freispruch zu bekommen und zu halten?

Dass Nachbesserungen notwendig sind, hat vor allem für Bayern Frau Rick in den letzten Jahren ganz gut aufgezeigt, wäre wirklich schön, wenn dieser Fall dazu beitragen würden, dass sich politisch in diese Richtung was tut.


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27.06.2025 um 09:12
Zitat von abgelenktabgelenkt schrieb:Man will aber nicht - insbesondere auch bei schweren Strafen mit in der Regel langen Verhandlungen und Beweisaufnahmen - nochmal alle Zeugen nach Jahren hören. Das wird mit der Zeit in der Regel nicht besser sondern nur ungenauer.
Du hast Recht, im Laufe der Zeit wird es nicht einfacher. Trotzdem sehe ich es eher wie @RedRalph, aus meiner Sicht bräuchte man zumindest eine irgendwie geartete weitere Instanz. Ein Revisionsverfahren dauert auch lang und der Angeklagte darf dabei noch hoffen, dass der BGH irgendetwas findet, was er überhaupt rügen darf (um es mal polemisch auszudrücken).

Dieser Fall hier war noch rel. transparent, weil die Fehler so offensichtlich waren (auch bei der Beweiswürdigung) und der Prozess einigermaßen gut dokumentiert ist. Aber andere Fälle sind vielleicht viel komplexer, das kann der BGH (resp. der berichterstattende BGH-Richter) doch teilweise gar nicht so ausführlich prüfen wie es eigentlich erforderlich wäre. Und auch Revisionsverfahren sind (erst recht bei Erfolg) teuer für einen Angeklagten, das kann sich auch nicht jeder leisten. Das gilt ja leider auch schon fürs Hauptverfahren, allein daran krankt schon das System.

Wie genau diese Lösung aussehen soll, könnte ich spontan auch nicht sagen. Und ich sehe auch das Problem von @rabunsel, dass der Staat für eine Berufung ggf. mehr finanzielle Mittel hätte als der Angeklagte.
Vielleicht sollte es zumindest eine Art Urteilsüberprüfung geben, auf die man ab einer gewissen Strafhöhe Anspruch hätte. Voraussetzung wäre natürlich, dass wirklich alle Aussagen videoprotokolliert wären. Nur bringen diese eben nur etwas, wenn es dann auch entsprechende Mittel gäbe, das Urteil irgendwie anzufechten. Weil allein das Protokoll ja leider das Fehlurteil noch nicht verhindert.

Es gibt dazu einen sehr interessanten Artikel von Yves George in der ZEIT (leider hinter Paywall, sodass ich ihn hier nicht verlinken kann).


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27.06.2025 um 13:36
Zitat von abgelenktabgelenkt schrieb:Berufungen machen daher im Strafprozess wenig Sinn m. E.
Dann müsstest Du konsequenterweise dafür sein, generell bei Strafurteilen die Berufung abzuschaffen, insbesondere wenn es um Dinge wie Trunkenheitsfahrten, Wirtshausschlägereien, kleiner Drogendelikten oder Fahrerflucht, nicht zu vergessen Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen wie bei Klimakleber*innen. Fakt ist nun einmal, dass gegen erstinstanzliche Urteile des Amtsgerichts auch im Strafrecht die Berufung zum Landgericht möglich ist. Und bei vielen dieser Delikte ergeht zuerst einmal ein Strafbefehl, gegen den erst einmal Einspruch erhoben wird, so dass es doch zur mündlichen Verhandlung vor dem AG kommt. D.h. mit der Berufungsmöglichkeit zieht sich das Verfahren schon hin.


Und wenn man den Aufwand für Berufungen bei kleineren Delikten in Summe nimmt, dürfte dieser für die Justiz insgesamt deutlich größer sein, als wenn man bei wirklich ganz schweren Strafen diese noch zulassen würde, auch wenn der Prozentsatz an Berufungseinlegungen bei diesen Delikten (auch wenn man die mit weniger als 15 Tagessätzen schon rausnimmt, weil da Berufung ausgeschlossen ist) dann sicherlich deutlich höher wäre als er derzeit im Hinblick auf erstinstanzliche Urteile des Amtsgerichts in Strafsachen ist.

Mich persönlich stört es einfach, dass auch eine Möglichkeit der Verletzung des in dubio pro reo Grundsatz bei lebenslänglichen Verurteilungen theoretisch doch nur sehr begrenzt revisibel ist. Ich halte es bei Indizienprozessen wie diesem oder dem Badewannenmord oder Ammerseekiste für problematisch, dass es keine gibt, dass der festgestellte Sachverhalt nicht noch einmal überprüft werden kann, bevor es zu einem Wiederaufnahmeverfahren käme. Im Eiskellerfall hat der Angeklagte das Glück, dass die Richterin selten ungeschickt und absolut unprofessionell agiert hat. Hätte sie das dezenter gemacht, so wäre die Revision wohl erfolglos geblieben und trotzdem wäre sie wohl kaum weniger voreingenommen gewesen aber mit einem auf diese Weise erzielten lebenslänglich müssten dann alle leben.
Zitat von abgelenktabgelenkt schrieb:Das wird mit der Zeit in der Regel nicht besser sondern nur ungenauer.
Das ist richtig, aber das Argument lässt sich in manchen Fällen auch umdrehen: Im Fall der Entführung und des Todes von Ursula Herrmann lagen zwischen Tat und Prozesseröffnung stolze 36 Jahre. Und man nimmt es hin, dass eine Verurteilung mehr oder weniger auf Zeugenaussagen basierte. Ein Vernehmungsprotokoll eines Verstorbenen....keiner kann mehr sagen, wie die Vernehmung damals genau lief (unter dem hohen Druck, unter dem die Polizei stand). Personen, die 1986 Kinder waren, wollten noch wissen, welche Art von Tonbandgerät der Angeklagte damals gehabt haben soll.

Richter*innen sind auch nur Menschen und lassen sich von Eindrücken leiten, von Emotionen, Sympathie und Antipathie. Angesichts mancher Entscheidungen von so schwerwiegender Tragweite sollte unser Rechtsstaat in manchen Fällen dieser Art eine zweite Tatsacheninstanz ertragen können.
Zitat von XluXXluX schrieb:Wie genau diese Lösung aussehen soll, könnte ich spontan auch nicht sagen. Und ich sehe auch das Problem von @rabunsel, dass der Staat für eine Berufung ggf. mehr finanzielle Mittel hätte als der Angeklagte.
Das ist in der Tat dann das Thema, wie man es eingrenzen könnte. Vielleicht sollte über eine Zulassung der Berufung entschieden werden und ein Kriterienkatalog festgemacht werden. Hier ein paar Gedanken dazu:
-wenn eine Verurteilung/Freispruch u.a. von der Aussage einer zwischenzeitlich verstorbenen Person abhängt und diese Aussage vor mehr als 5 Jahren getätigt worden ist
-bei reinen Indizienprozess , sofern man diesen Begriff greifbar in eine Legaldefinition bringen kann, auf jeden Fall bei Kapitaldelikten immer dann, wenn es weder verwertbare DNA-Spuren noch Zeug*innenaussagen, die die Tatausführung beobachtet haben und Täter*innen identifizieren können
-Verurteilungen wegen Kapitaldelikten, bei denen keine Obduktion stattgefunden hat und eine solche wegen Verbrennens der Leiche nicht mehr stattfinden kann oder wenn die Obduktion als Todesursache kein Tötungsdelikt feststellt und Ermittlungen erst aufgenommen werden, nachdem eine erneute Obduktion nicht mehr möglich ist oder bei denen die Obduktion nicht mit hinreichender Sicherheit die Todesursache ermitteln kann und es keine Zeug*innenaussagen gibt, die zumindest das Vorliegen eines Kapitaldelikts zweifelsfrei bestätigen können

Das sind jetzt nur mal ein paar Brainstorming-Gedanken, die Inspiration kommt von realen Fällen. Diese Ansicht muss niemand teilen. Für mich ist es leichter erträglich, wenn ein Rechtsstaat in diesen strittigen Fällen noch eine zweite komplette Tatsacheninstanz gewährt als dass es in Kauf genommen wird, dass trotz objektiv dünner Beweislage eine Person lebenslänglich ins Gefängnis geschickt wird. Den Angehörigen von Opfern, die sich verständlicherweise an den letzten Strohhalm der Aufklärung, was genau mit ihren Lieben geschah, klammern, wird meines Erachtens bei Verurteilungen von wenig sympathischen und möglicherweise komplett empathielosen aber eventuell objektiv unschuldigen Angeklagten nicht wirklich geholfen. Das ist eher "Opium für das Volk", um das "gesunde Volksempfinden" insbesondere im wirklich schönen Oberbayern, wo man halt noch "Recht und Ordnung" sehen will, zu beruhigen.


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27.06.2025 um 16:50
Zitat von RedRalphRedRalph schrieb:Für mich ist es leichter erträglich, wenn ein Rechtsstaat in diesen strittigen Fällen noch eine zweite komplette Tatsacheninstanz gewährt als dass es in Kauf genommen wird, dass trotz objektiv dünner Beweislage eine Person lebenslänglich ins Gefängnis geschickt wird.
Da kann ich nur zustimmen, das ist in Verbindung mit der fehlenden Protokollierung ein Unding. Eine Wiederaufnahme ist eh schon schwer zu erreichen (insbesondere wenn dafür neue, entlastende Indizien oder Zeugenaussagen gefunden werden müssen). Wenn in der Zwischenzeit Jahre vergehen, stehen manche Zeugen gar nicht mehr zur Verfügung oder haben keine Erinnerung mehr an den Fall.
Und nicht immer sind neue Indizien für sich allein so aussagekräftig wie im Fall Genditzki oder Rupp.


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27.06.2025 um 18:37
@XluX
@RedRalph
@rabunsel
@abgelenkt

Es gibt mehrere Schwierigkeiten im hiesigen Justizsystem. Diese sind schon lange bekannt. Kritisiert wird z.B. die gerade in Bayern enge Zusammenhalt zwischen StA und Berufsrichtern. Das fördert ein Korps-Verhalten. Man kann natürlich immer sagen, dass es auch eine individuelle Sache der Richter sei. Aber man schafft so eine Gefahrenquelle für Fehlurteile.
Vor dem Hintergrund, dass es keine zweite Tatsacheninstanz gibt,ist es nicht verständlich, dass nicht wenigstens die Zulassung der Anklage und die eigentliche Verhandlung zwischen zwei Kammern aufgeteilt wird.
Ich habe den Eindruck, dass alles auf billig getrimmt ist, bloß nicht zu viel Geld in die Hände nehmen. Das gilt auch bei den Entschädigungen im Falle eines raus gekommenen Justizirrtums. "Wer billig kauft, kauft zweimal" gilt leider nicht in der Justiz. Revisionen und Wiederaufnahmen sind höchst selten. Dieses "Billig" baden dadurch die unschuldig Verurteilten aus.

Hier ein Artikel eines Psychologen, der die Fehlermechanismen in der Justiz genauer betrachtet, lesenswert.

https://strafverteidigertag.de/wp-content/uploads/2024/09/43-SchrRStVV-Effer-Uhe.pdf

Viele in diesem Fall gemachten Fehler werden dadurch leichter erklärbar. Diese Mechanismen werden kaum im Recht berücksichtigt, dadurch kommt es extrem auf die Richter selbst an.

Aßbichler hat schallende Ohrfeigen vom BGH erhalten. Man muss sich auch fragen, es gab auch vier andere Richter. Was hat sie geritten? Gerade solche Fälle zeigen, dass das kein ausreichender Schutz gegen Fehlurteile sind.


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27.06.2025 um 19:56
Zitat von Rigel92Rigel92 schrieb:Kritisiert wird z.B. die gerade in Bayern enge Zusammenhalt zwischen StA und Berufsrichtern. Das fördert ein Korps-Verhalten. Man kann natürlich immer sagen, dass es auch eine individuelle Sache der Richter sei. Aber man schafft so eine Gefahrenquelle für Fehlurteile.
Dem kann ich nur zustimmen. Der "Korpsgeist" ist in Bayern (und vielleicht Sachsen, die das System von Bayern nach der Wende übernommen haben) quasi "systemimmanent", denn die Rotation zwischen Staatsanwaltschaft und Richterschaft ist dort die Regel. In anderen Bundesländern wie Hessen ist es eher die Ausnahme. Als ich Referendar in Bayern war, wurde die Leitende Oberstaatsnwältin direkt Präsidentin des Landgerichts, was den Richter*innen am Anfang etwas zu schaffen machte, weil sie zunächst ein Gericht führen wollte, wie sie es zuvor bei der StA gewohnt war. Ein früherer Referendarkollege wurde Staatsanwalt. Er handelte sich eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein, weil er im Verfahren den Namen einer Entlastungszeugin trotz Nachfragen der Verteidigung nicht weitergab, sondern behauptete ihn nicht zu haben. Als "Bestrafung" wurde er versetzt und ist nun Strafrichter in einem entlegenen Amtsgericht...ob das dann eine gute Idee ist.

Ist in Hessen beispielsweise komplett anders....hat aber einen massiven Korruptionsskandal in der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt auch nicht verhindert. Dort äußerte sich der "Korpsgeist" dann wie folgt: Die Staatsanwaltschaft (!) beantragte am Anfang, den Haftbefehl für den mittlerweile Ex-Kollegen außer Vollzug zu setzen. Die Ermittlungsrichterin hatte hiergegen schwerste Bedenken, aber ihr waren die Hände gebunden.


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30.06.2025 um 00:33
Zitat von RedRalphRedRalph schrieb:Angesichts mancher Entscheidungen von so schwerwiegender Tragweite sollte unser Rechtsstaat in manchen Fällen dieser Art eine zweite Tatsacheninstanz ertragen können.
Man stelle sich das mal in Fällen wie bei Beate Zschäpe mit ihren 438 Prozesstagen vor. Oder in jahrelangen Wirtschaftsstrafverfahren. Das ist einfach nicht machbar. Zumal eine zweite Tatsacheninstanz im Einzelfall auch zu Lasten des Angeklagten wirken könnte: Freispruch nach langem Prozess, Staatsanwaltschaft legt Berufung ein, es wird wieder ewig lang verhandelt.


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30.06.2025 um 12:41
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Man stelle sich das mal in Fällen wie bei Beate Zschäpe mit ihren 438 Prozesstagen vor. Oder in jahrelangen Wirtschaftsstrafverfahren.
Das dürften Einzelfälle sein und daher für ein Pro und Contra wenig hilfreich.

In anderen Ländern wird es ebenfalls solche Einzelfälle geben, aber dort gibt es trotzdem häufig die Berufungsmöglichkeit.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Zumal eine zweite Tatsacheninstanz im Einzelfall auch zu Lasten des Angeklagten wirken könnte: Freispruch nach langem Prozess, Staatsanwaltschaft legt Berufung ein, es wird wieder ewig lang verhandelt.
Meistens befindet sich der Angeklagte dann nicht mehr in der U-Haft. Immerhin ist er von einem Gericht dann freigesprochen worden. Die soziale Ächtung wird nicht mehr ganz so groß sein.


Abgesehen davon, wenn man das so sehen will: Dann muss man andere Kompensationsmöglichkeiten ermöglichen.
Aber die gibt es nicht:

  • Wie ich schon weiter oben schrieb, wäre eine Möglichkeit der Kompensation einen Trennung zwischen den Gerichten, welche für die Zulassung der Anklage und dem eigentlichen Verfahren zuständig sind. Die gibt es nicht.
  • Eine andere Möglichkeit wäre es eine eingehendere Begründung der Revision den Anwälten zu ermöglichen. Fast ganz unabhängig von der Länge des Verfahrens (Ausnahme: Wenn später als nach 21 Monaten das Urteil zur Geschäftsstelle kommt), ist die Frist fest auf 1 Monat. Ich glaube, dass ein gewisser Teil der Revisionen deshalb nicht erfolgreich sind, weil diese Frist zu kurz ist. Hier ein entsprechender Fachbeitrag dazu:
    https://rsw.beck.de/aktuell/daily/magazin/detail/zu-starr-die-frist-zur-revisionsbegruendung
  • Und dann wird der Verteidigung zusätzlich durch die fehlende Protokollierung der Verhandlung die Revisionsbegründung erschwert, die in andern Länder häufig erfolgt.


Man sieht, der Deutschland versucht nicht diese fehlende Berufung zu kompensieren. Ganz im Gegenteil, eine Revision wird noch zusätzlich durch verschiedene Faktoren besonders erschwert.


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01.07.2025 um 01:25
Zitat von Rigel92Rigel92 schrieb:Das dürften Einzelfälle sein und daher für ein Pro und Contra wenig hilfreich.
438 Prozesstage ist selbstverständlich sehr viel, aber auch viele Wirtschaftsstrafverfahren laufen jahrelang und über 100-200 Prozesstage, und das sind nicht bloß zu vernachlässigende Einzelfälle.
Zitat von Rigel92Rigel92 schrieb:Meistens befindet sich der Angeklagte dann nicht mehr in der U-Haft. Immerhin ist er von einem Gericht dann freigesprochen worden. Die soziale Ächtung wird nicht mehr ganz so groß sein.
Die soziale Ächtung vielleicht nicht, aber erklär mal einem Arbeitgeber, warum du nicht nur die letzten 2 Jahre wegen eines Strafprozesses (oft) 1-2 Tage pro Woche verhindert warst, sondern auch die nächsten 2 Jahre sein wirst, weil alles wieder von vorne losgeht.
Zitat von Rigel92Rigel92 schrieb:Wie ich schon weiter oben schrieb, wäre eine Möglichkeit der Kompensation einen Trennung zwischen den Gerichten, welche für die Zulassung der Anklage und dem eigentlichen Verfahren zuständig sind. Die gibt es nicht.
Was soll das bringen? Nehmen wir an Gericht A lässt die Anklage zu, über die Gericht B dann verhandeln muss. Auch dann, wenn Gericht B keinen hinreichenden Tatverdacht für gegeben hält. Das leuchtet mir nicht ein.
Zitat von Rigel92Rigel92 schrieb:Und dann wird der Verteidigung zusätzlich durch die fehlende Protokollierung der Verhandlung die Revisionsbegründung erschwert, die in andern Länder häufig erfolgt.
Das sollte man tatsächlich mal ändern.


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01.07.2025 um 08:30
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Die soziale Ächtung vielleicht nicht, aber erklär mal einem Arbeitgeber, warum du nicht nur die letzten 2 Jahre wegen eines Strafprozesses (oft) 1-2 Tage pro Woche verhindert warst, sondern auch die nächsten 2 Jahre sein wirst, weil alles wieder von vorne losgeht.
Die Argumentation verstehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Wäre es dann besser, gleich für 9 Jahre (oder noch viel länger) weggesperrt zu werden, damit der Arbeitgeber mehr Planungssicherheit hat?
Schlimm genug, dass ein Unschuldiger 4 Jahre seines Lebens verliert und sein restliches Leben damit zu kämpfen hat. Deshalb sollte auch die Entschädigung deutlich höher ausfallen.

Am besten wäre es doch, wenn es gar nicht zu Fehlurteilen kommen würde. Aber da man diese nie zu 100% ausschließen kann, sollte es hier aus meiner Sicht mehr Möglichkeiten geben, ein Urteil anzufechten.

Wie sähe denn Deine Lösung aus? Hoffen, dass das Gericht einen Formfehler macht und der eigene Anwalt revisionssicher genug ist oder dass der BGH von sich aus einen Fehler findet, den er rügen darf?


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01.07.2025 um 09:48
Zitat von SmooverSmoover schrieb:438 Prozesstage ist selbstverständlich sehr viel, aber auch viele Wirtschaftsstrafverfahren laufen jahrelang und über 100-200 Prozesstage, und das sind nicht bloß zu vernachlässigende Einzelfälle.
Wie gesagt, andere Länder kommen damit auch klar. Wenn man eine Berufung scheut, müsste man das irgendwie versuchen zu kompensieren. Da muss ich erneut auf die obigen Punkte verweisen. Kompensiert wird das in D nicht im geringsten.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Die soziale Ächtung vielleicht nicht, aber erklär mal einem Arbeitgeber, warum du nicht nur die letzten 2 Jahre wegen eines Strafprozesses (oft) 1-2 Tage pro Woche verhindert warst, sondern auch die nächsten 2 Jahre sein wirst, weil alles wieder von vorne losgeht.
In seltenen Fällen wird die StA Berufung einlegen. Auch die Nebenklage wird die hohen Kosten scheuen, die dann sehr wahrscheinlich sind. Ansonsten schließe ich da @XluX an.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Was soll das bringen? Nehmen wir an Gericht A lässt die Anklage zu, über die Gericht B dann verhandeln muss. Auch dann, wenn Gericht B keinen hinreichenden Tatverdacht für gegeben hält. Das leuchtet mir nicht ein.
Die Antwort liegt doch auf der Hand oder ist Freiheit nichts mehr Wert?
Der vorliegende Fall ist doch gerade ein mahnendes Beispiel. Wenn man das Urteil liest, ergibt sich der Eindruck, dass das Gericht (min. 4 der 5 Richter) sehr stark voreingenommen war. Wäre das Verfahren in eine andere Hand gegeben worden, hätte wahrscheinlich der Angeklagte deutlich weniger als 2 1/2 Jahre in U-Haft gesessen.

Du vernachlässigst auch die Macht des ersten Eindrucks. All die psychologischen Schwierigkeiten sind schon Jahrzehnte bekannt. Nur tut man bei der Justiz so, als wenn Richter Götter sind und diesen Einflüssen nicht unterliegen.
Ich glaube Du solltest den folgenden Artikel auch mal lesen:
https://strafverteidigertag.de/wp-content/uploads/2024/09/43-SchrRStVV-Effer-Uhe.pdf

Wie gesagt, manch anderes Länder sind da deutlich besser aufgestellt und in D wird nicht mal versucht, diese starke Einschränkung irgendwie zu kompensieren oder wo so das erfolgen?


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03.07.2025 um 16:13
Zitat von XluXXluX schrieb am 20.06.2025:Und ich bin erleichtert, dass der S.T. wieder frei ist.
#metoo, bin etwas spät, dies zu erfahren und zu würdigen, aber es ist mir wichtig.
Zitat von XluXXluX schrieb am 20.06.2025:as ist zwar in diesem Fall reine Spekulation, aber grundsätzlich gebe ich Dir Recht: Im schlimmsten Fall führt nur ein Formfehler zu einer Aufhebung eines Urteils und ein Angeklagter kann nur so einen Freispruch erreichen.
Hier hat das deutsche Rechtssystem aus meiner Sicht erhebliche Defizite.
Einspruch, Defizite sehe ich hier eher in einer sorgfältigen Ermittlung und Klärung, ob eine Anklage in diesem Fall zulässig sein kann.


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04.07.2025 um 10:20
@CharliesEngel

Ich gebe Dir vollkommen Recht, je früher Fehler erkannt werden umso besser.

Jedoch ist das Ganze sehr vielschichtig.

Natürlich wäre es ideal, wenn es weder zu U-Haft noch zu einer Anklage kommt. Es gibt jedoch den Faktor Mensch. Daher sind eine ausreichende Anzahl von Überprüfungsorgane notwendig. Daher bin ich auch für eine Trennung der Gerichte für die Anklagezulassung und für das eigentliche Gerichtsverfahren. Vielleicht hätte das hier in diesem Fall die U-Haft stark verringert.

In manchen anderen Ländern gibt es mehrere Tatsacheninstanzen. Und nun stellt sich die Frage, ist unser System ausreichend?

In diesem Fall hat der BGH das Urteil wegen Befürchtung der Befangenheit aufgehoben. Es stellt sich die Frage, wäre das auch aus anderem Grund erfolgt. Hätte er einen einzigen weiteren Punkt genannt, wäre das beantwortet worden, das wurde nicht..
Die OstA hatte noch im Januar die Revisionsgründe als nicht ausreichend bezeichnet. Was soll man da nun glauben? Auch wenn neben Frau Aßbichler auch die OStA vom BGH einen Ohrfeige erhalten hat, für mich wurde diese Wertung der OStA dadurch nicht ausreichend aufgehoben.
Auch gab es hier im Forum kritische Prognosen von Anwälten, die aber nicht eingetroffen sind.

Insgesamt hinterlässt doch das Alles ein mulmiges Gefühl. Eine zweite Tatsacheninstanz wäre daher nicht das schlechteste.


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04.07.2025 um 12:07
Zitat von Rigel92Rigel92 schrieb:Daher bin ich auch für eine Trennung der Gerichte für die Anklagezulassung und für das eigentliche Gerichtsverfahren. Vielleicht hätte das hier in diesem Fall die U-Haft stark verringert.
Wie meinst du das? Der Eröffnungsbeschluss erfolgt durch das Gericht in Traunstein und verhandelt wird dann beispielsweise in München?


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04.07.2025 um 18:04
Zitat von CharliesEngelCharliesEngel schrieb:Einspruch, Defizite sehe ich hier eher in einer sorgfältigen Ermittlung und Klärung, ob eine Anklage in diesem Fall zulässig sein kann.
Ja, das wäre der Optimalfall. Nur können ja Fehler an verschiedenen Stellen gemacht werden. Deshalb plädiere ich stark für eine zweite Instanz, wie auch immer diese aussehen mag.
Zitat von Rigel92Rigel92 schrieb:In diesem Fall hat der BGH das Urteil wegen Befürchtung der Befangenheit aufgehoben. Es stellt sich die Frage, wäre das auch aus anderem Grund erfolgt.
In diesem Fall war die Beweiswürdigung für mich so hanebüchen, dass ich davon ausgehe, dass der BGH da hätte aus dem Vollen schöpfen können. Aber so extrem ist es ja nicht immer. Da muss es andere Möglichkeiten geben als auf Formfehler zu hoffen.

Man muss sich doch eigentlich fragen: Welche Meinung hätte man zu dem Thema, wenn man selbst unschuldig verurteilt worden wäre? Würde es einem dann reichen, dass sorgfältig ermittelt wurde? Der Rest ist eben Pech?
Und dazu kann ich nur sagen: MIR würde es nicht reichen. Derart existenzbedrohende oder - vernichtende Entscheidungen sollten anfechtbar sein.


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