Tincho schrieb:Wie gesagt, man kann ein Negativ nicht beweisen. Aber so richtig stimmig ist das alles nicht.
Vielen Dank für die Erläuterung! Ja, man kann ein Negativum nicht belegen. Aber die Feststellung eines solchen ließe sich schon belegen. Die Gutachter haben ja im ersten Prozess selbst erklärt (sinngemäß), dass es sich um eine atypische Verletzung handelt, für die sie keine Vergleichsfälle haben.
SpoilerIch habe mal selbst einen Fall erlebt, in dem ein Polizist ziemlich brutal mit seinem ganzen Gewicht auf einer am Boden liegende und gefesselte (vorher gewalttätige) Person gekniet hat. Das Ergebnis war ein Schlüsselbeinbruch.Nur wenn diese synchronen Verletzungen weder bei treibenden Körpern im Wasser vorkommen, noch bei Gewalttaten, wie sind sie dann entstanden? Es muss ja dann auch ein völlig atypisches, kaum erklärbares Ereignis sein, das auf den Körper von Hanna eingewirkt hat - wenn es keine Vergleichsfälle gibt. Und die Gutachter werden sicher schon Wasserleichen in fließenden steinigen Gewässern mit Treibeverletzungen wie auch Opfer von Gewalttaten auf dem Seziertisch gehabt und auch die einschlägige Fachliteratur mit Berichten im Blick haben.
Jedenfalls schließen sie Treibeverletzungen als Ursache der Brüche aus.
Zusammenfassend könne der leblose Körper der H. W. nicht durch die Kraftwerkskanäle getrieben sein. Die Ursache der Verletzungen an beiden Schulterdächern könne unter Berücksichtigung der Morphologie der Gewässer, der konkret bestehenden Hochwassersituation und des dadurch bedingten Treibeverhaltens des Körpers („schweben“/„gleiten“) sowie des Umstandes, dass die Fraktur betreffend das rechte Schulterdach in Richtung Körpermitte (Krafteinwirkung von hinten nach vorne) dokumentiert sei, aus hydromechanischer Sicht nicht auf der Treibestrecke entstanden sein und auch nicht auf einen Zusammenprall mit dem, an der Ausleitungsstrecke zur Kaltenbacher Mühle befindlichen Grobrechen zurückgeführt werden.
Quelle (Rn. 868):
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2024-N-26699Inwieweit man feststellen kann, ob diese symetrischen Brüche der Schulterdachknochen prae oder post mortem erfolgten, weiß ich nicht, aber offenbar gehen die Gutachter im Ergebnis davon aus, dass sie zu Lebzeiten geschehen sind.
Wie gesagt, die Aussagen der Sachverständigen haben dem Gericht nur wenig Spielraum gegeben, von einem Unfallgeschehen auszugehen, auch wenn sie letztlich nicht erklären konnten, welches "dynamische Geschehen" zu dieser Verletzung führte.
Hinsichtlich der Kopfverletzungen gilt das Gleiche. Es war im Übrigen ein 90 Grad-Winkel, in dem ein stumpfer Gegenstand auf den Kopf geschlagen worden sein soll. Auch hier wurden Treibeverletzungen ausgeschlossen (die es trotzdem noch zahlreich im Kopfbereich gab).
Kopfverletzungen ohne Schürfungen seien aus hydromechanischer Sicht als Treibeverletzung auszuschließen, da sie durch Normalkraft (90° Winkel; keine Schürfungen im direkten Umfeld der jeweiligen Zentralwunde bzw. der Kopfhautrötung dokumentiert) gesetzt worden seien.
Quelle: a.a.O., Rn. 868.
Ansonsten noch prinzipiell und außerhalb dessen, was das erste Urteil schildert: Wenn hier ein Gutachter beteiligt war, der im Badewannenfall Rottach-Egern mit seiner Stellungnahme daneben lag, dann kann ich verstehen, dass RAn Rick ihn gefressen hat. Ob das damals "Voodoo-Wissenschaft" war, bei der aus einer nicht erklärlichen Spurenlage ein Verbrechen gemacht wurde, ob also ein schwerer Fehler vorlag, oder schlicht ein Irrtum, das weiß ich nicht. Ebenso wenig, ob es sich um "Wunschgutachten" handelt, also um Gutachter, die das liefern, was das Gericht gerne hätte.
Beide Sachverständigen sind dem Gericht seit vielen Jahren als fundierte Gutachter mit großer forensischer Erfahrung bekannt. Ihren medizinischen Ausführungen schließt sich die Kammer nach eigener Überprüfung an.
Quelle: a.a.O., Rn. 907.
Die abstrakte Gefahr ist natürlich gegeben, dass "bekannte und beliebte" Gutachter immer wieder beauftragt werden und sich so eine gedeihliche Zusammenarbeit entwickelt. Gutachter sind für Gerichte Fluch und Segen zugleich. Entweder, weil sie dem Gericht Spielräume eröffnen. Oder ihm keinen Spielraum lassen. Ein Gutachten mit dem Tenor "Kann sein, kann aber auch nicht sein" ist nicht so schön, wie ein klares Ja oder Nein.
Ein Gericht muss unparteilich sein, aber es ist natürlich nicht unvoreingenommen. Schließlich hat es mit dem Eröffnungsbeschluss eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse angenommen. Das ist quasi die Ausgangsthese. Die Unschuldsvermutung ist davon nicht berührt, denn die Schuld steht ja noch nicht fest. Aber ein Verdacht. Also kann ein Gutachter grob davon ausgehen, dass ein Gutachten, was verdachtserhärtend ist, dem Gericht dienlicher ist als ein verdachtsminderndes. Und schon ist da ein "Drive" bei eigentlich unklaren oder unerklärlichen Sachverhalten, der eigentlich nur mit Selbstkritik und -reflektion begegnet werden kann.