Origines schrieb:Was bleibt ist die zeitliche und örtliche Korrelation aus dem Inhalt der Zeugenaussage (subjektiv im Inhalt, objektiv in ihrer Entäußerung im Gerichtssaal), den Handydaten (objektiv) und dem Tod der jungen Frau (auch objektiv).
Eine Korrelation, oder ein Zusammenhang existiert hier einfach nicht, das ist einfach falsch, auch im juristischen Sinn. Ich verstehe schon, dass ein Gericht sagen kann „nach meiner Überzeugung fiel der Schrei, als das Handy ins Wasser kam, deshalb geh ich davon aus, dass sich die Zeugin geirrt hat und der Schrei später war, wie zuvor ausgesagt (Aussage 02:20 -02:28Uhr)“ oder , „deshalb geh ich davon aus, dass Handy und H gleichzeitig ins Wasser kamen (Aussage 02:30-02:35 Uhr)“ oder was auch immer. Derartiges hab ich auch nie angezweifelt. Was man aber nicht sagen ist, dass irgendwelche Handydaten den Zeitpunkt eines Schreis verobjektivieren könnten, oder das es Korrelationen zwischen einem Schrei und Handydaten gäbe, das hat das Gericht auch nicht getan, sondern nur du, und das habe ich kritisiert. Das widerspricht ganz klar den Gesetzen der Logik und Erfahrungssätze und ist nur ein Versuch den schwachen Indizien mehr Bedeutung zu verleihen.
Origines schrieb:Eine solche Abweichung macht ein Urteil aber noch nicht falsch. Weshalb beispielsweise bei einer Wiederaufnahme ein neues Beweismittel Relevanz für den Schuldspruch haben müsste, um beachtlich zu sein.
Wenn ich eine Aussage von dir hinterfrage, sage ich damit im Übrigen nicht, dass das Urteil falsch ist. Auch wenn du dich selbst als Verteidiger des Justizsystems wahrnimmst, kannst du Kritik an deinen Argumenten nicht als Kritik an der Justiz, der ersten Kammer oder des Urteils uminterpretieren.
Ich wüsste aber auch gar nicht, wann ich behauptet hätte, dass die mögliche Abweichung der „prozessualen Wahrheit“ von der „naturwissenschaftlichen Wahrheit“ das Urteil per se falsch machen würde. Wenn man aber versucht, die „prozessuale Wahrheit“, sprich die eigene Überzeugung des Gerichts, so darzustellen, als wäre sie die „naturwissenschaftliche Wahrheit“, damit es überzeugender wirkt, oder damit man sich Gutachten spart, ist das falsch. Etwas derartiges muss natürlich nicht immer zur Aufhebung führen, wenn der BGH, aber befürchtet, dass es ohne diesen Fehler zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre, kann das Urteil schon aufgehoben werden.
Origines schrieb:Nach Deiner Logik könnten Gerichte nie in Indizienprozessen verurteilen.
Und Deine Logik ist unlogisch: Eine Theorie muss nicht bewiesen sein, um sie aufstellen zu können. Hier ist die Theorie die richterliche Überzeugung vom tatrelevanten Sachverhalt auf Grundlage der Beweisaufnahme im Prozess (Rn. 20 ff. im Urteil). Und diese richterliche Überzeugung muss sodann im Urteil erschöpfend begründet werden. Durch die Beweiswürdigung. Damit wird in der Urteilsbegründung schriftlich etwas nachvollzogen, was gedanklich in den Köpfen des Gerichts schon davor existierte.
Auch das ist mitnichten meine Logik, sondern genau das Gegenteil, ich kritisiere eben, dass im Urteil oder von dir etwas „bewiesen“ wird, mit einem Umstand, der einfach kein Beweis ist.
Ich kann mir eben nicht erklären, weshalb das Gericht es nicht dabei belassen hat, eine Theorie aufzustellen und diese dann in ihre Überzeugung aufzunemhen, zum Beispiel den Tatort anhand der Indizien (inklusive mögl. Aufeinandertreffen von ST und H) auf einen bestimmten Ort zu legen und gut ist. Weshalb musste das Gericht denn dann auch noch behaupten, dieser so ermittelte Tatort würde die Täterschaft beweisen? Na no na ned, wenn ich den Tatort dort hin lege, wo er am besten zum Täter passt (was ich ja nicht kritisiere)!
Oder die Aussage von L: Das Gericht kann sagen, es glaubt, dass L die Wahrheit gesagt habe, weil sie so glaubwürdig erschien, nur wie sie hin und weggefahren seien und wer alles teilgenommen habe, habe sie vergessen, weil man sowas leicht vergesse. Alle anderen Aussagen hält das Gericht halt nicht für glaubwürdig, wegen „Entlastungseifer“. Auf dem Handy von L habe es keine Geodaten gegeben. Deshalb habe ST nach Überzeugung des Gerichts Täterwissen geäussert. → Damit wäre alles gewürdigt worden, es hätte sich halt seine Überzeugung so gebildet und solange nicht rauskommt, dass L psychische Probleme hat, wäre das zwar dünn, vielleicht auch nicht gut nachvollziehbar, aber eigentlich rechtsfehlerfrei (nehme ich an).
Das Gericht hat es aber vorgezogen, die Widersprüche weder zu thematisieren und zu begründen weshalb es nur der Version von L folgt, noch die Widersprüche zu überprüfen, stattdessen hat es die Geodaten von V als „objektive“ Bestätigung für die Aussage von L zu verwendet. Obwohl die Aussage und die Geodaten nicht übereinstimmen, das ist weder erschöpfend gewürdigt, noch entspricht es den Gesetzen der Logik und der Erfahrungssätze.
Da geht es nicht darum Indizien anders zu würdigen, oder eine andere Meinung zu haben.
Origines schrieb: Nochmal: Die von der Verteidigung plakativ behaupteten "Logikfehler" entstehen, weil die Verteidigung Beweise anders würdigt als das Gericht. Und so zu einem anderen Sachverhalt kommt. Der passt dann nicht zu den Schlussfolgerungen des Gerichts und soll dann "unlogisch" sein. Das ist Propaganda.
Propaganda sehe ich nur darin, zu versuchen offensichtliche Logikfehler zwanghaft leugnen zu wollen und Kritikern mit dem ansosnten drohendem Renommee-Verlust der Justiz zu versuchen den Mund zu verbieten.
Origines schrieb: Und natürlich können die Zeugenaussage zum Schrei und die Daten des iPhone (sowie die tote Hanna) etwas miteinander zu tun haben. Das kannst Du nicht widerlegen. Es wäre sogar ziemlich abwegig, da keinen Zusammenhang zu sehen.
Absolut könnte das sein, es sprich auch nichts dagegen, wenn das Gericht davon überzeugt ist. Genauso gut könnte es sein, dass es anders war und das Gericht könnte auch davon überzeugt sein. Wovon es nicht überzeugt sein kann, ist dass es einen objektiven Zusammenhang zwischen den Indizien gibt. Da ist es auch egal, wie abwegig du andere Szenarien findest, das ist ja schließlich nur deine persönliche Überzeugung.
Origines schrieb:Das Vertrauen in die Justiz unterminieren derzeit die, die entweder ohne Sachverstand eine Befindlichkeit haben, nämlich dass irgendwie alles sauungerecht ist, der Rechtsstaat eine hohle Hülle, ein leeres Postulat oder gar "Systemjustiz". Oder die, die bewusst Zweifel sähen, indem sie absoluten Verurteilungswillen, Fehlurteile, Zirkelschlüsse oder Unlogik behaupten, ohne dass ihre Thesen einer ernsten Überprüfung Stand halten.
Welchen Sachverstand benötigt man denn deiner Meinung nach, um über Gerechtigkeit urteilen zu können?
Meiner Meinung nach wird das Misstrauen in die Justiz nicht durch die Kritiker gesät, sondern dadurch, dass das System auch die „faulen Tomaten“ um jeden Preis schützt und sich nicht kritisch mit den eigenen Mängeln auseindandersetzt, wohl oft unter dem Deckmantel des Ansehens der Justiz.