Suppengespenst schrieb:Bei Südländern sehe ich persönlich es nicht so häufig, aufgrund einiger Gemeinsamkeiten zähle ich Chilenen einfach mal dazu.
Also stell dir Chile so vor: ein Land, das auf den ersten Blick modern wirkt - Shoppingmalls, Smartphones, Studierende mit pinken Haaren und Pride-Flaggen. Aber unter der Oberfläche steckt oft noch die Denkweise von vor 50 Jahren.
Besonders spürbar ist das in den Familien. Es ist völlig normal, dass viele junge Leute bis weit in die 20er - manchmal sogar bis zur eigenen Hochzeit - bei den Eltern wohnen. Nicht, weil sie’s so kuschelig finden, sondern weil es finanziell oft gar nicht anders geht. Wohnungen sind teuer, Löhne niedrig, und es gibt kaum ein soziales Netz außerhalb der Familie. Kein BAföG, keine echte Grundsicherung - Familie ist oft die einzige Absicherung gegen den Absturz.
Aber genau da liegt der Widerspruch:
Die Familie schützt dich - aber sie kontrolliert dich auch. Viele Eltern sind konservativ, religiös, moralisch. Und das bedeutet:
Reden über Sex? Eher nicht.
Outing als queer? Extrem heikel.
Feiern, Drogen, offene Beziehungen? Bloß nicht der Mama erzählen.
Viele junge Leute führen deshalb ein Doppelleben: zu Hause brav, auf der Straße wild. Sie erleben ihre sexuelle Freiheit, probieren sich aus, daten über Tinder oder haben Beziehungen, die die Eltern niemals akzeptieren würden. Aber sie sagen zu Hause nichts - weil sie wissen, dass sie ohne die Familie im Zweifel nirgends hinkönnten. Es gibt eine stille Angst, verstoßen oder abhängig zu bleiben.
Die ältere Generation - sagen wir mal so ab 50 aufwärts - ist mit einem ganz bestimmten Weltbild groß geworden: Kirche im Nacken, Militärdiktatur im Hintergrund, viel Scham und Schweigen, besonders bei Themen wie Sexualität. Da war klar: Sex gehört in die Ehe, über Homosexualität wird nicht geredet, Verhütung ist irgendwie ein Tabuthema. Viele von denen denken auch heute noch: „So was macht man nicht in der Öffentlichkeit“ - oder „Sexuelle Vielfalt ist was für andere Länder.
Manche sagen sogar: "In Chile bist du erst frei, wenn du entweder ausgewandert bist oder finanziell unabhängig."