Vorsatz oder Notwehr?
Oscar Pistorius: Das sagt der Ballistiker
Aktualisiert: 09.05.2014 - 18:56
Johannesburg - Oscar Pistorius erschoss seine Freundin durch die Toilettentür - aus Notwehr, sagt er. Die Anklage wirft ihm Mord vor. Die Aussage eines Ballistikers könnte zu beiden Versionen passen.
Auch die Aussage eines Schussexperten hat im Mordprozess gegen Oscar Pistorius kein klares Bild von der Tatnacht erbracht. Der Ballistiker Thomas Wolmarans, der die Geschossbahn analysierte, nannte am Freitag Aspekte, die sowohl gegen, als auch für die Schuld des Angeklagten sprechen könnten.
Der doppelt beinamputierte Sportler habe keine Prothesen getragen, als er die tödlichen Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp abgab, erläuterte Wolmarans vor Gericht im südafrikanischen Pretoria. Damit untermauerte der Experte, dessen Aussage auf einer Analyse der Schussspuren an der Toilettentür basiert, die Argumentation des Angeklagten und eines Forensikers. Wenn Pistorius Prothesen getragen hätte, könnte das darauf hindeuten, dass er Zeit hatte, sie anzulegen - er also mit Vorsatz handelte.
Der Ballistiker erläuterte aber auch, dass Steenkamp völlig bekleidet war, als ihr Freund sie erschoss. Sie habe nicht auf der Toilette gesessen, als Pistorius durch die Klotür schoss. Sofern Steenkamp hinter der Tür stand, könnte das bedeuten, dass sie mit Pistorius sprach - und der wusste, dass sie dahinter war.
Die letzte Kugel traf Steenkamps Kopf
Der Ballistikexperte bezweifelte allerdings die Angaben der Anklage zur Schussabfolge während der Tatnacht. Nach Angaben des Gutachters der Verteidigung traf der erste der vier Schüsse Steenkamps Hüfte, die nächsten Kugeln trafen ihren Arm und die Hand und die letzte ihren Kopf, während sie nach hinten fiel. Aussagen von Polizei-Experten, wonach eine Kugel die in einer Verteidigungshaltung am Boden kauernde Steenkamp in Hand und Kopf traf, bezeichnete er als wenig wahrscheinlich. Laut Verteidigung griff Steenkamp vielmehr gerade nach der Türklinke, als sie von den Schüssen getroffen wurde.
Pistorius gibt an, er sei in der Tatnacht zum Valentinstag 2013 auf Beinstümpfen in Panik ins Bad geeilt und habe durch die verschlossene Toilettentür geschossen, weil er dort einen Einbrecher vermutete. Die Staatsanwaltschaft hatte zumindest früher behauptet, der Angeklagte habe seine Prothesen zuvor angelegt. Damit hatte sie dem 27-Jährigen ein überlegtes Handeln unterstellt - und die Mordthese gestützt.
Dem Südafrikaner wurden im Alter von elf Monaten beide Beine unterhalb des Knies amputiert. Mit Prothesen startete der Sprinter 2012 als erster beinamputierter Sportler bei den Olympischen Spielen.
Teurer Prozess: Pistorius verkauft Mord-Haus
Pistorius' Haus, in dem er im vergangenen Jahr seine Freundin Reeva Steenkamp erschossen hatte, hat einen neuen Besitzer. "Wir haben einen Käufer, die Eigentumsrechte werden bereits übertragen", sagte Maklerin Ansie Louw am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Wer der neue Besitzer ist und für welchen Preis er die Villa in Pretoria erworben hat, sagte Louw, die Frau von Pistorius' Trainer Ampie Louw, nicht. Mit dem Erlös aus dem Verkauf will der 27-Jährige die explodierenden Kosten seines Gerichtsverfahrens abdecken.
Pistorius muss sich seit Anfang März vor Gericht verantworten. Ursprünglich war das Verfahren auf drei Wochen angesetzt, doch wurde es durch die vielen Zeugenanhörungen immer weiter in die Länge gezogen. Berichten zufolge kostet jeder Prozesstag Pistorius umgerechnet 6700 Euro, um seine drei Anwälte sowie diverse Experten und Gutachter zu bezahlen. Im vergangenen Jahr hatte Pistorius den Wert des Hauses bei einer Auflistung seines Vermögens mit 350.000 Euro angegeben. Nach Angaben seiner Maklerin hat Pistorius das Haus versteigert. Ob es nun tatsächlich an den Meistbietenden ging, ließ sie offen. Sie sagte lediglich, alle Angebote seien sehr genau geprüft worden.
Das Anwesen liegt in einer gesicherten Wohnanlage am Rande der südafrikanischen Hauptstadt. Pistorius hat es seit dem Tod seiner Freundin nicht mehr betreten, sondern wohnt bei seinem Onkel.
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