Mal zwei Tage nicht aufgepasst und schon hinkt man der Diskussion um 80 Beiträge hinterher....
:D
Optimist schrieb:eins haben die Aktivisten allerdings leider erreicht, nämlich dass sich in den Medien und Institutionen das Gendern in Form von Partizipien (z.B. Studierenden) und Beidnennung dennoch durchgesetzt hat.
Was der größte Schenkelklopfer-Unfug ist.
Kim ist ein Studierender.
Sam ist eine Studierende.Ein Studierender hat gestern seine Tasche im Hörsaal liegen gelassen.Das Märchen von der geschlechtsneutralen Formulierungen durch substantivierte Partizipien wird sich ungeachtet solcher Beispiele bzw. Hinweise auf grammatikalische Besonderheiten im Singular wohl aber auch weiterhin hartnäckig in so manchen Köpfen halten.
Mein Lieblingsbeispiel ist übrigens immer noch:
Schlafende Mitarbeitende. :D
Optimist schrieb:das Gendern in Form von Partizipien
Aniara schrieb:Das ist auch der größte Unsinn aber leider scheint der Quatsch nun hängen zu bleiben.
Du wolltest doch wohl nicht etwa sagen: Hängengeblieben bei den Hängengebliebenden?
:D
behind_eyes schrieb:Streng genommen ist selbst "Kochende" Unsinn, weil dies nur zutrifft, wenn dieser Mensch just in diesem Moment der Nennung, kocht.
Naja, es gibt durchaus auch einige klassische und etablierte Partizipien im Deutschen, die nicht aus der Gendersprache stammen, sondern sprachhistorisch und grammatikalisch gewachsen sind, etwa:
Auszubildende, Anwesende, Protestierende, Reisende, Verantwortliche, Interessierte, Verstorbene, Überlebende, Beteiligte, Betroffene uvm.Solche Partizipien finden vor allem Verwendung im allgemeinen oder behördlichen Sprachgebrauch, etwa in:
- Polizei- und Unfallberichten ("zwei Verletzte", "mehrere Beteiligte")
- Verwaltungssprache ("die Verantwortlichen", "die Betroffenen")
- Alltagssprache ("Reisende bitte umsteigen")
Die sind aber nicht das Resultat (vermeintlich) politischer Korrektheit oder politisch motiviertem Gendersprech, sondern grammatikalisch durchaus begründete und über Jahrhunderte hinweg etablierte Formen.
Pusemuckel schrieb:Ich finde nach wie vor, jeder soll selbst entscheiden, ob er gendert oder nicht.
Das kann man vielleicht im privaten Sprachgebrauch so halten. Gibt ja auch Menschen, die beim Chatten alles kleinschreiben. Nichtsdestotrotz sollte man sich über Sprachgebrauch eine Meinung bilden dürfen sowie eine klare Trennlinie ziehen zum Sprachgebrauch in Schulen, Universitäten, Verwaltung & Co., welcher zurecht amtlichen Regelwerken unterliegt, aber zunehmend aufgeweicht wird.
Pusemuckel schrieb:Hatte immer das Gefühl, in einer Gesellschaft, in der immer noch so viel Armut, Ungerechtigkeit und Diskriminierung von Minderheiten herrscht, legt man hier ein bisschen zu viel Gewicht auf die falschen Dinge.
Da sagst du was! Die politische Linke hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend von ihren klassischen Kernanliegen - sozialer Gerechtigkeit, Umverteilung, Macht- und Kapitalismuskritik - entfernt und sich vermehrt auf symbolische Themen wie Gendersprache und Identitätspolitik konzentriert. Viele bezeichnen sich heute als "links", ohne überhaupt die historischen oder ökonomischen Grundlagen linker Politik zu kennen oder zu vertreten. Dadurch wird der Begriff "links" zwar einerseits kulturell anschlussfähig, aber politisch entkernt. Reale Ungleichheit bleibt bestehen, während sprachliche Korrektheit als Ersatz für strukturelle Veränderung dient.
Bone02943 schrieb:Nur weil Männer meinen, Frauen seien bei männlichen Bezeichnungen mitgemeint, heißt es nicht, dass sie wirklich mitgemeint sind. In der Geschichte gibt es unzählige Beispiele die aufaufzeigen, dass dieses "mitgemeint" höchstens in den Köpfen existiert.
Nein, das basiert - mal wieder - auf einer Verwechselung von
Genus mit Sexus (auch in den Köpfen). Überhaupt hat Geschlecht wenig mit allein dem biologischen Geschlecht zu tun. Geschlecht meint in erster Linie nicht biologisches oder soziales Geschlecht, sondern eine
qualitative oder klassifizierende Unterscheidung. Eine solche Unterscheidung gibt es in der Biologie, ja, aber eben auch in Sprache, Genealogie oder Musik - etwa das berühmte
Tongeschlecht oder das sog.
Adelsgeschlecht, was in beiden Fällen herzlich wenig mit der biologischen Bedeutung von "Geschlecht" zu tun hat. Sprachhistorisch hat sich auch in der Sprache mit Blick auf die Grammatik eine qualitative und klassifizierende Unterscheidung durchgesetzt, das sog.
grammatikalische Geschlecht (Genus), im Indogermanischen zunächst in Form einer Unterteilung in zwei Geschlechter (bzw. Gattungen!) "belebt" (animatum) und "unbelebt" (inanimatum), später dann in Form einer Unterteilung in drei Gattungen:
Maskulinum, Femininum, Neutrum. Im Detail ist es natürlich etwas komplizierter, führt aber an dieser Stelle vielleicht etwas zu weit.
Zu deinem zweiten Punkt (der auf dem gleichen Missverständnis bzw. der Verwechselung von Genus und Sexus beruht), dass beim Maskulinum ja Frauen irgendwie auch mitgemeint seien:
Das generische Maskulinum ist keine geschlechtsspezifische, sondern eine grammatische Form, die bei vielen Personen- und Funktionsbezeichnungen abstrahiert vom biologischen Geschlecht verwendet wird. Es meint nicht Männer im Gegensatz zu Frauen, sondern eigentlich
gar kein biologisches Geschlecht und bezeichnet daher bspw. auch eine
Rolle, Funktion oder Rechtsstellung, unabhängig davon, von wem oder was sie ausgefüllt wird. Das zeigt sich besonders bei Begriffen wie
Mieter, Kunde, Veranstalter, Anbieter, Rechtsinhaber, Betreiber, Träger, Vertragspartner, Eigentümer, Arbeitgeber, Produzent, Hersteller oder Gesetzgeber, die selbstverständlich auch
juristische Personen (bspw. Firmen, Verbände, Behörden, Gemeinden, Institutionen usw.) bezeichnen können, ohne dass jemand auf die Idee käme, ihnen ein "männliches" Geschlecht zuzuschreiben. Die Vorstellung, Frauen seien darin nur "mitgemeint", verkennt den abstrakten und geschlechtsneutralen Charakter dieser Begriffe bzw. des
generischen Maskulinum.
Bone02943 schrieb:Wir leben einfach noch immer in einer männerdominierten Welt und Frauen haben dadurch Nachteile, wie höhere Risiken bei einem Unfall oder der Einnahme von Medikamenten. Ob das Gendern etwas verbessert kann ich nicht sagen. Aber es bringt auch solche Themen an die Oberfläche, über die sich viele sonst wohl nicht unterhalten hätten.
Artikel erschien gerade erst vor zwei Tagen - leider hinter Paywall, aber die Schlagzeile spricht für sich:
Die Abwärtsspirale der Jungs: Wie Bildung zur Gefahr für den sozialen Frieden wird
Sie brechen öfter ab, landen seltener an der Uni: Jungen sind die Verlierer im Bildungssystem. Neue Studien zeigen, wie früh das beginnt und wie laut das politische Schweigen ist.
https://www.tagesspiegel.de/wissen/die-abwartsspirale-der-jungs-wie-bildung-zur-gefahr-fur-den-sozialen-frieden-wird-14100383.html
Wir könnten auch über die unterschiedliche Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen sprechen. Über die ungleiche Verteilung bei Suizidraten, Obdachlosigkeit, Drogenkonsum, Arbeitsunfällen oder bei dem Risiko, in die Kriminalität abzurutschen...
Du zeichnest ein nachweislich einseitiges und falsches Bild der Gesellschaft, wo angeblich und vor allem Frauen im Nachteil seien. Und das halte ich für ziemlich gefährlich.
Bone02943 schrieb:Das ganze wurde ja auch in verschiedenen Studien untersucht und die Ergebnisse waren dabei recht eindeutig. Im Kopf dominiert bei bestimmten Aussagen der männliche Typ.
Nein, Kinder orientieren sich nicht primär am grammatischen Geschlecht eines Begriffs, sondern an gesellschaftlich vermittelten Bildern und Stereotypen, die sie durch Beobachtung, Erzählung und Medieneinfluss aufgenommen haben, weshalb ein Kind in einer von hellhäutigen Menschen dominierten Kultur bspw. auch eher einen hellhäutigen Arzt zeichnen würde, als etwa ein Kind in einer von dunkelhäutigen Menschen dominierten Kultur. Wie Kinder sich Berufe bzw. Personen vorstellen, hängt vielmehr von ihrem Umfeld, ihrem Medienkonsum, ihren Vorbildern und Erzählungen ab als von grammatischen Regeln, die sie sowieso erst noch mühsam erlernen müssen.
Bone02943 schrieb:Sowas wurde selbst bei Fragen zu Berufswünschen sichtbar. Da machte es einen Unterschied, wenn Kinder gefragt werden ob sie mal Arzt, Feuerwehrmann, Polizist und co. werden wollen, zu denen wo die Fragen explizit beide Geschlechter in der Fragestellung erwähnt haben.
Noch so'n Ammenmärchen. Berufe wie Apotheker, Stenograph, Schneider, Florist, Friseur uvm. haben einen Frauenanteil von über 80-90%. Die faktische Berufswahl wird von ziemlich vielen Dingen beeinflusst, aber am allerwenigsten davon, in welchem grammatikalischen Geschlecht die Berufsbezeichnung steht.
Viele Sprachen der Welt kommen übrigens ganz ohne grammatisches Geschlecht aus, dennoch existieren dort geschlechterbezogene Stereotype und gesellschaftliche Ungleichheiten oft genauso stark oder sogar noch viel stärker als im Deutschen.
Gut, das war es mal wieder... in 80 Beiträgen durch den Thread.
:DEigentlich will ich hier gar nicht mehr so viel und intensiv mitdiskutieren. Muss mal schauen, ob und inwieweit ich das (zeitlich) schaffe. Aber anderseits wollte ich wenigstens mal wieder ein paar Anmerkungen da lassen.
:)