@Gwyddion da ich den link noch habe und grad gelesen hab zum talmud :
*** w98 15. 5. Was ist der Talmud? ***
Was ist der Talmud?
„Der Talmud gehört zweifellos zu den bemerkenswertesten Werken der Weltliteratur“ („The Universal Jewish Encyclopedia“).
„[Der Talmud] gehört zu den größten intellektuellen Errungenschaften der Menschheit und ist ein so kompaktes, so inhaltsreiches, so subtiles Dokument, daß es mehr als anderthalb Jahrtausende lang überragende Geistesgrößen beschäftigt gehalten hat“ (Jacob Neusner, jüdischer Gelehrter und Autor).
„Der Talmud ist der zentrale Stützpfeiler [des Judentums], auf dem die gesamte geistige und intellektuelle Struktur jüdischen Lebens ruht“ (Adin Steinsaltz, Talmudgelehrter und Rabbi).
DER Talmud hat unbestreitbar jahrhundertelang einen gewaltigen Einfluß auf das jüdische Volk ausgeübt. Im Gegensatz zu den obigen Würdigungen gab es allerdings auch Stimmen, die den Talmud verunglimpften und als „Meer von Finsternis und Schlamm“ bezeichneten. Man hat ihn als gotteslästerliches Werk des Teufels angeprangert. Wiederholt wurden in ganz Europa auf päpstlichen Erlaß hin Talmudausgaben zensiert, beschlagnahmt und sogar in großer Zahl öffentlich verbrannt.
Was ist das eigentlich für ein Werk, das für so viel Streit gesorgt hat? Wodurch zeichnet sich der Talmud gegenüber allen anderen Schriften des Judentums aus? Warum wurde er verfaßt? Warum hat er sich so nachhaltig auf das Judentum auswirken können? Hat er für die nichtjüdische Welt eine Bedeutung?
Während der 150 Jahre nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahr 70 u. Z. suchte man in den Lehranstalten der rabbinischen Weisen in ganz Israel dringend nach einer neuen Grundlage für die weitere Ausübung des jüdischen Kults. Sie diskutierten und festigten die verschiedensten Überlieferungen ihres mündlichen Gesetzes. Darauf aufbauend, legten sie neue Grenzen und Anforderungen für den Judaismus fest, indem sie Anweisungen gaben für ein tägliches Leben in Heiligkeit ohne einen Tempel. Diese neue geistige Struktur wurde in der Mischna dargelegt, die Jehuda ha-Nassi Anfang des dritten Jahrhunderts u. Z. redigierte.
Die Mischna ist ein autonomes Dokument; sie erhebt keinen Anspruch darauf, ihre Autorität aus dem herzuleiten, was in den Hebräischen Schriften gesagt wird. Die Art und Weise, wie die Themen behandelt werden, und sogar der Stil des Hebräischen sind einzigartig, völlig verschieden vom Text der Hebräischen Schriften. Die in der Mischna zitierten rabbinischen Entscheidungen wirkten sich auf das tägliche Leben der Juden allerorts aus. Jacob Neusner bemerkt sogar: „Die Mischna wurde die Verfassung der jüdischen Nation. . . . Sie verlangte, daß man ihr beipflichtete und sich an ihre Vorschriften hielt.“
Was aber, wenn in Zweifel gezogen werden würde, daß die in der Mischna zitierten Weisen wirklich die gleiche Autorität besaßen wie die geoffenbarten heiligen Schriften? Die Rabbinen würden nachweisen müssen, daß die in der Mischna enthaltenen Lehren der Tannaiten (Lehrer des mündlichen Gesetzes) in völligem Einklang mit den Hebräischen Schriften standen. Das machte weitere Kommentare erforderlich. Die Rabbinen hielten es für notwendig, die Mischna zu erklären, sie zu rechtfertigen und zu beweisen, daß sie ihren Ursprung in dem Gesetz hatte, das Moses am Sinai gegeben worden war. Sie sahen sich genötigt, zu beweisen, daß das mündliche und das geschriebene Gesetz in Geist und Zweck übereinstimmten. Statt also das letzte Wort zum Judaismus zu sein, wurde die Mischna zur neuen Grundlage für religiöse Erörterungen und Debatten.
Die Entstehung des Talmuds
Die Rabbinen, die sich an diese neue Aufgabe machten, wurden als Amoräer bekannt, als „Übersetzer“ oder „Ausleger“ der Mischna. Jeder Thoraakademie (oder Jeschiwa) stand ein prominenter Rabbi vor. Ein kleiner Kreis von Thoragelehrten und -schülern nahm das ganze Jahr über an Vorträgen teil. Die wichtigsten Kurse aber wurden zweimal jährlich in den Monaten Adar und Elul abgehalten, in denen in der Landwirtschaft nur wenig zu tun war und Hunderte oder sogar Tausende Thoralernende anwesend sein konnten.
Adin Steinsaltz erläutert: „Der Leiter der Jeschiwa pflegte auf einem Stuhl oder einem anderen ihm vorbehaltenen Sitzplatz am Saalende zu sitzen. Vor ihm in den vordersten Reihen sassen die wichtigen Gelehrten, seine Studiengefährten und seine hervorragendsten Schüler, dahinter sassen die anderen Gelehrten. In den grossen Jeschiwot . . . war die Sitzordnung eine streng gehütete Hierarchie.“ Man las eine Passage aus der Mischna vor und verglich sie dann mit parallelen oder ergänzenden Informationen, die von den Tannaiten zusammengetragen, aber nicht in die Mischna aufgenommen worden waren. Anschließend begann man mit der Analyse. Fragen wurden gestellt und Widersprüche geklärt, um Lehren miteinander in Einklang zu bringen. Auch suchte man Belegstellen aus den Hebräischen Schriften als Stütze für rabbinische Lehren.
Obgleich gut organisiert, waren diese Disputationen heftig, mitunter gar stürmisch. Ein im Talmud zitierter Gelehrter berichtet von „Feuerfunken“, die bei einem Wortwechsel aus dem Mund der Rabbinen sprühten (Der Babylonische Talmud, Hulin 137b). Steinsaltz sagt über den Ablauf dieser Disputationen: „Der Leiter der Jeschiwa oder ein anderer Weiser erklärte, wie er die Mischna versteht und an die sich aus ihr ergebenden Probleme herangehen will. Oft wurde er dann von den dort anwesenden Gelehrten mit Fragen überschüttet, die seine Interpretation auf Grund anderslautender Quellen, einer anderen Auslegung des Textes oder einfach auch rein logisch zu erschüttern suchten. Manchmal war der Streit nur von kurzer Dauer und wurde durch eine knappe aber erschöpfende Antwort beendet. In anderen Fällen wiederum griffen auch andere Gelehrte in die Diskussion ein und boten Alternativlösungen an. Das Streitgespräch nahm dann oft die Form einer Konferenzrunde an“. Allen Anwesenden stand es frei, sich zu beteiligen. Die bei den Disputationen vorgebrachten Argumente und Schlußfolgerungen wurden anderen Lehranstalten übermittelt, so daß andere Gelehrte sich mit ihnen beschäftigen konnten.
Indes handelte es sich bei diesen Disputationen nicht lediglich um endlose legalistische Streitgespräche. Die sich aus den Regeln und Vorschriften des jüdischen religiösen Lebens ergebenden Rechtsangelegenheiten werden Halacha genannt. Dieser Ausdruck leitet sich von dem hebräischen Wurzelwort ab, das „gehen“ bedeutet, und bezeichnet den Lebensweg, den man gehen sollte. Alle anderen Angelegenheiten — darunter Erzählungen über Rabbinen und biblische Personen, Sprichwörter, Glaubensansichten und philosophische Vorstellungen — werden Haggada genannt, nach dem hebräischen Wurzelwort für „erzählen, sagen, vortragen“. Während der rabbinischen Disputationen wurden in ständigem Wechsel Halacha und Haggada erörtert.
Morris Adler bemerkt hierzu in seinem Buch The World of the Talmud: „Ein kluger Lehrer unterbrach eine langatmige und schwierige Rechtsdebatte mit einem Exkurs über ein weniger anspruchsvolles und erbaulicheres Thema. . . . Infolgedessen sind Legende und Geschichte, zeitgenössische Wissenschaft und Volkskunde, biblische Exegese und Biographie, Homilie und Theologie auf eine Weise miteinander verquickt, die dem mit den Vorgehensweisen der Lehranstalten nicht vertrauten Leser ein merkwürdiges Durcheinander von Informationen zu sein scheint.“ Für die Gelehrten in den Lehranstalten dienten alle derartigen Exkurse einem Zweck und standen in Zusammenhang mit dem Gegenstand der Disputation. Halacha und Haggada waren die Bausteine eines neuen, in den rabbinischen Lehranstalten errichteten Religionsgebäudes.
Zwei Talmude geschaffen
Irgendwann siedelte das rabbinische Zentrum in Palästina nach Tiberias um. Wichtige Lehranstalten befanden sich auch in Sepphoris, Cäsarea und Lydda. Doch die sich stetig verschlechternde wirtschaftliche Lage, die andauernd instabile politische Situation und letztlich auch der Druck und die Verfolgung durch das abtrünnige Christentum veranlaßten Juden, scharenweise in einen anderen großen jüdischen Siedlungsraum auszuwandern — nach Babylonien im Osten.
Jahrhundertelang waren Thoraschüler aus Babylonien nach Palästina geströmt, um bei den großen Rabbinen an den Lehranstalten zu studieren. Zu diesen Schülern gehörte Abba bar Aibo, auch Abba Aricha (der Hochgewachsene) genannt, den man später nur noch schlicht Rab nannte. Seine Rückkehr nach Babylonien um 219 u. Z., nachdem er unter Jehuda ha-Nassi studiert hatte, wurde zu einem Wendepunkt für den geistlichen Rang des babylonischen Judentums. In Sura, wo es zwar eine große jüdische Bevölkerungsgruppe, aber wenig Gelehrsamkeit gab, gründete er eine Thoraschule. Von seinem Ruf angezogen, besuchten 1 200 reguläre Studenten seine Schule, und viele tausend weitere versammelten sich dort während der jüdischen Monate Adar und Elul. Samuel, ein berühmter Zeitgenosse Rabs, gründete eine Thoraschule in Nehardaa. Weitere bedeutende Lehranstalten wurden in Pumbedita und Machosa gegründet.
Nun war es nicht mehr nötig, nach Palästina zu reisen, denn man konnte bei den großen Gelehrten in Babylonien studieren. Die Redaktion der Mischna als eigenständiger Text ebnete den babylonischen Lehranstalten den Weg in die vollständige Unabhängigkeit. Zwar entwickelten sich in Palästina und Babylonien nun unterschiedliche Stile und Studienmethoden, doch durch enge Kommunikation und den Austausch von Lehrern untereinander wurde die Einheit der Lehranstalten bewahrt.
Ende des vierten, Anfang des fünften Jahrhunderts u. Z. wurde die Lage für die Juden in Palästina besonders schwierig. Immer neue Einschränkungen und Verfolgungswellen unter der an Autorität zunehmenden abtrünnigen Christenheit gipfelten um 425 u. Z. darin, daß sowohl der Sanhedrin abgeschafft wurde als auch das Amt des Nassi, das Patriarchat. Daher begannen die palästinischen Amoräer, die Ergebnisse ihrer Disputationen in den Lehranstalten in einem einzigen zusammenhängenden Werk festzuhalten, um sicherzustellen, daß sie erhalten blieben. Dieses in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts u. Z. unter Zeitdruck verfaßte Werk wurde als der palästinische Talmud bekannt.
Während die Lehranstalten in Palästina im Niedergang begriffen waren, erreichten die Amoräer Babyloniens die Blüte ihres Schaffens. Abbaje und Raba entwickelten ein Diskussionsniveau ausgeklügelter und scharfsinniger Argumentation, das später zum Muster talmudischer Erörterung wurde. Als nächstes begann Aschi, Leiter der Thoraschule in Sura (371—427 u. Z.), damit, die Ergebnisse der Disputationen zu sammeln und zu edieren. Veranlaßt wurde er dazu, wie Steinsaltz schreibt, durch das „Gefühl, dass das überlieferte mündliche Material nicht genügend zusammengefasst ist und daher im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten und verlorengehen kann“.
Die Textmenge war so überaus umfangreich, daß deren Redaktion nicht von einem Mann, ja nicht einmal von einer Generation vollendet werden konnte. Die Zeitperiode der Amoräer Babyloniens endete im fünften Jahrhundert u. Z., doch die Arbeit an der endgültigen Formulierung des babylonischen Talmuds wurde im sechsten Jahrhundert u. Z. von einer Gruppe Gelehrter fortgesetzt, die Saboräer genannt wurden, nach einem aramäischen Begriff, der „Erklärer“ oder „Meinungsträger“ bedeutet. Diese Gelehrten, die dem babylonischen Talmud seine endgültige Fassung gaben, brachten Tausende von Einzelheiten aus Jahrhunderten rabbinischer Disputationen miteinander in Zusammenhang und verliehen dem Talmud einen Stil und Aufbau, der ihn von allen früheren jüdischen Schriften abhob.
Was wurde durch den Talmud erreicht?
Die talmudischen Rabbinen sahen es als ihre Aufgabe, zu beweisen, daß die Mischna aus derselben Quelle stammte wie die Hebräischen Schriften. Warum? Jacob Neusner bemerkt hierzu: „Das dargelegte Problem war . . . der Rang der Mischna. Aber das Herzstück der Sache ist, wie sich herausgestellt hat, die Autorität des Gelehrten selbst.“ Um dessen Autorität zu stützen, wurde jede Zeile, manchmal sogar jedes Wort der Mischna untersucht, in Frage gestellt, erklärt und auf bestimmte Weise harmonisiert. Dadurch verlegten die Rabbinen, um mit den Worten Neusners zu sprechen, „die Mischna von einem Wirkungskreis in einen anderen“. Obwohl als in sich abgeschlossenes Werk geschaffen, war die Mischna nun zergliedert und in diesem Prozeß neu gestaltet und formuliert worden.
Dieses neue Werk, der Talmud, diente dem Zweck, den die Rabbinen verfolgten. Sie legten die Regeln der talmudischen Erörterungen fest, wodurch die Menschen gelehrt wurden, so zu denken wie sie. Die Rabbinen waren der Auffassung, in ihren Methoden von Studium und Analyse spiegele sich die Denkweise Gottes. Das Talmudstudium wurde zum Selbstzweck, zu einer Form des Gottesdienstes: Durch das Benutzen des Verstandes, so die Vorstellung, handle man wie Gott. Noch Generationen später wurde der Talmud selbst nach genau der gleichen Methode analysiert. Wozu führte das? Der Historiker Cecil Roth schreibt: „Der Talmud gab den Juden die charakteristische Prägung, durch die sie sich von anderen unterschieden, und er gab ihnen auch die bemerkenswerte Widerstandskraft und Zusammengehörigkeit. Die Dialektik des Talmud schärfte den Intellekt der Juden und verlieh ihnen jene über das normale Maß hinausgehende geistige Gewandheit. . . . der Talmud gab dem verfolgten Juden des Mittelalters eine andere Welt, in die er fliehen konnte, wenn die Schwierigkeiten der wirklichen Welt zu unerträglich wurden. Der Talmud gab ihm ein Vaterland, das er mit sich tragen konnte, als das eigene Vaterland verloren war.“
Ohne Zweifel hat der Talmud großen Einfluß ausgeübt, indem er Menschen lehrte, so zu denken wie die Rabbinen. Spiegelt der Talmud aber tatsächlich Gottes Denken wider? Das ist die eigentliche Frage, die sich jedem — ob Jude oder Nichtjude — stellt (1. Korinther 2:11-16).
[Fußnoten]
Entwicklung und Inhalt der Mischna wird in dem Artikel „Die Mischna und das Gesetz, das Gott Moses gab“ im Wachtturm vom 15. November 1997 ausführlich beschrieben.
Allgemein verbreitet ist die Bezeichnung Jerusalemer Talmud für den palästinischen Talmud. Dieser Titel ist allerdings in gewisser Hinsicht irreführend, da es den Juden fast die gesamte Amoräerzeit hindurch strengstens verboten war, Jerusalem auch nur zu betreten.
aus dem wachturm mai 1998