rabunsel schrieb:Jetzt wirds philosophisch.
Wer definiert denn, wann ein Laut auch ein Schrei ist? Meiner Meinung nach ist ein Schrei immer subjektiv.
Es wird eher archeophilosophisch.
Wie ich sagte, ist ein Eindruck, eine Erinnerung eines Lauts durch einen Zeugen subjektiv. Der Schrei als Ereignis bleibt objektiv. Das darfst Du nicht damit verwechseln, ob er "wahr" ist, also ob er sich auch tatsächlich gegen 02:30 Uhr ereignet hat. Das lässt sich objektiv nicht mehr feststellen, weil die Schallwellen in jener Nacht verhallt sind.
Was bleibt ist die zeitliche und örtliche Korrelation aus dem Inhalt der Zeugenaussage (subjektiv im Inhalt, objektiv in ihrer Entäußerung im Gerichtssaal), den Handydaten (objektiv) und dem Tod der jungen Frau (auch objektiv).
Ob und wie weit das Gericht die Zeugenaussage als Indiz für seine Sachverhaltsfeststellung heranzieht, ist eine andere Frage. Ob T. die Ursache für Schrei, Notruf und Tod war, habe ich nicht behandelt. Denn das entscheidet das Gericht auf Grundlage seiner persönlichen Überzeugung (subjektiv). Der durch das Gericht festgestellte Sachverhalt (Urteil, Rn. 20 ff.) gilt rechtlich als Wahrheit, sofern Rechtskraft eingetreten ist. Er wird objektiv, ich nenne das "prozessuale Wahrheit". Da das Urteil aufgehoben wurde, wird derzeit eine neue "prozessuale Wahrheit" gesucht. Egal was dabei herauskommt, die "historische/naturwissenschaftliche Wahrheit" (also das, was tatsächlich geschehen ist und sich oft nicht klar oder sicher aufklären lässt) kann davon abweichen.
Eine solche Abweichung macht ein Urteil aber noch nicht falsch. Weshalb beispielsweise bei einer Wiederaufnahme ein neues Beweismittel Relevanz für den Schuldspruch haben müsste, um beachtlich zu sein.
rabunsel schrieb:Bei der Verobjektivierung gehst du schon davon aus, dass eine bestimmte Theorie bewiesen sei, allerdings wurde die zeitliche Einordnung des Schreis unter anderem genommen um überhaupt eine Theorie zu einem Tathergang aufzustellen. Beides gleichzeitig macht keinen Sinn und wäre eine Logikfehler (um nicht dieses verhasste Wort zu verwenden).
Nach Deiner Logik könnten Gerichte nie in Indizienprozessen verurteilen.
Und Deine Logik ist unlogisch: Eine Theorie muss nicht bewiesen sein, um sie aufstellen zu können. Hier ist die Theorie die richterliche Überzeugung vom tatrelevanten Sachverhalt auf Grundlage der Beweisaufnahme im Prozess (Rn. 20 ff. im Urteil). Und diese richterliche Überzeugung muss sodann im Urteil erschöpfend begründet werden. Durch die Beweiswürdigung. Damit wird in der Urteilsbegründung schriftlich etwas nachvollzogen, was gedanklich in den Köpfen des Gerichts schon davor existierte. Ein Urteil ist keine theoretische Abhandlung, bei der man am Anfang nicht weiß, was am Ende rauskommt. Es ist kein Rechtsgutachten. Sondern im Urteil kommt das Ergebnis, der Tenor, zuerst ("T. ist der Täter...") und die Begründung folgt ("...weil..."). Die zeitliche Einordnung der Wahrnehmung der Zeugin (Schrei) folgt also nicht der Feststellung von der Täterschaft des T., sondern geht ihr voraus.
Deshalb spricht das Gericht auch das Urteil, bevor die schriftlichen Urteilsgründe abgefasst sind. Die Urteilsgründe erläutern den bereits gefällten Urteilsspruch und müssen erst Wochen oder Monate nach dem Schuldspruch (je nach Prozessdauer) vorgelegt werden.
Nochmal: Die von der Verteidigung plakativ behaupteten "Logikfehler" entstehen, weil die Verteidigung Beweise anders würdigt als das Gericht. Und so zu einem anderen Sachverhalt kommt. Der passt dann nicht zu den Schlussfolgerungen des Gerichts und soll dann "unlogisch" sein. Das ist Propaganda.