kollberg schrieb:Da du selbst weiter oben das erste Gericht wieder ins Spiel brachtest: Dessen Version - Hanna tätigte den Anruf, als sie schon lag, ST auf ihr kniete und auf den Kopf schlug - erschien dir also im Vergleich naheliegend? Oder war es zweckdienlich, das zu präferieren, damit der Angeklagte leichter schuldig ist?
Oder weniger polemisch ausgedrückt: überzeugte dich das Gesamtszenario damals so, dass du diesen Teilaspekt in Kauf nehmen konntest? Bei mir war tatsächlich spätestens da Schluss.
Diese Frage hast Du mir in ähnlicher Form schon mal gestellt:
kollberg schrieb:Was immer man davon halten mag: ich finde es etwas problematisch zu sagen: Urteilsspruch schon ok, der wars, aber das, das und das war halt anders. Bzw das kann man machen, aber ohne Einbettung in ein komplettes alternatives Tatgeschehen hängt man dann genauso in der Luft wie bei isolierten Spekulationen Richtung Unfall.
Die Veränderung des Tatablaufes in so einem entscheidenden Punkt (Überraschungsangriff oder nicht) ist für mich auch etwas anderes als wenn man ein einzelnes Indiz weglässt, weil es nicht überzeugt.
Und ich habe sie so beantwortet:
Origines schrieb:Puh, ja damit habe ich auch immer Probleme. Das Gericht nimmt einen Sachverhalt als gegeben an, der sich am besten mit den Indizien (und deren Würdigung) in Übereinstimmung bringen lässt. Das muss es, weil es einen Sachverhalt als "erwiesen" annahmen muss, um auf dieser Grundlage verurteilen zu können. Gewissheit hat man damit nicht. Es kann sich so zugetragen haben, es muss aber nicht. Aber das kommt raus, wenn die Hürde die "richterliche Überzeugung" ist.
Am Ende aller Tage ist dieser Sachverhalt eine mögliche Variante, nicht zwingend die einzige. Trotzdem darf auf dieser Grundlage verurteilt werden. Der Sachverhalt im Urteil suggeriert also eine Gewissheit, die es oft so nicht gibt. Das ist rechtmäßig und unvermeidlich, wenn ich Angeklagte nicht "ins Blaue hinein" verurteilen möchte. Das ist die "prozessuale Wahrheit", ein durch ein Verfahren generiertes Konstrukt. Sie muss nicht der "historischen" oder "naturwissenschaftlichen" Wahrheit entsprechen, soll ihr aber so nahe wie möglich kommen.
Ob mich das erste Urteil "überzeugt" hat, war für mich nie der Maßstab. Ich bin nicht das Gericht. Entscheidend ist für mich ist, ob das Gericht seine Überzeugung so dargelegt und erläutert hat, dass ich es nachvollziehen und keine Rechtsfehler gefunden habe. Ich blicke also mit der Sicht des BGH auf das Urteil (wobei ich natürlich nicht der BGH bin). Was den konkreten Tathergang betrifft, bei dem ja niemand außer dem Täter dabei war, da gibt es sichere mehrere Möglichkeiten, die je nachdem Mord, Totschlag, fahrlässiger Tötung, Körperverletzung mit Todesfolge usw. ergeben könnten. Das Gericht muss, wenn es von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, die Variante wählen, von der es im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Indizien höchstpersönlich überzeugt ist.
Und es gibt keine Beweisregel, die angeklagtengünstigste Interpretation zu wählen. Oder Gewissheit zu verlangen. Also ist nur entscheidend: War es so möglich, wie es das Gericht angenommen hat?
Zweifel ist da total legitim. Aber das reicht nicht für die Annahme eines Rechtsfehlers. Und somit wäre das erste Urteil - wäre es nicht aufgehoben worden - ohne Rechtsfehler. Auch wenn ich - da bin ich bei Dir - bei vielen Urteilen prinzipielle Zweifel habe, ob es sich so zugetragen
muss. Aber das ist halt nicht der Punkt. Es reicht, dass es sich so zugetragen haben
kann. Und die Annahme des Gerichts lässt sich halt nicht durch Logik oder Erfahrungssätze widerlegen.