nasenstüber schrieb:Habe auch nie verstanden, wie man sich als etwas fühlen kann, von dem man unmöglich wissen kann, wie es sich anzuführen hat. Selbst ich als Mann weiß nicht mal, wie man sich als Mann zu fühlen hat.. geschweige denn als Frau.
Genau das ist der Kern der Empathie. Die Mischung aus Vorstellungskraft und Einfühlungsvermögen in die Lebenssituation, Bedingungen und Gefühle anderer. Manche haben mehr davon, andere weniger, wieder andere unterliegen nur einer rein subjektiven Interpretation. Natürlich wird niemand wissen, wie es ist das Leben einer anderen Person zu leben. Man wird nie exakt das Gleiche empfinden und denken, aber es gibt eben etwas, bei dem man sich mental daran annähern kann und eine Ahnung davon erhalten kann. Aber wie gesagt, diese Fähigkeit ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Bei jenen, die diese Fähigkeit nicht haben, kann man sehr schnell erkennen, das diese Menschen auch nur selten Rücksicht auf andere nehmen, oder die Lebensrealität anderer Menschen die nicht ihren Vorstellungen und Prägungen entsprechen, ausblenden, leugnen, oder gar angreifen. Bei jenen, wo Empathie stark ausgeprägt ist, können jene Menschen die Lebenssituation und Empfindungen anderer auf sehr ähnliche Weise nachfühlen, nicht exakt gleich, aber kommen der Sache recht nahe.
Ich kann mir das jedenfalls sehr gut vorstellen, das liegt vielleicht auch daran, das ich einige Zeit sehr androgyn war, so auch meine feminine Seite an und in mir akzeptiert habe. War zwar nicht trans*, habe aber im Laufe der Zeit sehr viel Verständnis dafür gewonnen.
In deinem Fall denkst du sicherlich auch nicht über solche Dinge groß nach, daher hinterfragst du die geschlechtlichen Belange weniger. Man wird nicht hinterfragen wie man sich als Mann oder Frau zu fühlen hat, wenn man schlicht und einfach im Einklang mit dem gebürtigen Geschlecht ist. Daher weiß man auch nicht so wirklich, wie man das dann anderen erklären könnte wie man sich als Mann oder Frau fühlt, es ist wie es ist. Wenn man jedoch Dinge durch maskuline und feminine Eigenschaften, Verhaltensweisen, Denk- und Empfindungsweisen betrachtet, wird man nach und nach feststellen, das es da schon recht klare Empfindungen geben kann. Man ist allein schon durch gewisse Hormone geprägt, die eben auch die Empfindungen und Denkweisen entsprechend stimulieren und prägen können. Das ganze reicht dann bis tief in die Neurobiologie hinein.
Menschen, die im Einklang mit ihrem Geburtsgeschlecht sind und das nie hinterfragen, wissen schlicht und einfach nicht, wie es sein "könnte". Jedoch gibt es eben auch für sie zumindest das Gedankenexperiment, zu versuchen sich da in das jeweils andere Geschlecht, oder auch nur eine andere Person hineinzuversetzen. Unterschiedlichste Situationen, unterschiedlichste Gegebenheiten. Natürlich lässt sich da nicht alles am Geschlecht und dessen Stereotypen festmachen. Das meiste ist auch stets eine individuelle und rein subjektive Frage, nur gibt es eben durchaus Szenarien, da kann man gewisse Situationen, die das jeweilige Geschlecht allgemein betreffen, versuchen zu erfassen. Das ist schwer zu erklären, aber am ehesten kann man in einem Rollenspiel das vielleicht ein Stück weit verstehen.
Interessant bei der ganzen Thematik rund um Transidentität und Empathie, ist auch die Tatsache, das man, wenn man in seinen geschlechtlichen Stereotypen fest verharrt, sich nicht in andere zumindest ansatzweise hineinversetzen kann, es auch erklärt, warum so viele Menschen Beziehungsprobleme haben. Also auch ganz unabhängig der Transthematik, es ist am Ende immer eine Frage der nötigen Empathie, wenn diese in einer zwischenmenschlichen Beziehung nicht vorhanden ist, dann scheitert meist eben auch das Zusammenleben und eine gesunde Beziehung zueinander. Natürlich wird man als Mann niemals den Zyklus einer Frau, oder eine Schwangerschaft nachempfinden können, nur kann man es zumindest im Ansatz versuchen, so kann man vielleicht auch selbst bei sich eine feminine Seite entdecken. Bei Frauen dann eine maskuline Seite.
Gibt dafür auch eine Bezeichnung, Animus und Anima:
Original anzeigen (0,2 MB)Anima und Animus sind in der analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung wichtige Archetypen, die die innere weibliche Seite des Mannes (Anima) und die innere männliche Seite der Frau (Animus) repräsentieren. Sie sind nicht einfach psychologische Konstrukte, sondern essenziell für die individuelle Entwicklung und Selbstrealisierung. Wikipedia: Animus und Anima
Aniara schrieb:Ich persönlich halte das für deutlich wahrscheinlicher, als das man tatsächlich mit dem "falschen Geschlecht" geboren wurde.
Aber das ist ja nur meine persönliche Meinung, damit mag ich keine Betroffenen angreifen.
Wenn ein Mensch, schon vor der Geburt durch bestimmte genetische und hormonelle Prägungsprozesse geprägt wird, diese sich dann nach der Geburt nach einigen Jahren nach und nach manifestieren und äußern, kann eben bei einigen eine Diskrepanz entstehen. Dann sind jene Menschen wirklich im "falschen" Geschlecht und wollen sekundäre und/oder primäre Geschlechtsmerkmale mit ihrem inneren Empfinden und ihrem Wesen in Einklang bringen. Nicht mehr und auch nicht weniger. Jene, die es nicht betrifft, können das natürlich nur schwer verstehen und nachvollziehen, aber wenn man Menschen kennt, die das betrifft, die sich da auch einem anvertrauen und es einem versuchen zu erklären, können es zumindest etwas verständlicher machen. (wenn man denn so viel Verständnis aufbringen kann, Stichwort Empathie)
Eine Meinung kann man gern haben, man muss es auch nicht verstehen, jedoch sollte man dann auch keinem reinquatschen, den es betrifft. Meinungsaustausch ist richtig und wichtig, nur wenn man so vehement die Lebensrealität anderer leugnet, kann das schon etwas problematisch werden.
Aniara schrieb:Das ist mir zu "abgedreht", sorry.
Ja, mag etwas "abgedreht" klingen, jedoch kann man es sich tatsächlich so vorstellen. Es ist, als sei das "Gehirngeschlecht" nicht im Einklang mit dem "Körpergeschlecht". Es gibt eben nicht nur äußerliche Geschlechtereigenschaften, sondern eben auch innerliche, nicht so leicht sichtbare. So ist eben die Psyche auch stets Teil der Neurophysiologie. Das ist nicht abgedreht, sondern sind eben biologische und auch psychologische Fakten die man da nicht ausblenden kann.