Kindererziehung: Ohrfeige noch gerechtfertigt?
27.07.2020 um 16:19
Um es kurz zu sagen: Nein. Es ist niemals gerechtfertigt.
Um es lang zu sagen: Ich hatte eine sehr brutale Kindheit. Meine Mutter verließ uns, als ich drei war, und die neue Frau meines Vaters, die keine paar Wochen später mitsamt ihres Sohnes einzog, hat mich nicht nur von meiner Mutter isoliert, indem sie sie zur Persona non Grata machte, wie auch der Rest meiner Familie mütterlicherseits, sie hat sobald das geschafft war, über 11 Jahre nahezu jeden Tag auf mich eingedroschen, ebenso wie ihr mitgebrachter Sohn. Sie hat es durch kontinuierliche Steigerung soweit normalisiert, dass auch mein Vater keine Schwierigkeiten hatte, mir mit 11 mit der Faust ins Gesicht zu schlagen und es als gerechtfertigt zu sehen.
Ich war vier, als ich mich zum ersten Mal an wirkliche Misshandlung erinnere. Damals hab ich in kindlichem Leichtsinn, die Pickel von der Rauhfasertapete abgeknippelt - heute weiß ich, dass ich Asperger bin und solche Sachen mich auf einer tief emotionalen Ebene beruhigen.
Die Bestrafung fand auf allen Ebenen statt - ich stand über Stunden auf dem Flur und wurde im Vorbeigehen mit Händen, Schuhen, Gegenständen geschlagen, wenn ich auf den Boden fiel, wurde ich wieder hingestellt. Es war damals schon so etwa 23 Uhr und für mich viel zu spät, ich war totmüde.
Ich glaubte damals an den Weihnachtsmann und mir wurde ein Telefonat mit dem Weihnachtsmann fingiert, der entsprechend über meine Untat informiert wurde.
In den Kindergarten kam ich zwei Tage später wieder, wo mir scharf eingebläut wurde, zu sagen, ich sei eine Treppe herunter gefallen, da mich ja jeder auslachen würde, wenn ich sagte, was ich getan habe.
Als ich in die Schule kam, brauchte es keine solchen "Anlässe" mehr. Das "U" ist krummer geschrieben als das "U" davor? Ohrfeige. Du hast das Wort falsch geschrieben? Ohrfeige.
Das intensivierte sich über die Jahre. Meine Stiefmutter ging dazu über, hinter mir zu stehen, wenn ich zuhause Aufsätze schrieb. War ich zu langsam, oder verschrieb mich, schlug sie mir auf den Hinterkopf, ich mit dem Gesicht auf die Tischplatte.
Meine Stiefmutter hatte einen ausgeprägten Sauberkeitswahn. Jeden Tag wurde gesaugt, gewischt, alles, das ganze Haus. Spielsachen haben sich in Kisten zu befinden. Bücher sortiert im Regal zu stehen, Müll wird nicht toleriert.
Sie ging dazu über, wenn sie einen "Fehler" im Haushalt entdeckte, sämtliches Inventar aus Schränken, Regalen etc. zu reißen, kaputt zu werfen. Dann wieder von vorne. Es stimmt wieder nicht? Zurück auf Anfang.
Geschlagen wurde mit allem. Ich erinnere mich in der Hochphase hat man mich einmal mit meinen Winterstiefeln so lange geschlagen, bis die Kaputt waren.
Weil ich sie nicht sauber machte. Tragen musste ich sie weiterhin.
Ich habe Narben. Überall. Ich wurde gezwungen meine Exkremente zu Essen, mein Erbrochenes, weil mir konsequent nur zu essen gegeben wurde, was ich nicht mochte. Ich musste so sein, wie sie es wollten, in jedem Augenblick.
Mit 12 hatte ich mir längst angewöhnt, über die Gartenmauer zu klettern, um in mein Zimmer zu gucken. Lagen dort Trümmer, konnte ich mich drauf einstellen. Eines Tages habe ich sie dort wüten sehen und wollte mich im Garten mit der Gartenschere umbringen. Bin stattdessen zur Polizei, wollte sie anzeigen, aber das kann man mit 12 noch nicht. Ich kam zum Jugendamt, die haben auf meinen Wunsch meine leibliche Mutter informiert und nach Hause gebracht.
Ich erinnere mich von da an an fast nichts mehr.
Ich will es auch nicht noch weiter ausmalen. Mit 14 kam ich da raus. Als Wrack, bis heute, völlig zerstört, aber reflektiert darüber und seit Jahren arbeite ich an den Wunden, die diese Leute hinterlassen haben.
Wer jetzt sagt, dass es einen Unterschied gäbe, zwischen der einmaligen Ohrfeige hier und diesen Missgeburten, wie ich sie hier beschrieb, der irrt. In diesem Moment, wo man sein Kind schlägt, für diesen Herzschlag lang, ist man genau so eine Missgeburt. Du hast dich in diesem Moment ohne wenn und aber auf das niedrige Niveau dieser Kreaturen begeben, für diese Sekunde bist du genauso ein Schmock wie die. Es gibt keine Rechtfertigung.
Stellt euch vor, ein drei mal so großer Mensch kommt auf euch zu und pfeffert euch eine. Am besten, wenn ihr wüsstet, dass ihr dieser Person eigentlich vertrauen müsstet.
Und ihr, die ihr sagt, "Mir hat das nicht geschadet", dann liebt ihr euch nur zu wenig selbst. Denn wer sich selbst liebt, wird niemals relativieren, dass ihm Leid zugefügt wurde.
Wer sein Kind schlägt, in welcher Form, aus welchem Grund, ist nicht besser als meine Stiefmutter.
Bumfuzzle schrieb:Was ist das? Eine Ohrfeige?
