Brexit und danach?

Anaximander schrieb:@MahatmaGlück

Ein Absegnen durch das Parlament ist äußerst unwahrscheinlich, selbst wenn Bercow sich überreden lässt. Dass Art. 50 innerhalb einer Woche zurückgezogen wird, ist unmöglich.

Das wurde gestern Abend (Nacht..) sowohl auf Sky wie auch auf BBC thematisiert.
Die Regierung kann den Art. 50 jederzeit annullieren.

Es ist sogar offen, ob dabei überhaupt das Parlament ein Mitspracherecht haben kann/darf/muss/soll, denn es handelt sich dann "nur" um die Wiederherstellung des Status Quo, also des verfassungsrechtlichen Zustandes vor dem Austrittsgesuch nach Art. 50 des Lissabon-Vertrages.
Zeitlich ist die Rücknahme jederzeit möglich - jederzeit vor dem 29. März. "Es gilt das Datum des Poststempels", um es salopp zu sagen.

@MahatmaGlück

Wunschdenken der britischen Presse.

Formaljuristisch ja, da ist das so, der EuGH hat so entschieden.

Aber wie soll das praktisch gehen? TM hat deutlich gemacht: eine Verschiebung jenseits von Juni nur über ihre Leiche. Rücknahme darf man gar nicht aussprechen.

Das Parlament müsste sie also innerhalb der nächsten paar Tage stürzen und gleichzeitig einen neuen Regierungschef ernennen. Und dann auch noch eine Mehrheit für den Rückzug zusammenbekommen, für den höchstens die LibDems (selbst die wahrscheinlich nicht ohne Referendum) stimmen würden.

@Anaximander
Welche Möglichkeiten gäbe es denn noch, mal ganz nüchtern betrachtet?
Der No-Deal-Ausstieg ist Schaumschlägerei, er wird nicht kommen, darauf würde ich wetten.

May kann die Rücknahme auch ohne politischen Schaden (für sie + ihre Regierung) kommunizieren. Sie hat versucht, zu liefern, aber das Parlament war unfähig. Also erst einmal Exit vom Brexit to sort things out .
Damit ist ihre Amtszeit als PM auch beendet und das Brexit-Thema schläft langsam wieder ein.

Übrigens: Der vielbesungene May-Deal ist ja auch kein echter Austritt, sondern regelt erst einmal nur, wie es in der Übergangsphase weiter gehen soll. Ob es danach wirklich zu einem echten Brexit kommt oder UK weiter de facto an die EU gebunden bleibt, ist noch gar nicht richtig besprochen worden.

@MahatmaGlück

TM ist kurz vor der Ziellinie. Man muss das psychologisch sehen. Sie kann das für sie rettende Ufer bereits erkennen, was danach kommt, kann ihr egal sein, denn sie wird eh nicht mehr lange dabei sein.

Sie wird bis zum Ende versuchen, das Abkommenein zum 3. Mal zur Abstimmung zu stellen. Wenn es erwartungsgemäß scheitert, muss sie nur noch bis kommenden Freitag durchhalten, dann ist sie durch.

Dem Parlament bliebe allenfalls noch, sie abzusetzen und jemanden zu finden, der um eine lange Verlängerung ersucht. Das wird an den 4 verbleibenden Parlamentstagen (Mo-Do) schwierig.

Anaximander schrieb:Dem Parlament bliebe allenfalls noch, sie abzusetzen und jemanden zu finden, der um eine lange Verlängerung ersucht. Das wird an den 4 verbleibenden Parlamentstagen (Mo-Do) schwierig.

Okay, das könnte die Lösung sein. MV3 wird abgelehnt, TM tritt unmittelbar zurück, bzw. wird zurück getreten.

Die EU (Rat) privilegiert ohnehin eine sehr lange Verlängerung, bis hin zu einer vollen Legislaturperiode.

Mit der Art und Weise, wie sie gestern mit ihrer Rede die Commons angegangen hat, wäre es ein Wunder, wenn MV3 noch abgesegnet wird.

SPON:

- Merkel drängt Briten zu geordnetem Brexit
und
- Auch Oppositionsführer Corbyn reist nach Brüssel

Lasst die Endspiele beginnen *hüstel*

Artikel 50 soll rückgängig gemacht werden.

Zu diesem Behufe wurde eine Online-Petition geschaffen.
Aktueller Stand: 696.000 Unterschriften.
https://petition.parliament.uk/petitions/241584

Petitionen über 100.000 müssen im Parlament besprochen werden.

Eine Umfrage zu Leave/Remain sieht weiter das Remainlager im Vorteil: 53 - 47 (Umfrage zwischen dem 15. und 17.03.)
https://whatukthinks.org/eu/opinion-polls/euref2-poll-of-polls/

Ein 2. Referendum birgt also nach wie vor Risiken, es wäre von einem verhältnismäßig knappen Ergebnis auszugehen.

MahatmaGlück schrieb:Okay, das könnte die Lösung sein. MV3 wird abgelehnt, TM tritt unmittelbar zurück, bzw. wird zurück getreten.

Ja, wie gesagt, im Vergleich zu dem no deal halte ich das für unwahrscheinlich, wenngleich nicht unmöglich. TM wird nicht freiwillig abtreten, und die Möglichkeiten, sie abzusetzen, sind bereits in der jüngsten Vergangenheit ausgeschöpft worden, es gibt auch keine Zeit mehr. Das Parlament könnte sich auf die Option lange Verlängerung mit Teilnahme an den EU-Wahlen einigen, der Preis dafür wäre aber ein 2. Referendum oder dgl. Daher sieht es einfach danach aus, dass das Verfahren ausläuft. Und das bedeutet dann no deal.

MahatmaGlück schrieb:Artikel 50 soll rückgängig gemacht werden.

Diese Petitionen gibt es seit dem Referendum. Die erste für ein 2. Referendum hatte in kurzer Zeit Millionen von Unterschriften, sie werden aber immer abgelehnt, es gab bereits ein Referendum. Es bringt auch nicht viel, wenn das Parlament in 3 Monaten darüber nachdenkt.

Hier werden die Mechanismem erklärt, die dem Parlament noch bleiben, um Theresa May zu stoppen:

The Commons can vote for motions but a) the government has a large degree of control over what is debated (but not total control) and b) general motions passed by MPs are not binding.

Votes on legislation are, of course, binding, because they decide what’s law, and at some point the government will have to pass an EU withdrawal agreement bill (assuming the deal is passed). But most of the recent high-profile votes in the Commons have not been on statute.

The only failsafe mechanism available to parliament, if it wants to stop the PM doing something, is to remove her with a vote a confidence. But even then she would remain PM until either someone else came forward able to command a majority in the Commons (and it is not easy to see who that might be), or until after a general election, which would take several weeks.

https://www.theguardian.com/politics/blog/live/2019/mar/21/brexit-latest-news-eu-summit-article-50-extension-theresa-may-appeal-to-nation-backfires-as-mps-accuse-her-of-stoking-hate-politics-live?page=with:block-5c936edfe4b0e8eadf781779#block-5c936edfe4b0e8eadf781779

Genau genommen also gar nichts. Bzw. man kann TM nur durch eine Vertrauensabstimmung (Absetzung) davon abhalten, etwas zu tun, aber sie nicht dazu zwingen, etwas zu tun (bspw. art. 50 zurückziehen).

Wenn sie die Zeit einfach ablaufen lässt, und das wird sie (es sei denn es kommt zu der 3. Abstimmung und die geht durch), hast sie "es geschafft" - das war auch von Anfang ihr Plan, ihr persönlicher Triumph.

Fragt sich natürlich, ob ein solches Vorgehen auf Dauer Stabilität bringt. Kann ihr aber egal sein, wahrscheinlich ist sie dann weg, die Scherben können andere aufwischen (Boris?). Sehr warscheinlich ist damit die ganze Diskussion um das Verhältnis zur EU nicht beendet; im Gegenteil, bei dieser Vorgehensart würde ich mit einem baldigen Wiedereintrittsgesuch rechnen (ohnehin die beste aller Welten in der momentanen Situation).

Die britische Regierung schaltet in den Krisenmodus um und aktiviert die Notfallpläne für einen harten Brexit.

Was ich erstaunlich finde, wie sorglos die Mehrheit der Bevölkerung damit umgeht- als gingen die Folgen an ihr vorüber.

Großbritannien schlafwandelt in den Brexit
Experten kritisieren die Notfallpläne trotzdem schon lange als unzureichend. Das liegt einerseits in der Natur der Sache: "Die genauen Folgen eines EU-Austritts ohne Deal sind sehr schwierig vorherzusagen", schreibt der nationale Rechnungshof. Andererseits trägt die britische Regierung selbst gehörig dazu bei: Ende Februar räumte sie offiziell ein, dass lediglich zwei Drittel ihrer wichtigsten Brexit-Vorbereitungen im Plan lägen. Beispielsweise gibt es mit Japan und der Türkei immer noch kein Handelsabkommen, das die Vorteile im Rahmen der EU-Zollunion unmittelbar ersetzen könnte.

Erstaunlicherweise taumelt auch ein Großteil der Bevölkerung und der Wirtschaft des Landes dennoch wie im Schlaf auf den No-Deal-Brexit zu. Trotz aller Warnungen gebe es "kaum Belege, dass Firmen sich ernsthaft auf ein No-Deal-Szenario vorbereiten", heißt es in dem Brexit-Bericht der Regierung. Besonders bei kleinen und mittleren Unternehmen ließen die Planungen zu wünschen übrig. Nur ein Sechstel aller Importeure habe sich bisher registriert, wie es für den Handel mit der EU ab 29. März nötig ist. Laut einer Regierungsumfrage im Januar rechnen 55 Prozent aller Briten nicht damit, dass der No-Deal-Brexit sie betrifft.

Dabei warnt die Regierung ausdrücklich davor, dass trotz aller Vorbereitungen die Auswirkungen eines harten Brexits in einigen Bereichen deutlich zu spüren sein werden. Der Warenverkehr über den Ärmelkanal könne schlimmstenfalls "für Monate sehr erheblich reduziert werden". Die Lebensmittelpreise "werden sehr wahrscheinlich steigen". Trotzdem seien "viele Firmen der Lebensmittelbranche unvorbereitet für ein No-Deal-Szenario."

https://www.n-tv.de/wirtschaft/London-startet-Operation-Yellowhammer-article20921706.html

Sieht so aus, dass alles beim Alten bleibt: kurze Verlängerung ist möglich, aber nur bis zum 22. Mai und auch nur wenn das Parlament in der kommenden Woche für das Austrittsabkommen stimmt.

Andernfalls der no deal Brexit.

Viel Spekulation darüber, dass die EU auf einem finalen Gipfel Ende kommender Woche eine lange Verlängerung samt Teilnahme an den Europawahlen anbietet, aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen: die Initiative dafür müsste aus London kommen. Selbst wenn es so wäre, wären die Bedingungen selbst für das Parlament in seiner Mehrheit nicht annehmbar (geschweige denn für die Regierung).

In Vorbereitung für den no deal Brexit wird ab Montag eine Einsatzleitung in einem atombombensicheren Bunker eine Armee von 3.500 Soldaten befehligen, die in kürzester Zeit in Krisensituation eingreifen kann.

https://news.sky.com/story/brexit-military-steps-up-preparations-in-case-of-no-deal-11671941

Nicht gesagt wird, was die Soldaten machen sollen, geht es allein um Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung? TM war als Innenministerin für Polizeieinsparungen verantwortlich, das könnte sich jetzt rächen... Wann hat zuletzt ein Industriestaat Soldaten gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt?

Anaximander schrieb:Wann hat zuletzt ein Industriestaat Soldaten gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt?

Nicht gleich ein Drama ausmalen.

Ich gehe davon aus, dass deren Aufgabe sein wird Regierungsgebäude, Banken, Schlösser, hochrangige Prominente zu schützen und Plünderungen, Vandalismus zu verhindern.

frauZimt schrieb:Plünderungen, Vandalismus zu verhindern.

So würde ich das auch sehen: wenn es in bestimmten Regionen nicht mehr ausreichend Nahrungsmittel gibt, könnte es zu Plünderungen kommen. In diesem Fall wird die Armee eingesetzt.

Heißt: die Regierung ist unfähig, die eigene Bevölkerung mit Nahrung zu versorgen und lässt diese im Zweifelsfall auch lieber erschießen (etwas überspitzt formuliert).

Und die Einsatzleitung ist im Atombunker sicher vor Anschlägen (durch die eigene Bevölkerung). Oder ist der Atombunker einfach nur besonders komfortabel?

Mittlerweile sieht es so aus, dass es doch noch Verlängerung gibt, auch ohne vorherige Ratifizierung des Austrittsabkommens, allerdings nur bis zum 7. Mai. Sollte das UK bis zum 11. April (Stichtag zur Anmeldung für die Europawahl) noch eine Verlängerung bis Ende des Jahres wünschen, wäre auch das möglich.

https://www.reuters.com/article/us-britain-eu-delay-options/eu-mulls-brexit-lag-until-may-7-or-the-end-of-the-year-diplomats-say-idUSKCN1R22A8

Also doch ein Gesinnungswechsel. Oder hat jemand noch andere Infos?

Und WIE soll das gehen? Da standen doch immer die rechtlichen Bedenken im Raum, dass Beschlüsse des europäischen Parlaments ungültig wären ohne die britischen Abgeordneten.

@sigbert

Bis zum 11. April müsste sich das UK für die Europawahl anmelden, dann wäre auch Verlängerung über den 22. Mai hinaus grundsätzlich möglich.

Allerdings sind das alles anscheinend derzeit nur Szenarien, die momentan diskutiert werden bzw. von Journalisten aufgeschnappt werden, muss nicht das Endergebnis sein.

Die FAZ schreibt aktuell dazu, dass Frankreich den 7.mai vorschlägt:

https://www.faz.net/aktuell/brexit/europaeische-union-will-verschiebung-des-brexits-wohl-zustimmen-16101169.html

@sigbert

In dem FAZ-Artikel heißt es jetzt, dass 7. Mai zwar richtig ist, aber (und das ist entscheidend) auch nur wenn nächste Woche das Austrittsabkommen im Parlament durchgeht (sehr unwahrscheinlich).

Das wird anderswo anders dargestellt (vgl. Guardian newsticker), niemand scheint derzeit etwas genaues zu wissen.