Negev schrieb:Ich würde schon jedem ein Lebensrecht zugestehen. Ebenso Sicherheit und eine gesunde Ernährung. Und gesellschaftliche Teilhabe. Du nicht?
Doch. Aber unter einer (moralischen) Gegenleistung. Klar, juristisch wirst Du es absolut regeln müssen - aber moralisch finde ich, dass die Inanspruchnahme von gesellschaftlichen Leistungen nicht "selbstverständlich" ist - sondern nach den eigenen Möglichkeiten auch erwidert wird. So funktioniert doch ein Zusammenleben. Das gilt in einer Partnerschaft, in einer kleinen Gruppe und in jeder beliebig großen Gruppe vom Grundsatz her gleichermaßen.
Negev schrieb:Gesellschaftliche Teilhabe ist nicht Möglich! Das ist Fakt!
Das ist kein Fakt. Du stellst es Dir so vor. Und sicherlich ist gesellschaftliche Teilhabe einfacher, wenn man mehr Geld hat.
Aber Dir eine App zu holen, die bestimmte Dinge vorschlägt, und zu vermuten, die Leute würden beim Wandern (zu teuer) essen gehen wollen, ist eben nur Dein Versuch einer bestimmten Art von Teilhabe. Dann isst Du halt nicht im Restaurant, deswegen wird Dich keiner (der einigermaßen sozial verträglich ist) ausgrenzen.
Was ist mit einem Verein? Einem Büchereiclub? Sich zum "draußen sein" verabreden?
Negev schrieb:oder zumindest nicht so einfach
Dass es nicht allzu gerecht ist, habe ich geschrieben. Manche haben es leichter als andere - oft unverdient. das ist aber Teil des Lebens. Es rechtfertigt in meinen Augen nicht, das Maß an Unfairness noch zu steigern.
Negev schrieb:Denn wenn es tatsächlich um einen gerechten Tausch zwischen Geben und Nehmen ginge
Dass der Tausch "gerecht" ist, sagt keiner. Das wäre toll, ist aber kein Teil der Realität.
Negev schrieb:warum sind dann gerade die Berufe, die am meisten zur Grundversorgung beitragen – Pflege, Reinigung, Logistik, Bildung – so schlecht bezahlt?
Das ist einfach: Weil die Ergebnisse dieser Arbeit auch billig sein müssen. Weil sonst nur Reiche sich diese Dinge leisten könnten. Bis wir für diese Tätigkeiten Maschinen haben, wird das leider Teil der Lebensrealität sein.
Negev schrieb:Sie wirkt wie eine Projektion aus der Erfahrung kleiner Gruppen: Wer in einem Team nicht mitarbeitet, lässt die anderen hängen. Und das ist ärgerlich, weil die Arbeit dann auf weniger Schultern verteilt wird. Diese Dynamik kennt jeder – und sie wird auf die Gesellschaft als Ganzes übertragen. Doch das greift zu kurz.
Es greift nicht zu kurz. Der Maßstab ist beliebig skalierbar.
Natürlich ist es nicht wie in einer kleinen Gruppe, dass die Verweigerung eines Einzelnen existenziell bedrohlich ist. Aber bei vielen Einzelnen halt schon. Und wer entscheidet, wer diese Einzelnen sein dürfen? Wenn Du für Dich das Recht heraus nimmst, zu nehmen aber nicht zu geben, dann geht davon die Welt nicht unter. Aber es widerspricht dem Grundsatz des gesellschaftlichen Lebens. Du flüchtest Dich argumentativ in die Anonymität der großen Masse.
Negev schrieb:In einer Gesellschaft mit enormen Ressourcen, technologischem Fortschritt und gewaltigem Reichtum wäre es längst möglich, die Grundlagen für alle zu sichern – ohne dass jemand dafür seine Gesundheit oder Würde opfern muss.
Das Wort "Würde" ist ein großes Wort. Das kann man für alles benutzen, was man für sich nicht als hinreichend akzeptabel erachtet. Manche betrachten es als würdelos, jemandem die Schuhe zu putzen, anderen den Arsch abzuwischen, ein Gebäude zu reinigen, sich kein iPhone leisten zu können, nicht in ein Restaurant zum Essen gehen zu können ....
Das mag individuell auch zutreffen - aber es ist dann ein Totschlagargument. Ich definiere für mich, was Würde ist und dann erwarte ich, dass andere meiner Definition folgen. So funktioniert eine Gesellschaft aber nicht. Da gilt eine allgemeingültige Definition von Würde. Welche das ist, unterliegt einem steten Wandel.
Negev schrieb:Warum funktioniert ein System, das angeblich auf Fairness und Gegenseitigkeit beruht, so oft zum Nachteil derer, die am meisten beitragen?
Es beruht auf Fairness und Gegenseitigkeit - soweit das eben mit menschlichen "Mitspielern" umsetzbar ist. Deine Sichtweise ist ein gutes Beispiel: in der anonymen Masse großer sozialer Strukturen brauche es keine Gegenleistung. Das ist halt das Problem, Menschen sind sich eher selbst die Nächsten und nur ein Korsett aus gesellschaftlichen Regeln und Normen ermöglich ein "einigermaßen faires Zusammenleben".
Du bist sicher nicht das Hauptproblems. Da fallen mir z.B. viel eher Leute ein, die das System für Reichtum und Macht ausnutzen. Ich kann zehntausende "Arbeitsverweigerer" viel eher ertragen als die Profiteure von z.B. Cum-ex. Aber so ein bisschen trägst Du schon zum Problem bei. Nehmen ohne zu geben ist halt kein moralisch gutes Handeln. Das magst Du vor Dir rechtfertigen und Du versuchst es hier öffentlich zu rechtfertigen. Das kannst Du auch tun, es ist eine Meinung wie jede andere und wenn es Dir damit besser geht, geschenkt. Nur wenn Du Dich hier quasi aus dem Fenster lehnst, wirst Du wohl auch mit den Sichtweisen anderer leben müssen, die Deine Form des Gerechtigkeitsempfindens nicht teilen.
Dein Argument ist: Die Welt ist ungerecht und deswegen kann auch ich mir meine moralischen Normen aussuchen. Kann man so sehen. Wenn der andere drei Kugeln Eis bekommt, ist es scheiße, wenn ich nur eine habe. Dann lieber keine und ich kacke der Eisdiele vor die Türe.
Das Problem an so einer Sichtweise ist allerdings, dass man dann (wenn auch in einem vergleichsweise geringem Umfang) zum Gesamtproblem beiträgt. Ob man das so machen möchte, muss jeder für sich entscheiden. Ich finde es falsch. Meine Meinung. Wenn Du es richtig empfindest, ist das Deine Meinung. Damit kann ich leben.