Es gibt seit einigen Jahren einen losen Faden hier im Thread, den ich mit diesem Beitrag endlich aufgreifen möchte: Die
direkte Widerlegung der Funktionsfähigkeit von Richard W.'s "Schwerkraft-Kraftwerk".
Indirekt ist die Funktionsfähigkeit natürlich bereits dadurch widerlegt, dass das Konzept dem Energieerhaltungssatz widerspricht. Ein statisches Gravitationsfeld stellt -- so unpopulär das bei Perpetuum-Mobile-Erfindern auch sein mag -- keinen Energiezufluss dar, weshalb es unmöglich ist, daraus kontinuierlich Energie zu gewinnen.
In Herrn W.'s Video
"Beitrag 33.Teil1" ist die Darstellung des Funktionsprinzips des "Schwerkraft-Kraftwerks" einfach genug, dass mir eine sinnvolle Diskussion möglich erscheint. Für Uneingeweihte möchte ich hier zunächst den prinzipiellen Aufbau des zugrunde liegenden "Dreikammer-Zylinders" erläutern:
Herrn W.'s Dreikammer-Zylinder kann also bei vergleichbarem Volumen die dreifache Kraft gegenüber einem einfachen Hydraulik- bzw. Pneumatik-Zylinder erzeugen. Gegen dieses grundsätzliche Funktionsprinzip ist aus physikalischer Sicht auch nichts einzuwenden, da die erhöhte Kraft mit einem entsprechend höheren Energieaufwand verbunden ist.
Wichtig: Im Gegensatz zu obiger Prinzipdarstellung werden beim "Schwerkraft-Kraftwerk" nur die obere und die untere Kammer des Dreikammer-Zylinders aktiv genutzt, während die mittlere Kammer passiv mit der Atmosphäre verbunden ist.
Der folgende Screenshot aus dem o.g. Video zeigt die Variante des "Schwerkraft-Kraftwerks", die ich grob der folgenden Diskussion zugrunde legen möchte (leider ist die Darstellung im Video nicht ganz konsistent, weshalb ich leicht davon abweichen muss):
Original anzeigen (0,4 MB)Der linke und der mittlere Teil dienen dabei nur der anfänglichen Erläuterung, während der rechte Teil den eigentlichen Mechanismus darstellt. Es handelt sich (verkürzt dargestellt) um 10 aufgetürmte Dreikammer-Zylinder mit einem Volumen von je 1 m
3, die sich in einem 10 m hohen Wasserreservoir befinden. Die obere und die untere Kammer der Zylinder sind dabei jeweils mit dem umgebenden Wasser, die mittlere Kammer mit der Atmosphäre verbunden. Die Zylindersäule steht auf einem Kraftübertragungskolben, und kann auf diesem ca. 1 m "durch" den Boden des Wasserreservoirs absinken.
Herrn W.'s prinzipielle Idee ist, dass die Zylindersäule beim Absinken (Arbeitstakt) eine (erheblich) grössere Kraft nach unten ausüben soll, als bei ihrem Anheben in die Ausgangsposition (Rückstelltakt). Daraus würde, da die Wegstrecke bei beiden Takten gleich lang ist, wegen Energie = Kraft * Weg ein Energiegewinn folgen. Die unterschiedliche Kraftwirkung soll dadurch erreicht werden, dass die Zylinder beim Rückstelltakt (Anheben) "blockiert" sind, indem die untere Kammer mittels eines Ventils geschlossen wird. Dadurch können sich die Zylinder (unabhängig vom Druck in der oberen Kammer) nicht mehr in sich bewegen, verhalten sich also starr.
Zunächst eine Reihe von z.T. idealisierten Annahmen zur Erleichterung der Betrachtung:
- Für die einzelnen Zylinder seien obere und untere Stirnflächen von 1 m2, und 1 m Höhe angenommen.
- Alle Wandstärken und das Volumen des Kolbens seien als vernachlässigbar angenommen.
- Reibungsverluste, hydraulische Verluste, u.ä. seien als vernachlässigbar angenommen.
- Die genutzte Höhe der unteren und der oberen Zylinderkammer sei als vernachlässigbar angenommen.
- Die Masse der einzelnen Zylinder sei mit jeweils 2 t, und vollständig auf die untere Stirnfläche konzentriert angenommen.
Um Herrn W. entgegen zu kommen, verwende ich im Folgenden die von ihm favorisierten, veralteten (seit 1978 in Deutschland offiziell nicht mehr zulässigen) Einheiten Krafttonne (1 t
f = 1000 kg
f = 9.806,65 N) und Technische Atmosphäre (1 at = 1 kg
f/cm
2 = 10 t
f/m
2 = 98.066,5 Pa).
Aus den obigen Annahmen lassen sich die folgenden Kraftverhältnisse im Ausgangszustand (mit offenen unteren Zylinderkammern) ableiten:
Die auf die Zylinder-Stirnflächen wirkende Kraft ergibt sich gemäss: F = A * p = 1 m
2 * 1/10 at/m * Wassertiefe = 1 t
f/m * Wassertiefe. Der atmosphärische Luftdruck kann unberücksichtigt bleiben, weil er dadurch kompensiert wird, dass die mittleren Zylinderkammern mit der Atmosphäre verbunden sind.
Der unterste Zylinder Nr. 1 wirkt mit einer Kraft von 10 t
f + 9 t
f = 19 t
f durch den Wasserdruck, und mit 2 t
f durch sein Gewicht, also mit insgesamt 21 t
f nach unten. Gleichzeitig wirkt er mit einer Kraft von 10 t
f + 9 t
f = 19 t
f durch den Wasserdruck nach oben. Der darüber befindliche Zylinder Nr. 2 wirkt mit einer Kraft von 9 t
f + 8 t
f = 17 t
f durch den Wasserdruck, und mit 2 t
f durch sein Gewicht, also mit insgesamt 19 t
f nach unten. Die Kraft, die Zylinder Nr. 1 nach oben ausübt, hebt sich also mit der Kraft, die Zylinder Nr. 2 unten ausübt, genau auf. Das wiederholt sich entsprechend für die darüber befindlichen Zylinder, so dass sich die Kräfte zwischen den Zylindern alle aufheben. Beim obersten Zylinder Nr. 10 bleibt eine Kraft von 1 t
f nach oben "übrig", die durch ein Zusatzgewicht von 1 t im Bereich der oberen Stirnfläche dieses Zylinders ausgeglichen wird.
Sofern der Kraftübertragungskolben unterhalb der Zylindersäule genau die 21 t
f nach oben ausübt, die der unterste Zylinder Nr. 1 nach unten ausübt, ist die Konstellation im Gleichgewicht, und es findet keine Bewegung statt.
M.E. lässt sich der entscheidende Denkfehler von Herrn W. bereits direkt an dieser Konstellation zeigen, ohne den eigentlichen Arbeitstakt (Absinken der Zylindersäule um 1 m) überhaupt auszuführen. Herr W. ist nämlich der Ansicht, dass sich die nach unten wirkende Kraft im "blockierten" Zustand der Zylindersäule (alle unteren Zylinderkammern geschlossen) wie folgt ergibt: Gewichtskraft der Zylindersäule (wobei in der betrachteten Konstellation auch das Zusatzgewicht ganz oben berücksichtigt werden muss) abzüglich der Auftriebskraft der Zylindersäule mit Ausnahme des untersten Zylinders (der keinen Auftrieb erfährt). Konkret entspricht das (die einzelnen Zylinder haben ein Volumen von 1 m
3, was normalerweise einer Auftriebskraft von 1 t
f entspricht): 10 * 2 t
f + 1 t
f - 9 * 1 t
f = 12 t
f. Die nach unten wirkende Kraft der Zylindersäule müsste sich demnach durch Schliessen der Ventile der unteren Zylinderkammern drastisch von 21 t
f auf 12 t
f verringern.
Das ist falsch. Eine Betrachtung der Kraftverhältnisse zeigt:
Da die Zylinder bei geschlossener unterer Kammer praktisch starr sind, heben sich die nach oben und nach unten gerichteten Kräfte in den oberen Kammern jeweils gegeneinander auf. Da ansonsten kein Wasser "von unten" an der Zylindersäule angreift, hat sie
insgesamt keinen Auftrieb. Ohne Auftrieb wirkt die Zylindersäule mit ihrer vollen Gewichtskraft von 21 t
f nach unten, d.h. es gibt keinen Unterschied zu der Konstellation mit geöffneten unteren Kammern, und damit auch keinen Energiegewinn.
Die scheinbar positiven Messergebnisse bei Herrn W.'s Versuchsanlage (die erheblich geringer als bei der oben beschriebenen Konstellation sind) dürften auf Reibungseffekte und/oder im weitesten Sinne fehlerhafte Messungen zurückzuführen sein.
Es hat auch keinen Sinn, nach einer "Lösung" zu suchen. Das würde höchstens den Fehler an eine andere Stelle verlagern. Ein "Schwerkraft-Kraftwerk" im hier betrachteten Sinne
kann grundsätzlich nicht funktionieren.
Im Rahmen der klassischen Physik (was
sehr weite Teile der Realität abdeckt) ist ein Energieüberschuss absolut ausgeschlossen. Das ist seit ungefähr hundert Jahren eindeutig
bewiesen. Leider ist das Verständnis dieses Beweises mathematisch ziemlich anspruchsvoll, was aber nichts an seiner enormen Aussagekraft ändert. Eine Berechnung im Rahmen der klassischen Physik, die zu einer nicht ausgeglichenen Energiebilanz führt, ist mit Sicherheit entweder formal oder numerisch falsch.
Der Energieerhaltungssatz gilt übrigens -- anders, als in der Freie-Energie-Szene immer wieder behauptet wird --
uneingeschränkt auch für offene Systeme. Er wird lediglich oft anhand eines isolierten (abgeschlossenen) Systems
erklärt, weil das der einfachste Fall ist. Bei einem offenen System müssen einfach nur die Materie- und Energie- Zu- und Abflüsse mit in die Energiebilanz einbezogen werden. Dabei stellt -- um es nochmal ausdrücklich zu betonen, weil es in dieser Hinsicht immer wieder Missverständnisse gibt -- ein konservatives Kraftfeld, wie z.B. das Gravitationsfeld der Erde,
keinen Energiezufluss dar. Kraft ist keine Energie, auch wenn viele Menschen das "Gefühl" haben, es sei anders.
Bei der Diskussion von Freie-Energie-Erfindungen kommt häufig der Vorwurf auf, die Kritiker hätten sich die spezifische Konstruktion, um die es geht, gar nicht genau angesehen. Das ist in den allermeisten Fällen auch tatsächlich überflüssig. Sofern man der Konstruktion auf den ersten Blick ansehen kann, dass Effekte, die über die klassische Physik hinausgehen (z.B. nukleare Reaktionen) praktisch ausgeschlossen sind, ist die Restwahrscheinlichkeit, dass an der Erfindung doch was dran sein könnte, so extrem gering, dass eine weitere Beschäftigung damit i.d.R. kaum lohnt.
Mein Standardbeispiel, um das zu erläutern, ist der Laie, der zum Mathematiker kommt, und behauptet, er hätte eine ganz besondere Kombination aus zehn natürlichen Zahlen zwischen Eins und Zehn gefunden, deren Summe grösser als Hundert ist (für Spitzfindige: alle Begriffe sind im allgemein üblichen Sinne zu verstehen). Der Mathematiker unterbricht ihn, und sagt ihm, dass das unmöglich ist. Der Laie regt sich auf, und beklagt sich, dass der Mathematiker doch
seine ganz spezielle Zahlenkombination noch gar nicht kenne. Natürlich muss der Mathematiker die spezielle Kombination auch gar nicht kennen, weil
keine mögliche Kombination eine Summe grösser als Hundert ergeben kann. Genausowenig kann irgendeine Kombination von Elementen der klassischen Physik (was, wie erwähnt, sehr weite Teile der Realität abdeckt) einen Energieüberschuss ergeben.
Ein anderer häufiger Einwand ist, dass ein mathematischer Beweis nicht mit 100%iger Sicherheit auf die Realität übertragbar ist. Das ist richtig, aber irrelevant. Nichts ist 100%ig sicher. Es ist z.B. unmöglich, sicher zu beweisen, dass die Welt nicht letzten Donnerstag erschaffen wurde. Die Übereinstimmung sehr weiter Teile der Realität mit der klassischen Physik ist millionenfach auf vielen verschiedenen Ebenen extrem gut bestätigt. Die Wahrscheinlichkeit einer
wesentlichen Abweichung in einer Konstellation, bei der es nicht den geringsten Grund für die Annnahme des Auftretens nicht-klassischer (z.B. nuklearer) Effekte gibt, ist vernachlässigbar gering. Wer anderer Ansicht ist, sollte vielleicht zum
Last Thursdayism übertreten.
;)Die aus dem Energieerhaltungssatz folgende Unmöglichkeit eines "Schwerkraft-Kraftwerks" im hier betrachteten Sinne ist (neben den bekannten Problemen wie die Verwendung seit Jahrzehnten veralteter Einheiten und sehr vielen Detailfehlern) der Hauptgrund, warum "die Wissenschaft", wie Herr W. immer wieder beklagt, kein Interesse daran hat, sich mit dieser Erfindung zu beschäftigen. Das Thema ist seit hundert Jahren abgehakt.