Lanigiro schrieb:Ethisch nicht zu rechtfertigen, finde ich die Selbstmordtheorie.
Seit wann kann die Wahrheit un-ethisch sein? Suizid ist und bleibt nun einmal die häufigste nicht-natürliche Todesursache bei Frauen (und auch Männern) in Scarletts Alter. Im Durchschnitt der Jahre 2017-2002 sind 8 x mehr Frauen in Scarletts Alter an Suizid verstorben als an Verbrechen. (Die Daten stammen aus der offiziellen Todesursachenstatistik des Bundes, die frei zugänglich ist; man muss halt nur selbst ein wenig rechnen). Diese Daten machen es natürlich nicht zwingend, dass Scarlett sich suizidiert hat, aber sie werfen schon große Zweifel an der Idee auf, ein Suizid Scarletts sei vollkommen abstrus. Und nur diese Idee kritisiere ich. (Die Polizei kennt diese Daten übrigens auch sehr gut und lässt sie in Bewertungen von Vermisstenfällen einfließen - natürlich ohne das an die große Glocke zu hängen).
So, und jetzt mal zu dem, was ich un-ethisch und total anmaßend finde: Detaillierte Ferndiagnosen von Personen, die man nie gesehen und gesprochen hat! Man kann doch nicht ernsthaft aus 500 km, nur auf der Grundlage von Medienberichterstattung, behaupten, Scarlett (oder andere Personen in ähnlichen Fällen) hätten absolut keinen Grund, Suizid zu begehen. Damit nimmt man nämlich Scarlett die Würde, weil man ihr pauschal Gefühle, Nöte und Zweifel abspricht, die im Leben nun mal vorkommen können - in jedem Alter, bei jedem Geschlecht. Scarlett ist doch keine Puppe, die pauschal immun gegen alles Dunkle ist! Genauso falsch wäre natürlich auch das Gegenteil, also zu sagen, es muss ein Suizid gewesen, weil Scarlett diese oder jene Probleme gehabt habe. Auch das kann man aus 500 km nicht sehen, und es würde mich deshalb genauso aufregen.
In meinem ganzen Post ging es ja auch gar nicht so sehr um die Details von Scarletts Verschwinden sondern darum, dass die Polizei, sich 1. an die Gesetze halten und 2. sehr weise mit ihren Ressourcen umgehen muss. Mein Ausdruck "glücklicherweise" bezog sich (relativ offenkundig) darauf, dass die Polizei in diesem und allen anderen Vermissten-Fällen ihre Entscheidung auf Grundlage von harten Fakten (s.o.) und viel Berufserfahrung trifft - und nicht aufgrund von Emotionen in der Bevökerung. Scarlett und allen anderen Langzeit-Vermissten wünsche ich selbstverständlich die bestmögliche Suche, die unter den Bedingungen von Rechtsstaatlichkeit und Ressoucenknappheit stattfinden kann.
Zum Schluss eine Frage an alle: Warum kann man im 21. Jahrhundert in diesem Forum nicht offen und sachlich darüber sprechen, dass es Suizid nun mal gibt, zehntausendfach, und dass er deshalb PRINZIPIELL als Todesursache in Vermisstenfällen in Frage kommt? Ich frage mich das wirklich, weil ich dachte, dass wir da weiter wären ...