christian01 schrieb:Das nächtliche Joggen ist eigentlich auch nur ein extrem schwaches Indiz, stärker wäre es nur, falls belegt wäre das dies eine Ausnahme in seinem üblichen Tagesablauf darstellt
AusLeipzig schrieb:Na ja wie häufig er das gemacht hat ist schon fragwürdig. Und es geschah ja eben zur Tatzeit im Tatortbereich.
Dass das nächtliche Joggen ein „extrem schwaches Indiz“ darstellen soll, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Man muss sich einmal zurückversetzen in die Zeit nach dem Tod von Hanna. Die Polizei hatte nach dem 3. Oktober zwar Erkenntnisse, dass von einem Tötungsdelikt auszugehen sei, aber sie tappte bei der Suche nach einem Mörder total im Dunkeln.
Einzige vermeintliche Spur war eine ominöse Holzkernuhr, die im vermuteten Tatortbereich am Bärbach gefunden wurde. Völlig unklar blieb jedoch zunächst, ob es einen Bezug zum Tod von Hanna gab, ob die Uhr eventuell dem etwaigen Mörder gehörte und ob sie von diesem verloren wurde.
Alle Ermittlungen hatten vorerst keinen Erfolg, bis dann nach rund zwei Wochen im Rahmen der Vernehmung von insgesamt 1173 potenziellen Zeugen (darunter alle Besucher und Mitarbeiter des Clubs „Eiskeller“) plötzlich Hinweise auf einen nächtlichen Jogger mit Stirnlampe auftauchten.
Dieser junge Mann hatte sich Zeugen zufolge just zu der Zeit, als Hanna den Club verließ und wenige Minuten später im Bärbach ertrank, in diesem Bereich aufgehalten. Er wäre also räumlich und zeitlich in der Lage gewesen, der jungen Frau etwas anzutun - zumindest hätte er aber unter Umständen dem möglichen Täter begegnen und Angaben über ihn machen können.
Die Ermittler musste das „Auftauchen“ dieses Joggers elektrisieren. Endlich eine Spur, ein Ermittlungsansatz? Tatsächlich war es ja ungewöhnlich genug, dass jemand nachts um 2 Uhr bei Nieselregen durch die Dunkelheit joggt - und das auch noch ausgerechnet zu der Zeit und an dem Ort, wo eine junge Frau ums Leben kam!
Polizisten, bei denen da nicht die Alarmsirenen geschrillt hätten, wären eine Fehlbesetzung gewesen. Der Verdacht, dass dieser ominöse Mann etwas mit dem Tod von Hanna zu tun haben könnte, wäre zwingend gewesen - zumal sich dieser Jogger ja in den verstrichenen zwei Wochen nicht auf den allgemeinen Zeugenaufruf gemeldet und mitgeteilt hatte, dass er in der betreffenden Nacht in dem Bereich unterwegs gewesen sei, aber keine verdächtige Wahrnehmungen gemacht habe.
Am 19.10. veröffentlichte die Polizei dann den dringenden Appell an den Jogger, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Das geschah auch relativ kurzfristig - aber nicht, weil Sebastian T. sich aus freien Stücken entschloss, bei der Aufklärung eines Verbrechens zu helfen, sondern weil seine Mutter massiv darauf drängte und ihn nach seiner anfänglichen Weigerung schließlich von sich aus bei der Polizei als den gesuchten Jogger meldete.
Gleichwohl wurde ST zunächst als Zeuge behandelt - selbst dann noch, als er den Beamten (in einer allerdings fragwürdigen Vernehmung) seine Version eines möglichen Tatverlaufs mit vermeintlichem Täterwissen schilderte und die Kripo mit falscher, gewaschener Kleidung aus der Tatnacht in die Irre führen wollte. Für mich wäre es absolut nachvollziehbar gewesen, Sebastian T. schon viel früher als Tatverdächtigen einzustufen.
Vor diesem Hintergrund das nächtliche Joggen als „extrem schwaches Indiz“ abzutun, halte ich für unangebracht.
@christian01 würde Anderes nur dann gelten lassen, wenn belegt wäre, dass der nächtliche Lauf nur „eine Ausnahme in seinem üblichen Tagesablauf“ dargestellt hätte.
Mit anderen Worten: Man soll davon ausgehen, dass Joggingläufe um 2 Uhr nachts zum üblichen Tagesablauf von ST gehörten. Demnach hat er das quasi jede Nacht gemacht; Schlafen um diese Zeit war eher die Ausnahme.
Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus. Meiner Überzeugung nach ging Sebastian T. in der fraglichen Nacht auf Joggingtour, weil er aufgekratzt und unruhig war. Und nicht, um für einen Halbmarathon zu trainieren, denn für ernsthaftes Training hätte ein solcher Läufer in aller Regel eine Uhr mitgenommen. Hat er aber nicht.