abgelenkt schrieb:Ich denke die Situation ist anders, nachdem es bereits einmal eine Verhandlung gab, die zu einer Verurteilung führte
In dieser Situation ist eine Einstellung nicht möglich und der Angeklagte hat das Recht, in einer Verhandlung freigesprochen zu werden. Wenn ein Verfahrenshindernis vorläge (zB dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten), wäre es was anderes. Wegfall des (hinreichenden) Tatverdachtes ist kein Verfahrenshindernis sondern bedeutet nur, dass die Verurteilungswahrscheinlichkeit unter 50% gesunken ist - was sich ggf bei weiterer Beweisaufnahme auch wieder ändern könnte, oder sie sinkt halt weiter oder verbleibt dort bis zum Freispruch.
Ein gutes Argument. Ich habe mal einen Prozess miterlebt, da ging es um ein Pressedelikt, das nach 6 Monaten verjährt. Erst im Prozess wurde die Verjährung thematisiert und festgestellt. Das Gericht wollte (nach Ende der Beweisaufnahme) einstellen. Die Verteidigung Freispruch wegen erwiesener Unschuld, weil es den Straftatbestand als nicht erfüllt ansah. Das Gericht stellte ein. Der Grund: Die Urteilsbegründung musste sich nur mit der Verjährung befassen, nicht mit der angeklagten Tat. Das war viel weniger Aufwand. Letztlich konnte die Verteidigung nichts dagegen machen, außer man wäre in die Berufung und hätte wieder das Problem gehabt, dass das Gericht einstellen würde.
Der Strafprozess ist ein Erkenntnisprozess. Es ist eigentlich kaum vorstellbar, dass im Laufe der Beweisaufnahme der einfache Tatverdacht entfällt und zulässig weiter Beweise erhoben werden dürfen. Denn dann ist Freispruchreife gegeben. Zum Beispiel, wenn ein Zeuge dem Angeklagten ein unerschütterliches Alibi verschafft. Oder ein Gutachter unwiderlegbar einen Unfall annimmt. Dann müsste sofort freigesprochen werden, wegen erwiesener Unschuld.
Aber das sind Ausnahmen. Natürlich kann der Verdacht im Laufe der Beweisaufnahme schwanken. Beispielsweise, wenn am Anfang lauter Entlastungszeugen und -beweise behandelt werden. Aber da steckt man ja noch im Prozess, der Verdacht kann also nicht entfallen, denn man wird ja noch weitere Beweismittel behandeln und es ist die Prognose da, dass erst am Ende entschieden werden kann, ob "Mangel an Beweisen". Ob der Verdacht hinreichend ist oder nicht, ist da unbeachtlich.
Letztlich ist RAn Ricks Aussage schlicht ohne Bedeutung.
rabunsel schrieb:In dieser Quelle geht es doch um Verjährung und dass ein Freispruch bei Freispruchreife vorzuziehen sei. Inwiefern hat das mit dem fehlendem Tatverdacht zu tun?
S.o. Es ging mir um die Frage, ob ein Anspruch auf Freispruch besteht.
rabunsel schrieb:Aber es gibt doch die allgemeine Regel, dass ein Hauptverfahren mit einem Urteil zu enden hat, also ein Strafurteil, einem Freispruch, oder einem Urteil über Einstellung. Aber für das Urteil über Einstellung ist doch geregelt, dass das nur für Verfahrenshindernisse gilt. Unter Verfahrenshindernisse fällt aber ein fehlender Tatverdacht nicht. Ist für den fehlenden Tatverdacht nicht eigentlich ein Freispruch da und das Gericht darf halt den fehlenden Tatverdacht erst annehmen wenn es die Beweisaufnahme abgeschlossen hat? Ich finde einfach kein Urteil über Einstellung wegen fehlendem Tatverdacht.
Ebenfalls ein gutes Argument. Deshalb kommt es auf die Freispruchreife an. Die wäre aber gegeben, wenn der Verdacht entfällt.
rabunsel schrieb:Ein Vorteil könnte sei, dass man die Vernehmung nicht aufnehmen muss.
Noch mal: Was hatte man vor dem 17. November 2022, womit man den T. hätte beschuldigen können? Dass er Joggen war? Seine Mutter sich bei der Polizei meldete? Er noch keine Freundin gehabt hatte? Er über die Tat spekuliert hat? Er hatte sich ja noch nicht mal ernsthaft in Widersprüche verwickelt, sein Verhalten sei nicht auffällig gewesen, so die Kripo-Zeugen.
Im Übrigen können auch Zeugenaussagen bei der Polizei audiovisuell aufgenommen werden.