Hanna W. tot aus der Prien geborgen
10.11.2025 um 12:41Das kann ich gut verstehen. Es gibt auch nicht wenige Urteile, bei denen ich Magengrummeln bekomme, weil mir die Täterschaft irgendwie nicht ausreichend bewiesen erscheint. Und ich frage mich: Müsste es nicht mehr Freisprüche geben?christian01 schrieb:Das ändert aber nichts an der subjektiven Einschätzung vieler, das man auf Basis nicht eindeutig interpretierbarer Erkenntnisse, einiger weniger Indizien eigentlich kein Urteil sprechen SOLLTE , selbst wenn dann einmal ein potentieller Täter "davonkäme".
Mir kommen die Richter oft genug so gottähnlich vor, weil sie ihre Sachverhalte so formulieren, als hätten sie in den Kopf des Täter hineingesehen und wären bei der Tat dabei gewesen. Und im Grunde vermuten und verdächtigen sie nur, weil es keine Gewissheit gibt.
Aber Gewissheit verlangt der BGH nicht. Und bei dem Urteil hier habe ich kein Magengrummeln.
Nein. Sicher kann man sich nie sein. Aber Gewissheit bedarf es eben nicht. Die Möglichkeit, ein anderer Täter wäre es in Wirklichkeit gewesen, reicht nicht für in dubio pro reo, weil das keine Beweisregel ist.Piper7 schrieb:Kann man hier wirklich sicher sein, dass es der Angeklagte war und kein Unbekannter, der ebenfalls im Bereich der gut besuchten Disko unterwegs war?
Für diese Frage muss man auch kein Gericht oder Sachverständiger sein.
Nein. Es beruht erst einmal auf dem Votum der Gerichtsmedizin, dass untypische Verletzungen an der Leiche festgestellt wurden, die nicht durch das Treiben im Bärbach und der Prien erklärlich waren. Welche Runden der Jogger gelaufen ist, lässt sich objektiv nur anhand der Angaben von T. und den Sichtungen der Zeugen rekonstruieren. Und erst dann kommt die Annahme des Gerichts. Also keine Annahme aus der hohlen Hand (das wäre der Fall, wenn T. gesagt hätte, er sei nicht Joggen gewesen und ihn niemand gesehen hätte), sondern tatsachenbegründet.XluX schrieb:Und: Das ganze Urteil beruht auf der Annahme, dass ST eine Extrarunde gelaufen ist.
Auch hier bedarf es keiner Sicherheit, keiner Gewissheit. Gerichtlich reicht die Möglichkeit (s.o.). Tatsache ist, dass die Sachverständigen im ersten Prozess ausgeschlossen haben, dass der Bruch der Schulterdachknochen und fünf Wunden auf dem Kopf durch einen Sturz oder ein Treiben im Wasser verursacht worden sein kann. Die Gutachten mag man für falsch halten, aber in einer Urteilsbegründung kann man sie nicht so einfach ignorieren.Piper7 schrieb:Es gab allerdings durchaus Fälle in denen jemand betrunken nicht mehr nach Hause gekommen ist und ertrunken im See / Fluss aufgefunden wurde, also offenbar ins Gewässer gestürzt ist und es nicht mehr herausgeschafft hat. Ich habe Zweifel, ob man einen Unfall mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen kann.
Glaubst Du, Hanna hat erst nach einem Sturz in den Bärbach den Notruf angerufen? Oder vorher? Warum bloß?
Es fehlen doch keine Beweise. Rechtlich wird im Strafprozess nur ein Beweis erbracht: Der Schuldnachweis. Es gibt den Indizienprozess nicht als eigene Kategorie. Im Gegensatz zum Fall G. hatten wir im ersten Verfahren ein halbes Dutzend Indizien, die in der Summe beweisen sollten, dass T. der Täter ist. Das ist ja das Wesen des Indizienprozesses, dass es keine Beweise gibt, die unmittelbar den Schuldnachweis erbringen (zumeist Geständnis, "Smoking Gun", unmittelbare Tatzeugen, die Leiche im Keller, DNA oder sonstige technische Beweismittel).christian01 schrieb:Und nein, das ist keine allgemeine Kritik an Indizienverfahren, die soll und muss es geben, aber das Fehlen jeglicher Beweise kann nicht einfach durch richterliche Überzeugung ersetzt werden, damit strapaziert man die freie richterliche Beweiswürdigung definitiv über und öffnet Willkür Tür und Tor.
Und die freie richterliche Beweiswürdigung ist gerade keine Willkür. Sonst gäbe es keine 300 Seiten Begründung. Willkür ist eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund. Und hier liegt der Grund gerade in der Beweisaufnahme und der Beweiswürdigung. Und das ist entsprechend zu begründen. Und ich habe im Urteil bislang weder Logikfehler noch Zirkelschlüsse gelesen. Würde man diese Form der Beweiswürdigung für rechtsfehlerhaft halten, dürften viele Verurteilungen in Indizienprozessen nicht erfolgen, wenn der Angeklagte nicht gesteht und die Beweislage nicht wahnsinnig üppig ist, es nur in der Summe reicht, aber kein Indiz bombenfest ist und isoliert einen Schuldnachweis ermöglicht.
Ob ich nach dem ersten Prozess persönlich T. verurteilt oder freigesprochen hätte, das kann ich nicht sagen. Das ist aber auch nicht der Maßstab. Ich weiß nicht, ob die Kammer einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit entschieden hat. Ich hatte auch nicht Akteneinsicht, haben den Prozess nicht x-Verhandlungstage miterlebt, kenne nicht die Beratungen der Kammer und auch nicht die BGH-Rechtsprechung in-und-auswendig (was für einen Berufsrichter in einer Strafkammer ziemlich elementar ist - wie wir gesehen haben).


