abgelenkt schrieb:Grds vielleicht schon, aber in diesem speziellen Fall ist mir überhaupt nicht plausibel, warum man auf eine etwaige Revision setzen sollte.
Da hast du mich vermutlich mißverstanden.
Als Verteidiger hast du ein Verteidigungsziel. Das von Dr. Dr. ist ein Freispruch. (Eigentlich) jeder erfahrene Verteidiger kann, insbesondere in einem Verfahren mit vielen Hauptverhandlungstagen, die Kammer "lesen". Sei es die Art der Befragung, sei es, wie auf Anträge reagiert wird usw.. Die Kammer wird von der Verteidiger "beobachtet". Wie sind die Reaktionen auf Einlassungen, Erklärungen usw.. Was ist aus den Gesichtern zu lesen, wer flüstert dem anderen was zu.
Irgendwann ist man sich relativ sicher, wo die Reise hingeht. Die Trefferquote ist hoch, insbesondere dann, wenn man die Mitglieder der Kammer aus vorherigen Verfahren kennt (daher ist es häufig sinnvoll, keinen auswärtigen Verteidiger als alleinigen Verteidiger zu beauftragen). Gegebenenfalls kommt man zu dem Ergebnis, dass man die Verteidigungsziele nicht erreichen kann. Es läuft einfach schlecht. Man kennt die Akten, kennt das Beweisprogramm der Kammer und hat vielleicht noch einige Beweisanträge zu stellen.
An dieser Stelle fragt man sich und den Mandanten, ob man an dem Verteidigungsziel festhält oder gegebenenfalls eine Strafmaßverteidigung sinnvoller ist. Hält man an der Verteidigungsstrategie fest, kann man nur hoffen, dass der Kammer Rechtsfehler unterlaufen. Neben der falschen Anwendung des materiellen Rechts sind das in erster Linie Fehler, die der Kammer bei der Bescheidung von Anträgen unterlaufen. Diese Anträge sind dann auch zu stellen. Dazu muss man sich im Revisionsrecht sehr gut auskennen und die Rechtsprechung insbesondere des hier zuständigen 5. Strafsenats kennen. Also ist man gehalten, Fehler "zu provozieren" und nicht provozierte Fehler bereits in der Instanzverteidigung zu erkennen. Der beste Revisionsanwalt hat keine Chance, wenn der Instanzverteidiger sein Handwerk nicht versteht und die Revision während seiner Verteidigung nicht im Blick hatte.
Das meinte ich "mit Revisionsgründe schaffen".
Die Erfolgsaussichten einer Revision (vollständige Aufhebung des Urteils) liegen bei unter 5 %. Natürlich sollte man auch im Hinblick auf diese Quote nicht auf die Revision vertrauen. Wenn jedoch in Ansehung der Einschätzung des Instanzverteidigers von der Nichterreichung des Verteidigungsziels ausgegangen werden muss und die Verteidigungsstrategie gleichwohl beibehalten wird, muss man sehr gut verteidigen, um den BGH gegebenenfalls zur Aufhebung des Urteils zu bewegen.
abgelenkt schrieb:Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Du kannst sicher sein, dass in diesem Verfahren im Falle einer Verurteilung genauso vorgegangen wird, wie es bei den familienrechtlichen Verfahren der Fall war. Wenn der BGH ein verurteilendes Urteil halten sollte, geht das bis vor den EGMR. Allerdings - siehe Karl-Heinz Grasser - hat das keine aufschiebende Wirkung hinsichtlich einer eventuell dann anstehenden Strafvollstreckung.
Strafverteidigung ist eine hochkomplexe Sache. Viele meinen mitreden zu können und meinen, alles beurteilen zu können - auch hier. Viele Kammern setzen auf eine Verständigung, früher "Deal" genannt. Nur in wenigen Fällen kann man heutzutage noch "richtig" verteidigen, d.h. das "feine Besteck" der Strafverteidigung herausholen. Dieses Verfahren ist so ein Fall. Dazu bedarf es aber eines Verteidigers, der mit diesem feinen Besteck umzugehen vermag.