Der Mensch Jens Söring

@Encomium
Es ist und bleibt ein bemerkenswertes Interview ... meines Wissens nach dem 37 Grad-Beitrag der zweite TV-Beitrag in Deutschland, das erste längere Interview ... und dann gleich ein überraschend nachhakender Journalist. Johannes B. Kerner, ausgerechnet - der sonst eher softe und seichte JBK.
Söring ist auch noch sichtlich TV-unerfahren und hat seine "Story" noch nicht eingeübt. Er kaschiert es aber gut mit seinem deutsch-englisch-Problem (und das glaube ich auch, weil er ja im Knast kaum Deutsch sprechen konnte).
Ich fand vor allem die Stelle ab 00:21 bemerkenswert.

In dem Ausschnitt der Sendung fehlt allerdings eine ganz zentrale Stelle, nämlich das Ende des Interviews von Kerner mit Söring - als JBK dem Häftling gegenüber Zweifel äußert - und dieser unseren guten Kerner anranzt ...

Ich meine, das ich das Interview kenne. Ich frage mich, was ist neu an diesem Beitrag? Warum ist gerade diese Darstellung so relevant? Die Frage bezieht sich auf uns. So viele neue Erkenntnisse ziehe ich nicht daraus....ausser:

Was ich plausibel fand, ist die Begründung, warum er so lange an seinem Geständnis festgehalten hat. Ich glaubte, weil er Hoffnung hat nach Deutschland ausgewiesen zu werden. Aber wie Jens Söring schildert, um der Todesstrafe zu entkommen. Finde ich plausibel und völlig legitim

Aber ansonsten finde ich, dass das Interview sich nicht großartig von anderen unterscheidet

Schönes Wochenende

Kalimba

Encomium schrieb:Endlich, nach vielem hin und her, habe ich das berühmte Kerner-Interview aus dem Jahr 2007 vom ZDF bekommen.

Söring erzählt die übliche Geschichte. Was mir auffiel, dass er behauptet, die ersten drei Tage nicht gestanden zu haben, weil er angeblich nicht mit seinem Anwalt sprechen durfte. Das dürfte ausreichend widerlegt sein.

kalimba schrieb:Was ich plausibel fand, ist die Begründung, warum er so lange an seinem Geständnis festgehalten hat. Ich glaubte, weil er Hoffnung hat nach Deutschland ausgewiesen zu werden. Aber wie Jens Söring schildert, um der Todesstrafe zu entkommen. Finde ich plausibel und völlig legitim

Das klingt zwar plausibel und wurde ihm vielleicht sogar von seinen Anwälten auch mit empfohlen. Es ist aber wie eine "glückliche" Fügung, die Sörings Version scheinbar stützt.

alianus schrieb:Söring erzählt die übliche Geschichte. Was mir auffiel, dass er behauptet, die ersten drei Tage nicht gestanden zu haben, weil er angeblich nicht mit seinem Anwalt sprechen durfte. Das dürfte ausreichend widerlegt sein.

Da war einiges, was er behauptet und widerlegt ist. Aber ich meine, wir kommen da in einer Endlosschleife einer Diskussion, die schon längst geführt wurde

Kalimba

Ich vermute, Söring hat 1986 gestanden, weil er sich enttarnt und massiv belastet gefühlt hat (kein Abgeben von Finger-, Blut- und Fußabdrücken bei der Polizei 1985, überstürzte Flucht, das vermutete Hotel-Video, die vermuteten Fingerabdrücke auf dem Kaffeebecher bei der Polizei, die belastenden Briefwechsel, vermuteter Haftbefehl, US-Ermittler reisen extra nach London an, um beide zu vernehmen etc.). Er dachte wohl, dass ein Leugnen der Tat schlicht noch schlimmere Konsequenzen für ihn hat.

Ab dem Zeitpunkt (so meine Vermutung), wo Söring erkannt hat, dass die Polizei nicht die klassischen Beweise für seine Anwesenheit am Tatort hatte, hat er seine Geständnisse wohl bereut und hätte sie wohl am liebsten sofort zurückgezogen. Möglicherweise hat er aus taktischen Gründen dann noch einige Jahre die Geständnisse aufrechterhalten, um der Auslieferung in die USA zu entkommen, das mag ein wahrer Bestandteil seiner Version sein.

@alianus
@kalimba
Das Interview ist an sich nichts Besonderes - es ist das von ihm in "Mortal Thoughts" gepflegte Narrativ. Besonders ist, dass es sich um einen seiner ersten Fernsehauftritte handelt. Man merkt ihm an, dass er noch ungeübt im Umgang mit Journalisten ist. Und er kommt, wie ich finde, recht oft ins Schwimmen, weil Kerner etwas mehr nachhakt, als dies später die meisten Journalisten tun (Ausnahme: Paula Zahn). Ich denke auch, dass er bzw. seine Medienberater später mehr aufpassten, welche Fragen sie Journalisten erlauben und welche nicht.
Wie gesagt: Leider fehlt das Ende des Interviews. Dort sah man den "unbeherrschten" Söring (meiner Erinnerung nach).

Ich denke, Hammel wird das Interview nochmal gründlicher besprechen.

Ganz schön braungebrannt, dafür dass er angeblich 24 Stunden am Tag keinen Himmel sehen konnte.

Selbst DR-Insassen dürfen eine Stunde am Tag raus, auch wenn nur in nem Käfig, was traurig genug ist.

SomertonMan schrieb:Ganz schön braungebrannt, dafür dass er angeblich 24 Stunden am Tag keinen Himmel sehen konnte.

Generell muss man sagen er hat die 33 Jahren hervorragend absolviert, mit Bravour ....

Vorallem psychologisch, die Hoffnung nie zu verlieren bei einer lebenslanger Strafe bei dem.die Wahrscheinlichkeit hinter Gittern zu sterben doch recht hoch ist.

Wäre noch spannend gewesen (kontrafaktisch) was aus ihm geworden wäre ohne diese Tat... Das Rüstzeug für eine gute berufliche Karriere hätte er gehabt....

dwt schrieb:Vorallem psychologisch, die Hoffnung nie zu verlieren bei einer lebenslanger Strafe bei dem.die Wahrscheinlichkeit hinter Gittern zu sterben doch recht hoch ist.

Wenn man unschuldig sitzt, ne Katastrophe. Wenn man weiß, dass man zurecht eingesperrt wurde, sicherlich eher zu ertragen.

SomertonMan schrieb:Wenn man unschuldig sitzt, ne Katastrophe. Wenn man weiß, dass man zurecht eingesperrt wurde, sicherlich eher zu ertragen.

Das ist noch schwer zum sagen... Ich denke es hat eher mit der Persönlichkeit und dem Charakter zu tun... Eh hat ja anscheinend auch die Zeit verhältnismäßig gut überstanden und sie hat ja ihren Teil der Schuld immer anerkannt und gefunden dass sie zurecht dort eingesperrt ist

Im Gegensatz zu JS der von der ersten bis zur letzten minute sich für unschuldig und als Opfer stilisiert hat.

Und zu guter letzt gewöhnt man sich denke ich auch mit der Zeit halt an die neue Umgebung, der son of a sam der ja auch lebenslänglich bekommen hat... Der stellt seit 2006 keine Anträge mehr für begnadigungen da er selber sagt dass er Frieden in Jesus Christus gefunden hat und daher frei ist...

Nach meiner Meinung ist schon die innere Einstellung matchentscheidend damit man so etwas über lange Distanz/Zeitdauer aushält (unabhängig ob man die Schuld eingesteht)

alianus schrieb:kalimba schrieb:
Was ich plausibel fand, ist die Begründung, warum er so lange an seinem Geständnis festgehalten hat. Ich glaubte, weil er Hoffnung hat nach Deutschland ausgewiesen zu werden. Aber wie Jens Söring schildert, um der Todesstrafe zu entkommen. Finde ich plausibel und völlig legitim
Das klingt zwar plausibel und wurde ihm vielleicht sogar von seinen Anwälten auch mit empfohlen. Es ist aber wie eine "glückliche" Fügung, die Sörings Version scheinbar stützt.

Eigentlich ist auf diese Erklärung falsch. Es war den Richtern in Großbritannien und Europa komplett egal, was Söring über seinen Fall sagte. Er hätte seine Geständnisse jederzeit "widerrufen" können, und das hätte definitiv keinen Einfluss auf seine Rechtssache, die sich um völlig andere Themen drehte:

Things Söring's Lawyers Didn't Do (Archiv-Version vom 17.05.2022)

Hier erfindet m.E. Söring Dinge, die seine Anwälte ihm gesagt haben sollten, aber diese behauptete Aussagen von den Anwälten ergeben schon juristisch keinen Sinn. Wegen Loyalitäts- und Vertraulichkeitspflichten dürften die Anwälten ihm natürlich nicht öffentlich widersprechen.

Encomium schrieb:Wegen Loyalitäts- und Vertraulichkeitspflichten dürften die Anwälten ihm natürlich nicht öffentlich widersprechen.

Aus diesem Grund haben sie auch diesen Aufruf gestartet

https://hammeltranslations.com/2022/03/05/soring-can-let-his-lawyers-speak-freely/ (Archiv-Version vom 18.05.2022)

Es wäre einfach zu spannend wenn Cleveland oder Neaton aus dem Nähkästchen plaudern dürften, aber leider gilt auch hier das sprichwort:

der wunsch ist der vater des gedankens

blorgempire schrieb:In dem Ausschnitt der Sendung fehlt allerdings eine ganz zentrale Stelle, nämlich das Ende des Interviews von Kerner mit Söring - als JBK dem Häftling gegenüber Zweifel äußert - und dieser unseren guten Kerner anranzt ...

Hallo blorgempire: Das ist ja eine sehr interessant Bemerkung! Können Sie die Stelle näher beschrieben? Woher hätte diese Szene erscheinen sollen? Wann haben Sie diese Stelle zum letzten mal gesehen?

Kann es sein, dass ZDF mir eine unvollständige Fassung geschickt hat? Das würde mich SEHR interessieren. Wann wurde diese Stelle entfernt, und warum?

Wenn Sie mir eine Nachricht schicken könnten wäre ich dankbar. Alle andere Forum-Mitglieder auch.

@Encomium
Ich kann es wie gesagt nur aus der Erinnerung beschreiben - habe aber diese mit @higan7 abgeglichen, und die erinnert sich ähnlich wie ich.

Zum Ende des Interviews wurde Kerner immer misstrauischer und sagt so etwas wie: "Es ist aber nun auch nicht sicher, dass Sie unschuldig sind. Vielleicht sind Sie ja auch schuldig." (Genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr.)

Söring wird dann richtig giftig und keift Kerner an: "Also bitte! Wie können Sie es wagen etc ... meine Unschuld ist offenbar ... etc. etc." Der ganze Tonfall, seine Mimik, seine Körperhaltung gegenüber dem Journalisten sind plötzlich verändert. Da spürt auch Kerner.
Söring wirkt da panisch, unbeherrscht, aggressiv und richtig wütend. Ich denke auch, dass er in diesem Moment Angst hat - dass man ihm nicht glaubt. Kerner wirkt ehrlich gesagt etwas schockiert.

Ich weiß nicht mehr genau, wie der Wortwechsel war. Es war v.a. die Stimmung. Ich denke, Annabel H wird diese "Stimmung" sofort wiedererkennen. Und ich glaube auch, dass sie der Grund war, warum das Interview plözlich von Youtube verschwand - weil auch in Kommentaren darauf hingewiesen wurde und viele genau anhand dieser Interviewpassage Zweifel bekamen.
Ich finde es auf jeden Fall sehr seltsam, dass genau diese Passage in dem von Ihnen bereitgestellten Videoausschnitt fehlt.

blorgempire schrieb:Ich kann es wie gesagt nur aus der Erinnerung beschreiben - habe aber diese mit @higan7 abgeglichen, und die erinnert sich ähnlich wie ich.

Ich kann aus meiner Erinnerung bestätigen, dass die Sendung definitiv länger war als die im Link hinterlegte Fassung von etwa einer Stunde. An Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern, aber die Sendung war definitiv länger, eher 1:30 h.

@blorgempire

Nein, ich kann mich nicht erinnern daran, daß Söring die Beherrschung verloren hat gegenüber Kerner. Aber es
sieht ja so aus, wie wenn zum Schluss etwas abgeschnitten worden ist. Das ist also durchaus wahrscheinlich, daß das geschehen ist.

Mir war eine andere Sache im Gedächtnis, die ich mit @blorgempire besprochen habe. Und siehe da, wo ich
das Video sehe, wird meine Erinnerung auch völlig bestätigt. Söring sagt auf die Frage Kerners, was er denn
seinen Eltern gesagt habe, als sie ihn in England im Gefängnis besuchten, "die Wahrheit", und die Eltern hätten ihm geglaubt. In seinem neuesten Buch "Rückkehr ins Leben" sagt er aber ausdrücklich, seine Eltern
hätten ja in den ersten Jahren seiner Haft, als er in England war, geglaubt, er sei schuldig. (Ich müsste die Stelle nachsehen).

Das ist ja eindeutig das Gegenteil von dem, was er hier sagt.

@higan7
Dann hatte ich mich falsch erinnert dass du dich auch an den "Aussetzer" gegenüber Kerner erinnert hast :-) ... sorry deshalb.

Das von AH bereit gestellte Video scheint tatsächlich gekürzt zu sein... Es ist nur 60 anstatt der wohl ursprünglichen 70 min langhttps://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/faz-net-fernsehkritik-kommissar-kerner-im-knast-1460691.html.

Ich finde J.S.' Aussage, daß seine Eltern ihn in den ersten 3,4 Jahren für schuldig gehalten hätten, gerade nicht in seinem Buch. Es könnte auch sein, daß er sie in einem seiner Interviews vor dem 13.Oktober gemacht
hat. Ich höre sie nochmal an, wenn ich Zeit habe.