Link: www.faz.net (extern)Die Frage ist, was man eher in Kauf zu nehmen bereit ist: Daß mehr Unschuldige imGefängnis sitzen oder mehr Schuldige frei herumlaufen.
Wobei vielleicht zuersteinmal zu fragen ist, was Schuld ist? Unser Strafrecht basiert darauf, allein dieAbsicht, ein Unrecht zu begehen, zu bestrafen. Dieses Schuldprinzip ist eineErrungenschaft gegenüber dem Erfolgsprinzip des Mittelalters. Dort wurde nicht danachgefragt, ob eine Tat schuldhaft, fahrlässig oder unabsichtlich begangen wurde. Bestraftwurde das, was angerichtet wurde. Dieses Prinzip gilt bei uns nach wie vor im Zivilrecht.
Nun ist Schuld, also die Absicht, schwer festzustellen und zu beweisen. Deswegenbedient sich ein Richter einer Fiktion. Er stellt sich vor, wie eine maßgerechtePersönlichkeit in der Situation gehandelt hätte, ob sie die Möglichkeit gehabt hätte,sich anders zu entscheiden. Denn nur diese Möglichkeit begründet Schuld. Jemand, der wieein Automat handelt, ist nicht frei, kann demgemäß auch nicht schuldig werden. Und dasind wir dann bei den Triebtätern. Wenn ein solcher Täter nur seinem Trieb folgt, ist ernicht frei, sich anders zu entscheiden. Insofern ist er unschuldig, unabhängig wieschrecklich die Tat sein mag, die er angerichtet hat. Mit derselben Begründung werdenvolltrunkene Autofahrer, die einen anderen zum Krüppel gefahren oder gar umgebrachthaben, nicht verurteilt, weil sie zum Zeitpunkt der Tat vermindert schuldfähig war. Dasmag, insbesondere von den Opfern, als ungerecht empfunden werden, ist abernichtsdestotrotz eine rechtliche Errungenschaft.
Faszinierend daran ist, daßunser Strafrecht auf einer Fiktion basiert. Der Richter tut so, als könne er beurteilen,wie eine maßgerechte Persönlichkeit sich verhalten hätte. Diese Fiktion ist jedochnotwendig für unser Rechtssystem. Ohne sie wäre es unmöglich, nach dem Schuldprinzip zuurteilen.
In Frankreich und auch in England steht demgegenüber der Schutz derBevölkerung vor Straftätern in Vordergrund. Ich habe einen Link zu einem interessantenArtikel in der FAZ dazu angefügt.