Der Fall von Liana macht mich wütend. Ich gebe zu: Das ist bias bei mir.
Ich will Menschen gar nicht in "bessere und schlechtere Opfer" einteilen. Aber mich berühren andere Fälle sagen wir dann fairerweise nicht weniger, dieser aber mehr. Weil Ukrainer/in. Weil Kind. Weil Bahnbereich, den ich täglich selbst frequentiere. Ich hab mich sehr für Ukrainer eingesetzt und tue es auch noch wo ich derzeit noch kann weiterhin. Zugleich stelle ich mir den Horror vor, wenn ich selbst so etwas erleben müsste zur falschen Zeit am falschen Ort. Vielleicht kennt ihr das also dann. Manche Dinge gehen einem (noch) näher als andere.
Es macht wütend. Es regt negative Emotionen an. Von Wut bis Überfordertsein. Rastlos, ratlos. Und das schreibe ich schon als jemand der von sich glaubt, differenzieren zu können und zu wollen.
Ich realisiere absolut, dass die Realität in einem Rechtsstaat und einer, diesen, liberalen Demokratie komplexer ist als manche Idealvorstellung. Wir sind am Ende ein komplexer rechtsstaatlicher Föderalismus der unter ganz simplen Realzwängen - wie Behörden mit endlichen Ressourcen und Möglichkeiten und auch Fehlerpotenzialen oder sich ändernden politischen Mehrheiten, Schwerpunkten und Zielsetzungen - leidet und keine hyper-optimierte Autokratie wo alles nahtlos liefe. Geschweige denn deine hyper-optimierte Demokratie wo alles nahtlos liefe.
Es passieren also Dinge, die eigentlich nicht passieren sollten. Und doch muss ich langsam bitter an das hier denken:
Optimist schrieb:Und das sehe ich genauso, dass sie mal lieber einer restriktiveren Asylpolitik keine Knüppel zwischen die Beine legen sollten.
Als jemand der Sicherheitspolitik sehr rege(lmäßig) verfolgt kann ich für mich feststellen, dass Deutschland lange Zeit in gewissen Bereichen sehr sehr sehr verdammt naiv was. Die naive Drohnendebatte lässt grüßen, danke vor allem auch aber nicht nur an die SPD dahingehend. Kurz zur Erklärung: Man hat gefühlt 10+ Jahre ergebnislos diskutiert ob man denn frei nach Carlo Masala jetzt 5-10 Drohnen für die Bundeswehr zur Force Protection anschafft und ein paar davon sogar bewaffnet. Heute gerade in der Rückschau eine noch absurdere Debatte aus dem Elfenbeinturm und einer naiven Parallelwelt, vielleicht fairerweise damals weniger, aber damals schon absehbar dass es bizarr war.
Ich frage mich also wirklich daher: Kann es nicht auch sein, dass manche gesellschaftspolitischen Akteure nicht auch bei Migration naiv sein könnten? Ja, wir müssen gar nicht von den menschenhassenden Rassisten reden, die schon immer gerade biologistisch Menschen rein anhand oberflächlicher oder biologischer Marker in gut und schlecht einteilten. In gewisser Weise naiv.
Aber ich kann mich nicht dem Eindruck erwehren, dass es gerade auch linksaußen viele Akteure gab und auch noch gibt, die wiederum anders toxisch in ihrer Parallelwelt leben. Da ist "der Migrant" (manche von jenen, wen es betreffen möge, pauschalisieren quasi ins andere Extrem) quasi im Kern der gute Engel bei dem es gilt, jedwede Kritik und Restriktion (etwa politisch, migrationspolitisch) möglichst massiv zu unterbinden.
Ich entsinne mich da anekdotisch an den Fall wo ein eher linksneigender Szeneclub oder so irgendwann mal Migranten bevorzugen wollte über Gratiseintritt oder Rabatte. Versteht mich nicht falsch: Das ist ein nobler Gedanke. Wirklich jetzt. Es ist ein nobler, vielleicht auch integrationsfördernder Gedanke. Ende vom Lied war, dass sexuelle Übergriffe von gewissen Migranten
(btw es war mal wieder nicht der japanische Migrant...aber fairerweise um Klischees zu brechen, Japan hat übrigens als autochtonere Gesellschaft mit ganz anderen Probleme zu kämpfen die AUCH wenn auch nicht so aggressivere Formen, der sexuellen Übergriffigkeiten zu rechnen. Für Fans die gern Japan als vermeintliches Musterbeispiel anführen, auch wenn es da vermutlich im Sinne von direkten Übergriffen ruhiger als bei uns sein könnte, maybe) in einer Art - so umschrieb es der Artikel zumindest an den ich mich grob entsinne - Realitätsschock endeten und der Club intervenieren musste. Offenkundig clashten sich wiederkehrende Probleme mit Migranten mit einem progressiven Frauenbild, das dort auch vertreten wurde. Man landete quasi in einer unschönen aber augenscheinlich vorhandenen Realität.
Die Frage ist halt ob man als naiver Akteur anderen zuvor unrechtmäßig immer Knüppel zwischen die Beine geworfen hat. Überlegt einfach mal, Leute. Wieder einmal zeigt sich, dass die(politische/ideologische Dosis das Gift macht. Zu viel stark linke wie rechte Ideologie die gewisse Realitäten ausklammert, ist oft nie gut für eine große Summe an Menschen.
Was ich mit meinem Geschreibsel zusammenfassend und auf den Punkt kommen sagen will ist, dass wir gut daran täten, unsere Augen nicht immer zu sehr zu verschließen bzw. genauer nicht immer zu sehr politisch-ideologischen Filterblasen oder Filterbrillen zu unterwerfen. Wir müssen offenkundig die pauschalisierenden Exzesse von Rechtsextremisten jedweder Art bekämpfen um friedliches Zusammenleben zu sichern und gewisse Verwerfungen die immer möglich sein könnten zu unterbinden. Wir müssen aber auch ein potentiell - wo vorhanden ! - naives Bild von gewissen Menschengruppen oder eine gewisse schädlich-bequemliche Lethargie mit einer möglichen Elfenbeinturm-Mentalität ablegen.
Wir müssen wiederkehrende Problem mit gewissen Personengruppen eher anerkennen und nicht immer, ggf. auch als Abwehrreflex, den Kopf in den Sand stecken. Natürlich kann es keine Lösung sein wie Rechte in eine Hyperpauschalisierung zu fallen. Das wäre das andere Extrem.
Aber ich sehe als ein relativer Mensch der Mitte überhaupt nicht wo das Problem mit einer restriktiveren Asyl- oder Migrationspolitik wäre. Wir sind ein Staat, ein Land, eine Gesellschaft an Menschen. Wir müssen selbst geschaffene bzw. andauernde Missstände, die wir eigentlich auch wieder eher beheben können, gar nicht aushalten. Einen Scheiß müssen wir. Auch ein Fachkräftemangel oder generell der Fakt, dass wir als kinderunfreundliche Gesellschaft auf Migration angewiesen sind ändert daran nichts. Im Gegenteil - für alle die hier sind und herkommen und sich benehmen können oder sich selbst notfalls Hilfe suchen können:
Wir täten gut daran, manche Lethargie und Systemineffizienz nachhaltiger anzugehen. Sonst kommen irgendwann die Populisten und Extremisten und geben den Ton vor. Und dann haben wir im weitesten Sinne als Gesellschaft nicht mehr die Chance, sanftere bessere Optionen früher zu wählen sondern uns wird ein vermeintlich meist dann unschöner Weg oder "Lösungsansatz" vorgegeben. Und es käme zu sozialen Verwerfungen, so wie wir sie schon in den USA sehen und erahnen können.
Wollen wir das? Ich schließe mit einer Analogie oder einem Beispiel ab:
Wir sitzen im Auto. Rasen auf ein Hindernis zu. Wir können früh abbremsen und haben viel bessere Reaktionszeiten und Optionen. Oder wir rasen weiter auf Probleme zu, zu unfähig und hadernd, das zu erkennen und anzugehen. Vollbremsung wird die einzige Option - oder Totalcrash.
In diesem Sinne: Manche politischen Akteure sollten gewisse Realitäten eher anerkennen als zu starke Filterblasen auf die Realität anwenden zu wollen. Nicht jeder ist schlecht. Aber auch nicht gut. Gewisse Behördenstrukturen müssten kritisch hinterfragt und daraus resultierend idealerweise nachhaltig optimiert werden. Recht kann hinterfragt und optimiert werden. Zudem müssten wir manchen Umgang mit bzw. im Bereich Migration oder Straffälligkeit usw. be- und überdenken. Gucken was man besser machen kann. "Das geht nicht/haben wir immer so gemacht" sind keine Ausreden, wenn es nicht akut an verfassungsrechtlichen Hürden scheitert. Alles andere kann man ändern und mit genug politischen Mehrheiten kann man sogar viele Dinge in der Verfassung ändern, wenn auch nicht alles. Ist ein gemeinsamer Wille da geht auf einmal ziemlich viel.
Verwunderlich, nicht? Dafür bräuchte es aber auch Konsens. Schaffen wir Demokraten das nicht früh, dann gibt den Konsens irgendwann der Populist und Extremist vor.