Doppelmord in Herne: Täter Marcel H. in Haft

Venice2009 schrieb:Die Schwester sagte doch aus, dass sie bei einer Therapiestunde mit anwesend gewesen ist. Er hätte sich bei dem Therapeuten verstellt. Wie will man jemandem helfen, der keine Hilfe möchte?

Ich stelle mir halt vor, dass man eine Art Schulung durchführt, den Eltern im Alltag Maßnahmen an die Hand gibt, die umgesetzt werden. Also eine sehr engmaschige Betreuung, und vor allen Dingen Förderung durch das Umfeld. Dazu würde vielleicht auch ein diagnostischer Klinkaufenthalt gehören. Seine scheinbar ja auffälligen Probleme mit Berührungen und Menschenmengen hätten da erkannt werden und therapeutisch aufgegriffen werden können. Im Grundschulalter mit einer Schere auf eine Lehrkraft loszugehen, ist ja schon keine Auffälligkeit, die alltäglich ist. Da muss doch mal genauer hingeschaut werden, was da los ist mit dem Kind. U. U. war er mit den Gegebenheiten der großen Klassen im Regelschulsystem komplett überfordert- nicht mit dem Inhalt des Unterrichtes, sondern mit den Rahmenbedingungen.

frauZimt schrieb:Könnte das bundeslandabhängig sein? Nordrhein Westfalen hat keine kleine Probleme.
Vermutlich liegt es an den Geldmitteln.

Schon möglich, intensive Betreuung ist teuer. Aber es gibt ja hier Kinder- und Jugenspychiatrien. Was muss passieren, dass ein Kind dort zur Diagnostik eingewiesen wird? Wenn nicht so ein Vorfall, was dann? Da muss es doch eine Art Maßnahmenkatalog geben, wenn solche, oder ähnliche Verhaltensweisen auffallen.

Venice2009 schrieb:Die Schwester sagte doch aus, dass sie bei einer Therapiestunde mit anwesend gewesen ist. Er hätte sich bei dem Therapeuten verstellt. Wie will man jemandem helfen, der keine Hilfe möchte?

"Nicht möchte" ist der falsche Begriff.

Ich vermute:
dass er Hilfe ablehnte, weil er alles, was von aussen kommt, ablehnt
weil er Angst hatte, sich auszuliefern u. die Kontrolle zu verlieren,
weil er Angst hatte, seine geheimen Fantasien kommen ans Licht
Angst man könnte in ihm lesen und ein Urteil über ihn fällen...

Und dann ist es ja sehr oft so, dass die Chemie zwischen Therapeut und Patient nicht stimmt.
Das klingt hier wie Hohn- aber damals war MH ein Patient, wie viele - und wir wisse ja alle, wie lange wir suchen müssem, bis wir den Zahnarzt, Hausarzt finden, bei dem wir uns gut aufgehoben fühlen.
Und bei seelischen Erkrankungen ist das noch viel wichtiger, weil der Patient sein Inneres offenbaren soll.

Bei Kindern ist das nicht so einfach, weil sie ja zum Therapeuten geführt- bzw. geschickt werde.
Die Terminkalender der Therapeuten sind voll. Man ist froh "einen gefunden zu haben, der Zeit hat".
Erwachsene sagen nach der Probestunde: Danke. Aber ich fühle mich bei Ihnen nicht wohl. Nehmen sie es nicht persönlich.

Ein Kind wird das schwer formulieren können und macht "einfach zu" - bzw. verlegt sich aufs Schauspielern.

Jetzt- hinterher- nach dem das alles passiert ist, denke ich, dass die Therapie zu spät begonnen wurde- und der Therapeut bei ihm auf verlorenem Posten stand.
Da hatte sich in MH schon zu viel aufgebaut, was er nicht sehen lassen wollte.

Mich hat doch sehr überrascht, dass M.H. sich anscheinend bewusst verstellt hat. Das bedeutet, dass er ganz genau wusste, dass er mit seinem Verhalten anecken könnte und dieses von anderen missbilligt wird. Ich finde den Auftritt vom Freund sehr erleuchtend, endlich jemand, der M.H. aus dem freundschaftlichen Kontext kennt.

@cercarei
Hattest du denn auch das Gefühl bei der Aussage des Freundes, dass dieser weiterhin "Respekt" vor M.H. hat? Also wie stand er ihm emotional gegenüber?

AveMaria schrieb:Der Junge wird in dem Maße auffällig und bekommt scheinbar alleinig eine Therapie. Was ist mit dem Umfeld? Bei einer Bekannten von mir wurde bei der Tochter im Kindergartenalter Diabetes diagnostiziert und sofort kamen die Eltern in mehrwöchiges Schulungsprogramm, um den Umgang mit dieser Erkrankung zu lernen. Und wenn ein Grundschulkind mit einer Schere auf Lehrer losgeht, wird nur das Kind therapiert? Es gibt keine Schulungen für die Eltern? Keine Familientherapie? Nix? Nur der Umzug zum Vater?

Es kommt halt immer drauf an wer da mit im Boot sitzt. Hat man einen guten Kinderarzt oder einen kompetenten Arzt in einem Sozialpädiatrisches Zentrum wird er oder sie den Eltern sicher eine Schulung, ein so genanntes Elterntraining anbieten. Oder den Aufenthalt in einer Tagesklinik/Klinik, Ergotherapie, Integrationskraft etc p.p.
Ist das nicht der Fall, steht man als Eltern ganz schön allein da auf weiter Flur. Woher soll man es auch wissen.

Ich finde es sehr interessant, dass Marcel kurz vor der Tat so offen seinem Freund gegenüber wurde. Was hatte ihn dazu geritten?
Ob er da schon irgendwelche Phantasien hatte?

@Nursii
Ich könnte mir vorstellen, dass er da mal die Kontrolle abgeben konnte. Also auch mal was trinken etc., weil er wusste, dass er bei seiner Tat derjenige ist, der die Macht hat.

Nursii schrieb:Ob er da schon irgendwelche Phantasien hatte?

Ich denke mal, dass solche Fantasien nicht von heute auf morgen kommen.

Lena781 schrieb:Mich hat doch sehr überrascht, dass M.H. sich anscheinend bewusst verstellt hat. Das bedeutet, dass er ganz genau wusste, dass er mit seinem Verhalten anecken könnte und dieses von anderen missbilligt wird.

Könnte es nicht anders sein? Die 1 zu 1 Situation in einer Therapiestunde im Beisein der Schwester ist für ihn zu bewältigen, löst also nichts an Verhaltensproblemen in ihm aus. Er verhält sich unauffällig. Aber in einer größeren Gruppe geht das nicht mehr. Das macht ihn aggressiv. Das hält er nicht aus. Schon gar nicht mit Körperkontakten.

@Lena781
Versteh ich grad nicht.
Von welcher Tat sprichst du denn jetzt?
Die eigentliche Tat geschah ja dann schon etwas später.

Ich dachte da an eventuelle konkrete Phantasien dem Freund gegenüber.

AveMaria schrieb:Schon möglich, intensive Betreuung ist teuer. Aber es gibt ja hier Kinder- und Jugenspychiatrien. Was muss passieren, dass ein Kind dort zur Diagnostik eingewiesen wird? Wenn nicht so ein Vorfall, was dann? Da muss es doch eine Art Maßnahmenkatalog geben, wenn solche, oder ähnliche Verhaltensweisen auffallen.

Ich glaube, viele fallen durch den Rost und werden nicht rechtzeitig und richtig versorgt.

Überlege doch nur, wie viele Jugendliche in Psychiatrien landen, in Krisenstationen, vor Gericht stehen, weil sie Kriminelles tun - oder sich ritzen- oder drogenabhängig (z.B. von Alkohol) u. suizidgefährdet sind.
Vieles hätte man in jungen Jahre auffangen können.

Aber mich interessiert die Frage auch. Ich versuche mal dazu Infos zu bekommen.

So würde ich sagen, das ist Bundesland- und in den kritische Bundesländern noch mal bezirksabhängig.

Berlin kenne ich gut. Als Ganzes ein armes Land, aber es gibt in Berlin natürlich schöne Ecken, in denen Bildungsbürger wohnen- und daneben andere Gebiete, in denen es sehr arm aussieht.
Kinder haben unterschiedliche Chancen in der selben Stadt.
Womit ich nicht sagen will, dass das Umfeld MH "gemacht" - oder wesentlich geprägt hat.

Nur seine tiefe Unsicherheit, die Feindschaft, in der er mit der Welt lebt, wäre in einer anderen Region früher aufgefallen und vor allem, dass gegengesteuert werden müsste.

@AveMaria
Ja, das kann auch sehr gut sein. Eine 1 zu 1 Situation löst meistens ja weniger Stress aus, als die Interaktion in der Gruppe, wo man sich z.B. beweisen muss. Mich würde interessieren, inweiweit M.H. Außenseiter war. Ich hatte immer gedacht, dass er der einzige war, nun klang es aber so, dass es mehrere Außenseiter gab und M.H. sich auch zu wehren wusste.

@Nursii
Also ich kann mir gut vorstellen, natürlich alles wieder mal Spekulation, dass M.H. die Tat lange plante und eben auch wusste, dass es danach kein Zurück gibt. Und die Wochen davor eventuell lockerer wurde, da er ja wusste, dass es danach eh vorbei sei.

@Lena781
Du glaubst echt, dass er das so lange geplant haben könnte?
Ehrlich gesagt glaube ich das nicht.
Und ich glaube auch nicht, dass er dann zur Vorfreude den Kontakt zu anderen Menschen wählen würde.

Ich könnte mir da eher vorstellen, dass seine phantasien sich in der Zeit konkretisierten und er zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach einem Opfer war.

Lena781 schrieb:Mich würde interessieren, inweiweit M.H. Außenseiter war. Ich hatte immer gedacht, dass er der einzige war, nun klang es aber so, dass es mehrere Außenseiter gab und M.H. sich auch zu wehren wusste.

Ja, er wehrte sich notfalls gegen die Angriffe. Und dann heißt es hinterher: er war schon immer aggressiv :troll:

Wobei die Schilderungen jetzt aber auch zu Tage gebracht haben, dass er sich einfach schneller angegriffen fühlte, als andere. Dass jemand nach einem Anrempler zubeißt, ist ja schon sehr ungewöhnlich. Er hatte also selbst ganz spezielle Probleme, die ihn auch zum Außenseiter machten.

@Nursii
Du, das sind alles Spekulationen meinerseits. Ich kann mir gut vorstellen, dass er schon lange frustriert war, vom Leben und von seiner Situation. Dann die Absage der Bundeswehr und die Aussicht, Bewerbungen schreiben zu müssen und in eine Wohnung ohne Internet zu ziehen. Vielleicht waren die Pläne nicht konkret, aber ich kann mir vorstellen, dass er vor hatte, etwas zu tun, etwas "knastwürdriges" oder eben der Suizid (wobei da die Frage ist, ob der je ernsthaft geplant war?). Er scheint zwar einerseits super kontrolliert, allein sein Auftritt vor Gericht, andererseits sehr schnell in Rage zu bringen. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass er die Zeit davor sich eventuell doch noch mal "gehenlassen" wollte, verabreden, mal was trinken. Aber wie gesagt, sind alles nur spekulative Gedanken, selten so einen Fall gehabt, wo ich die Intention so gar nicht verstehe.

AveMaria schrieb: Dass jemand nach einem Anrempler zubeißt, ist ja schon sehr ungewöhnlich. Er hatte also selbst ganz spezielle Probleme, die ihn auch zum Außenseiter machten.

Wobei man nun auch nicht weiß, ob nicht schon lang im Voraus ähnliches immer wieder passierte, was seine schmerzgrenze/toleranzgrenze verständlicherweise sinken hat lassen.

Nursii schrieb:Ich könnte mir da eher vorstellen, dass seine phantasien sich in der Zeit konkretisierten und er zu diesem Zeitpunkt auf der Suche nach einem Opfer war.

Sein Opfer: jünger, kleiner als er, ihm vertrauend
Ein Opfer, das ihm keine Schwierigkeiten machen,
ihm keinen Kampf liefern kann, den er verliere könnte

Und was sprach außerdem für J. als Opfer?
Hatte MH das Gefühl, dieses Kind würde bald gesellschaftlich an ihm vorbeiziehen?
Intelligent, beliebt, nicht so problembelastet, wie er?

Fühlte er, dass er J. in Wirklichkeit unterlegen ist und hasste er ihn dafür?

Manchmal frage ich mich, was denen, die hier versuchen "tiefenpsychologische" Schlüsse zu ziehen, so im Kopf rumgeht, wie man als vermeintlich "normaler" Mensch auf so was kommt. Offenbar haben hier ja einige eine Fantasie, die möglicherweise über das, was M.H. sich so vorstellte, weit hinaus geht. Komischerweise findet niemand das befremdlich, das man so in seinem eigenen Kopf auf die abstrusesten Gedanken kommt, das man denkt, was M.H. gedacht, gefühlt haben könnte......vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, wie man selbst gestrickt ist, wenn man so tolle Fantasien/Gedanken über Beweggründe anderer Menschen hat. So als Hobbypsychologe im Internet.

laut diesem Zeitungsbereicht, war Jaden nur ein Zufallsopfer gewesen

https://www.derwesten.de/staedte/bochum/hesse-prozess-tragischer-zufall-seine-mutter-offenbart-warum-jaden-9-wirklich-sterben-musste-id211998241.html


Bochum. Er war erst neun Jahre alt und das Zufallsopfer eines Jugendlichen, der sich fest vorgenommen hatte, zu töten. „Den Ersten, der mir die Tür aufmacht, bring ich um“, nahm Marcel Heße sich am Abend des 6. März vor. So wurde Jaden zum Opfer. Denn er ist es, der die Tür an diesem Abend öffnet. Seine beiden Brüder kommen erst später.

@Tussinelda
Sehe ich anders. Der Mensch neigt dazu Dinge, die er nicht versteht oder die ihn bis ins Mark erschüttern, erklären zu wollen. Und genau das versuchen wir hier, wir versuchen, uns ein Bild von dem zu machen, was unsere Vorstellungskraft übersteigt.

Lena781 schrieb:Sehe ich anders. Der Mensch neigt dazu Dinge, die er nicht versteht oder die ihn bis ins Mark erschüttern, erklären zu wollen. Und genau das versuchen wir hier, wir versuchen, uns ein Bild von dem zu machen, was unsere Vorstellungskraft übersteigt.

Nur deshalb hat sich die Menscheit weiterentwickelt und Lösungen gefunden für Probleme, die unlösbar schienen. Diese Tendenz ist in allen Menschen vorhanden, Menschen in wissenschaftlichen Berufen habe sie sich zur beruflichen Passion gemacht.