Viele empfinden es ja als hochspannend, wie die zweite Verhandlung im Fall Hanna ausgeht. Bei mir allerdings hält sich die Spannung in Grenzen: Alles andere als ein Freispruch für Sebastian T. wäre für mich eine Riesenüberraschung. Und das liegt nicht etwa daran, dass ich ST plötzlich als Verantwortlichen für den Tod von Hanna W.
ausschliessen würde.
Programmiert scheint mir ein Urteil zugunsten von ST nicht zuletzt durch die Entscheidung der jetzt zuständigen 1. Jugendstrafkammer, aufgrund eines selbst initiierten Glaubwürdigkeitsgutachtens zulasten des JVA-Häftlings Adrian M. den dringenden Tatverdacht gegen den Angeklagten aufzuheben und den jungen Aschauer aus der Haft zu entlassen.
Wer glaubt denn ernsthaft, dass dieses Gericht nun noch einmal ST für schuldig halten und erneut wegen Mordes verurteilen könnte? Das würde ja in der Konsequenz das Eingeständnis der Richter bedeuten, dass sie einen Mörder zu früh und fahrlässig auf freien Fuss gesetzt hätten - mit dem Risiko, dass dieser zwischenzeitlich wieder rückfällig werden könnte.
LackyLuke77 schrieb:Das Ziel der Verteidigung ist klar: am Ende der Verhandlung soll der Freispruch aus erwiesener Unschuld stehen, indem nachgewiesen wird, dass H. verunfallt ist.
Was für mich noch ein klein wenig Spannung verheisst, ist die Frage, ob der Freispruch wegen erwiesener Unschuld oder aus Mangel an Beweisen erfolgt. Und da hat
@LackyLuke77 Recht: Am besten kann die Verteidigung einen totalen Freispruch erreichen, indem die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass Hanna durch einen Unfall ums Leben kam.
Denn es kann ja wohl niemand wegen Mordes verurteilt werden, der nachweislich verunglückt ist - ohne jedwedes Zutun eines anderen Menschen.
Die Frage ist nur, ob und wie dieser Nachweis erbracht werden kann. Die Verteidigung bietet dazu neue Gutachten auf, die belegen sollen, dass Hanna sich ihre spezifischen Verletzungen sehr wohl durch Treiben im Wasser zugezogen haben könnte, und dass der Notruf nicht von ihr, sondern durch andere Einflüsse ausgelöst worden sein dürfte.
Widerlegt werden müssten dafür aber erst einmal die Stellungnahmen der bisherigen Sachverständigen, die im Kern besagen: kein Unfall, eher Mord. Fraglich erscheint mir besonders, wie sich die im (vom BGH aufgehobenen) Urteil dargelegte Version des Notrufversuch aushebeln lässt:
37
H. W. gelang es noch bei Bewusstsein um 02:32:09 Uhr die als Notfallkontakt hinterlegte Nr. des Festnetzes der Heimatadresse mittels zweifachen Drückens der Schaltfläche „Notruf“ auf dem Display ihres Handys und anschließendem Auswählen des Kontaktes „home“ zu aktivieren. Ein Rufaufbau kam jedoch aus technischen Gründen nicht zustande.
Quelle: Urteil, Randnummer 37.
Zweifaches Drücken der Schaltfläche Notruf auf dem Handy-Display und anschließendes Auswählen des Kontaktes Home - wie das außer von Menschenhand bewerkstelligt worden sein könnte, erscheint.wohl nicht nur mir völlig schleierhaft. Wenn es dafür aber keine schlüssige Erklärung gibt, ist die Mordthese nicht vom Tisch.
Es bliebe in diesem Fall jedoch noch die Möglichkeit, aufgrund aller neu vorgebrachten Argumente und in Abwägung mit den alten Gutachten darauf zu erkennen, dass ein Unfall zumindest nicht auszuschließen sei. Ich bin zwar kein Jurist, aber ich denke, ein Freispruch wegen erwiesener Unschuld wäre aber ohne klaren Unfall-Nachweis wohl schwer erreichbar.
Allerdings gäbe es ja dann immer noch die Chance, nachzuweisen, dass ST trotz unbelegten Unfalls und sogar bei vermutetem Mord nicht als Täter in Frage kommt. Und da hat sich die Ausgangslage seit der ursprünglichen Mordanklage spürbar verschoben.
Damals galt Verena R. noch als Kronzeugin, weil sie schilderte. Sebastian T. habe ihr am Abend nach Hannas Verschwinden von der Tötung eines Mädchens in Aschau berichtet (gleichbedeutend mit der Preisgabe von Täterwissen). Verena R. verwickelte sich jedoch in Widersprüche und konnte (oder wollte) nichts Handfestes mehr zur Aufklärung des Falles beisteuern.
Weiter ins Wanken gerieten die Anklagesäulen Geständnisse/Täterwissen durch den vernichtenden Befund des Berliner Wissenschaftlers Prof. Max Steller im Auftrag des neu zusändigen Gerichts, dem JVA-Zeugen AM jedwede Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Selbst wenn der Häftling jetzt noch einmal beteuern würde, ST habe ihm im Knast den Mord an Hanna gestanden, und er dafür auch Täterwissen beisteuern könnte: Das neue Gericht hat sich ja bereits die Einschätzung von Steller zueigen gemacht und die Aussagen des Zeugen für Schall und Rauch erklärt.
Als nächste Belastungszeugin wegzubrechen droht (aus Sicht der Anklage) Lea R. Die Schwester der einstigen Kronzeugin Verena steht noch als Einzige für die Behauptung, dass ST am 3.10. 2022 bei einem Ausflug an den Chiemsee mit dem Hinweis auf eine getötete Frau in Aschau Wissen preisgegeben habe, das zu diesem Zeitpunkt nur der Mörder haben könnte.
Lea R. steht nun unter immensem Druck. Nicht nur die Verteidigung dürfte sich auf sie einschiessen; auch hier im Forum gibt es reichlich Vorstöße, ihre Glaubwürdigkeit und ihr Erinnerungsvermögen in Zweifel zu ziehen. Nur ein Beispiel aus den letzten Tagen:
JuLe2402 schrieb am 24.09.2025:Der unglaubwürdige Knastzeuge und Lea, deren Aussage sich als totaler Müll erwiesen hat setzen dem ganzen noch die Krone auf.
Ich bezweifle stark, dass Lea R. dieser Belastung standhält. Man muss ja zusätzlich noch berücksichtigen, dass der von ihr Belastete nun wieder frei herumläuft. Ich könnte mit gut vorstellen, dass diese Zeugin sich zurückzieht - etwa mit dem Versuch, Zeugnisverweigerung zu beanspruchen, oder mit der Erklärung, sie könne sich nun doch nicht mehr so genau erinnern.
Dann bliebe aus diesem Bereich der Indizien nur noch das eigene Geständnis von ST im Freundeskreis. Das ist ja von seinen Fans bereits liebevoll als „Spassgeständnis“ verharmlost worden, das er quasi halb launig, halb frustriert in den Raum geworfen habe. Welcher der Teilnehmer der „Hausparty“ würde es heute noch wagen, das anders darzustellen?
Ob die verbleibenden Indizien dann noch einen Freispruch blockieren könnten? Dass ST zeitlich und räumlich die Tat verüben konnte, weil er zum Tatzeitpunkt im Bereich des Tatorts war; dass er ein auffälliges Nachtatverhalten an den Tag legte mit heftigem Alkoholkonsum und Fehlen am Arbeitsplatz; dass er über ein Motiv verfügt haben könnte (Kombination aus Frust über fehlgeschlagene sexuelle Beziehungen zu Mädchen) und überbordender Konsum gewaltstrotzender Pornos), und dass er sich anfänglich nicht als gesuchter Jogger outen, dafür aber die Polizei mit falscher Kleidung aus der Todesnacht narren wollte - ob all das zusammen noch für einen Schuldspruch reichen dürfte, wenn Geständnisse und Nachweise von Täterwissen „ausgebootet“ sind, erscheint doch eher zweifelhaft.
Im Übrigen: Ein Freispruch läge ja auch ganz in dem von Regina Rick maßgeblich mit befördertem Mainstream, der mittlerweile in der Beurteilung des Falles Hanna herrscht - von Leitmedien wie Zeit, SZ und Spiegel (TV) über juristische Zirkel bis zu Diskussionsforen im Internet.
Und passen würde ein Freispruch (und im Vorfeld die Öffnung der Kammer für Positionen der Verteidigung) auch blendend zum offenkundigen Bestreben des Landgerichts Traunstein, sein zuletzt arg ramponiertes Image wieder etwas aufzupolieren.
Sebastian T. als unschuldig einzustufen, würde sicherlich weitgehend goutiert und vielleicht sogar als Auswetzen jener Scharte gewertet, für die man das vom BGH einkassierte Urteil der Assbichler-Kammer hält.
Und noch eines zur Klarstellung: Natürlich darf niemand verurteilt werden, wenn ein Gericht nicht eindeutig von seiner Schuld überzeugt ist. Selbstverständlich gilt der Grundsatz, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden ist.
Schrecklich wäre es jedoch, wenn in diesem Fall ein Mörder nicht zur Rechenschaft gezogen würde und der Tod von Hanna ungesühnt bliebe. Gift auf dem Weg zu einem sachgerechten, objektiven Urteil können Pressionen von außen und unangemessene Interessen behördlicher oder sonstiger Art sein.