Heute ist sehr viel passiert. Ich gehe aber erst einmal auf das ein, was aus meiner Sicht mit "der verheerendste Satz des Tages für die Verteidigung Block" zu umschreiben ist.
Es geht um den Satz der Vorsitzenden, der von der mopo wie folgt zitiert wurde:
„Herr Bott, wir sehen keine Verdunkelungsgefahr bei Frau Block, sonst hätten wir längst einen Haftbefehl erlassen“
Quelle:
https://www.mopo.de/hamburg/block-prozess-geht-in-die-naechste-runde-wer-heute-vor-gericht-aussagt/Weshalb ist der Satz so verheerend? Nicht (nur) deshalb, weil, wie die Medien titeln, "die Vorsitzende Christine Block mit Haftbefehl gedroht hat", sondern weil mit diesem Satz viel mehr gesagt wurde.
Juristen pflegen sich - zumindest wenn es um juristische Sachverhalte und Beurteilungen geht - korrekt auszudrücken. Die Vorsitzende erscheint mir eine sehr, sehr gute Strafrechtlerin zu sein.
Juristen bemühen bei allen Prüfungen, um zu einer Entscheidung zu gelangen, sogenannte Prüfungsschemata. Die lernt man während des Studiums, sehr zum eigenen Verdruss, auswendig. Es wird alles in einer bestimmten Reihenfolge geprüft, und zwar immer.
Was heißt das nun für diesen Satz?
Ein Haftbefehl setzt immer das Bestehen eines dringenden Tatverdachts und eines Haftgrundes voraus. Die Vorsitzende sagt, hätten wir einen Haftgrund, nämlich den der Verdunklungsgefahr, hätten wir längst einen Haftbefehl erlassen.
Die Prüfungsreihenfolge vor Erlass eines Haftbefehls ist IMMER:
(1) dringender Tatverdacht?
(2) Haftgrund?
Wenn also eine korrekt formulierende Vorsitzende äußert, dass längst ein Haftbefehl erlassen worden wäre, wenn die Kammer einen Haftgrund, nämlich den der Verdunklungsgefahr, sehen würde, heißt das: die Kammer sieht einen jedoch einen dringenden Tatverdacht. Hört sich verkorkst an, was in Juristenhirnen vorgeht, ist aber so - Juristen verstehen sich, auch was gemeint ist. Manchmal benötigt es längeres Nachdenken.
Weshalb ist das für die Verteidigung so verheerend?
Die Kammer muss bei der Frage, ob das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage zugelassen wird, prüfen, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt.
Exkurs: Hinreichender Tatverdacht ist dann gegeben, wenn nach vorläufiger Beurteilung des Akteninhalts eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch, also eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung besteht.
Das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts hat die Kammer mit der Eröffnung des Hauptverfahrens bejaht. Natürlich ändert sich die Wahrscheinlichkeit im Laufe der Beweisaufnahme - entweder verdichtet sich der Tatverdacht oder es kommen Zweifel auf.
Wenn nun die Kammer nach 21 Hauptverhandlungstagen und einer Vielzahl von Einlassungen der CB (im übrigen viel zu vielen, immer wieder den Ergebnissen der Beweisaufnahme angepassten Einlassungen) andeutet, sie gehe von einem dringenden Tatverdacht aus, ist das ein Tiefschlag für die bisherige Verteidigungsstrategie.
Nochmals Exkurs: Dringender Tatverdacht ist erforderlich, um Zwangsmaßnahmen, nämlich die Untersuchungshaft, anzuordnen. Daher ist der dringende Tatverdacht intensiver als der hinreichende Tatverdacht. Er erfordert zum einen, dass eine große oder hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Angeklagte die ihr vorgeworfenen Taten begangen hat. Ebenso erfordert er eine Verurteilungswahrscheinlichkeit. Diese Verurteilungswahrscheinlichkeit muss jedoch strengeren Anforderungen entsprechen als die Prognoseentscheidung bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts (s.o.). Die Verurteilungswahrscheinlichkeit ist also nicht als Prognoseentscheidung, sondern nach dem aktuellen Verfahrensstand zu treffen.
Was heißt das nun? Es heißt, dass die bisherige Verteidigung nicht gefruchtet hat. Der Tatverdacht ist ein anderer geworden, obwohl CB und der Doppel-Dr. versucht haben, den Tatverdacht zu entkräften. Das, so ist die Vorsitzende zu verstehen, ist nicht gelungen, der Tatverdacht hat sich weiter verstärkt. Als Jurist kann man den oben eingefügten Satz der Vorsitzenden nicht anders verstehen.
Insoweit ist das der Satz des Tages, jedoch aus anderen Gründen als es allgemein angenommen wurde.
Ich hoffe, ich habe das relativ verständlich ausgedrückt. Interessante Entwicklung neben den vielen anderen am heutigen Tag für die Verteidigung nicht positiv zu bewertenden Ereignissen.