Brexit und danach?
25.06.2016 um 10:55Anzeige
Die Nettozahler der EU, etwa die Deutschen, die Franzosen, die Italiener, sparen Milliarden Euro, die sie bislang nach London transferieren mussten. Auch so eine Besonderheit: Viele Jahre zahlten die Briten nur einen minimalen, ihrer Wirtschaftskraft nicht angemessenen EU-Beitrag.http://www.spiegel.de/politik/ausland/brexit-rechtspopulisten-traeumen-von-weiteren-eu-austritten-a-1099717.html
Trotz des Briten-Rabatts (London bekommt im Prinzip jedes Jahr 66 Prozent der Differenz zwischen seinen Zahlungen an den EU-Haushalt und seinen Rückflüssen daraus erstattet) zählt Großbritannien seit Jahren zu den größten Nettozahlern der EU. 5,6 Milliarden Euro betrug die Differenz im Jahr 2010, im Jahr 2014 waren es noch 4,93 Milliarden Euro, der dritthöchste Wert in der EU.http://www.wiwo.de/politik/europa/eu-haushalt-die-groessten-netto-zahler-der-eu/7179190.html?p=8&a=false&slp=false#image
«Tages-Anzeiger»:http://www.20min.ch/ausland/news/story/Das-sagt-die-Schweizer-Presse-zum-Brexit-23368474
«Wie kam es, dass aus dem Hoffnungsprojekt Europa ein dermassen ungeliebter Moloch wurde? Der Hauptgrund: Mit der Einführung des Euro und der unbegrenzten Personenfreizügigkeit wurde hoffnungslos an den EU-Bürgern vorbeiregiert. Der Brexit war ein Plebiszit gegen die Personenfreizügigkeit.»
«Berner Zeitung»:
«Ganz offenbar ist die EU vielen Europäern fremd geblieben. Warum das so ist, zeigte sich gestern unfreiwillig beim Auftritt von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Seine Hauptbotschaft war, dass der britische Premier David Cameron am Dienstag mit einem Austrittsersuchen in Brüssel zu erscheinen habe. Befehlston und kühle Abwicklungsmentalität statt Demut und Selbstreflexion darüber, was die EU sein soll – und was nicht.»
«Neue Luzerner Zeitung«/«St. Galler Tagblatt»:
«Das Integrationstempo der EU wurde zwar in den letzten Jahren gedrosselt. An der Personenfreizügigkeit hat sie aber strikt festgehalten. Das empfanden viele zunehmen als Belastung. (...) Die Personenfreizügigkeit ist eine zentrale Errungenschaft der EU. Doch manchmal muss man bereit sein, von Prinzipien abzuweichen, um das Projekt zu retten. Jean-Claude Juncker und seine Kommission haben die Lage falsch eingeschätzt. Man darf sich fragen, ob er noch der richtige Mann in Brüssel ist.»
«Bund»:
«Die Personenfreizügigkeit lässt sich wohl nur retten, wenn die EU den beteiligten Ländern eine gewisse Steuerung der Zuwanderung erlaubt. So könnte sie ihren Gegnern Wind aus den Segeln nehmen – im britischen Referendumskampf war die Zuwanderung das Hauptargument der Austrittsbefürworter.»
«Zürcher Oberländer»:
Dass die Inselbewohner sich für diesen Weg entschieden haben, ist nicht nur auf diffuse Migrationsängste zurückzuführen, sondern hängt auch mit der schlechten Verfassung der EU zusammen. (...) Zudem rächt sich jetzt auch, dass das Problem des Demokratiedefizits in der EU nie wirklich angegangen worden ist. Die Mitbestimmung des Volks in EU-Angelegenheiten wird kleingeschrieben. (...) Wenn die EU aber die Zentrifugalkräfte eindämmen und weitere Absatzbewegungen unterbinden will, kommt sie nicht umhin, sich Reformen zu unterziehen. Zu diesen wird auch die Frage gehören, ob die umstrittene Personenfreizügigkeit wirklich so absolut gelten muss.»
«Schaffhauser Nachrichten»:
«Ein Auseinanderbrechen der EU kann nur verhindert werden, wenn sie sich neu erfindet: Im Zentrum muss die Frage stehen, wie die demokratische Legitimation und die Mitsprache erhöht werden können. Denn genau daran krankt die EU: Die Menschen in den Mitgliedstaaten haben längst den Anschluss an die stramm voranschreitende politische Verschmelzung verloren. Inzwischen verlangen sie aber das zurück, was ihnen zusteht: Kontrolle über die Politik.»
«Der Landbote»:
«Die EU weiss spätestens jetzt, das sie die Personenfreizügigkeit als absolut geltendes Prinzip überdenken muss, will sie nicht Austrittsdiskussionen in weiteren Mitgliedsländern riskieren. (...) Die Schweiz ist gut beraten, die durch den Brexit geschaffene Situation zu nutzen, um in der verknorksten Masseineinwanderungsfrage endlich Klarheit zu schaffen.»
«Südostschweiz»:
«Optimisten hoffen, dass der Brexit einen Impuls für eine EU-Reform in Richtung Bürgernähe und mehr Demokratie nach sich zieht, manche hoffen sogar auf eine stärkere Integration. Pessimisten dagegen beschwören nicht weniger als den Anfang vom Ende der europäischen Einigung. Es könnte aber auch sein, dass nichts von alledem eintritt.»
«Neue Zürcher Zeitung»:
«Cameron hat das EU-Referendum anberaumt, um dem internen Zwist in der Konservativen Partei ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Das Ergebnis aber war das genaue Gegenteil: Die Partei präsentierte sich im Abstimmungskampf so gespalten wie nie zuvor, und das Referendum wurde zum Ventil für alle möglichen Formen der Unzufriedenheit und der Protesthaltung. (...) Der Volksentscheid demonstriert einmal mehr, dass in Europa der Nationalstaat zwar ständig an Handlungsfreiheit verlieren mag, dass er aber für breite Bevölkerungskreise eben doch der zentrale politische Bezugsrahmen bleibt.»
«Blick»:
«Der Brexit wurde von der älteren Landbevölkerung durchgesetzt, die es den Gurkennormierern in Brüssel zeigen wollte. Ihr ist die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel überhaupt nicht willkommen. 'Stiff upper lip' riskieren sie mit Blick auf ihre gloriose Vergangenheit die Zukunft der urbanen Jugend, die den Brexit nicht wollte. Der grösste Verlierer ist aber David Cameron (...) Provoziert ohne Not den Exit, spaltet Grossbritannien wegen der EU-Fans Schottland und Nordirland und verliert seinen Job.»
«Walliser Bote»:
«Nicht mehr am Verhandlungstisch ist Premier David Cameron. Er gehört zu den ganz grossen Verlierern. Ohne politische Not hat er in einer kolossalen Fehleinschätzung das Referendum auf die Agenda gesetzt. Im Stile eines abgebrühten Pokerspielers warf er zusammen mit seiner Karriere auch die Zukunft des Landes auf den Spieltisch und hat alles verloren. Seinem Nachfolger hinterlässt er ein tief gespaltenes Land.»
«Basler Zeitung»:
«Wenn aber jemand für den Brexit verantwortlich ist, dann Angela Merkel (....): Als es darum ging, das vertrackte Verhältnis zwischen Grossbritannien und der EU neu zu verhandeln, fuhr Cameron eigens nach Berlin, in der Absicht, die Deutschen auf seine Seite zu bringen. Zu den Reformen und Zugeständnissen, die er erreichen wollte, gehörten natürlich wirksame Mittel gegen die ungesteuerte Immigration, unter welcher die Briten ächzten. Merkel lehnte dies in Bausch und Bogen ab.»
«Nordwestschweiz»:
«Man kann mit Recht an vielem in der EU herummäkeln. Bedauerlich ist, dass ihr historisches Verdienst mehr und mehr negiert wird: Nie zuvor in der Geschichte gab es eine derart lange Friedensphase im Gebiet der heutigen EU-Mitglieder. Partnerschaftliche Beziehungen, offene Grenzen, freier Handel - das alles war noch vor zwei Generationen undenkbar.»
«L'Hebdo»:
«Welches Europa wollen wir?», fragt die Westschweizer Zeitung «L'Hebdo» und gibt zu bedenken, dass nach wie vor in Sachen Steuern, Budget und Sozialem nicht ein «Europa» existiere: «Das Geld ist der Spiegel der Gesellschaft, aber nicht ihr Horizont. Der Karren wurde vor die Ochsen gespannt.»
«Le Courrier»:
Die Zeitung «Le Courrier» zieht eine Parallele zwischen den Gründen, welche die Briten zum Alleingang bewegt haben, und dem Schweizer Isolationismus: «Eine Verweigerung gegenüber der überbordenden Bürokratie und der Freiheitsbedrohung.»
«La Liberté»:
«Die Bürger Grossbritanniens haben eine Art Weckruf gestartet: Sie sagten es laut und deutlich, dass sie sich nicht mehr in jenem Europa wiedererkennen können, zu dem es seit der Osterweiterung geworden ist: Ein zusammengewürfelter Club mit Motorschaden und ohne gemeinsame Geschichte.»
«Le Matin»:
«Das Hauptproblem Europas ist, dass es auf einem Ideal beruht, welches nicht immer mit dem Volkswillen vereinbar ist. (...) Das Vereinigte Königreich verkörpert diese Ambivalenz gut. (...) An diesem 24. Juni 2016 hat Europa eines seiner Schwergewichte verloren. Während Frankreich und Italien nicht in der Lage sind, Gegengewicht zu sein, wird Deutschland bald als alleiniger Leader eines nicht mehr nur bleifüssigen, sondern amputierten Kolosses dastehen.»
subgenius schrieb:DU weist also was die Lüge und die Wahrheit ist.. dann zeig mal her die Zahlen.Na in den Links werden doch die Zahlen genannt -
parabol schrieb:Großbritannien zahlt jedes Jahr an den EU-Beiträgen etwa 5 Mrd. Euro als es wiederbekommt"zahlt jedes Jahr an den EU-Beiträgen etwa 5 Mrd. Euro mehr" sollte es heißen
stereotyp schrieb:Geil fand ich gestern auch die "Zeit", wo eine Historikerin schrieb, es sei völlig verantwortungslos, solch komplexe Fragen das Volk entscheiden zu lassen. :)Es stellt sich im UK aber die Frage, wer das "Volk" ist.
Bei den Gesprächen über den Brexit liegen prinzipiell zwei Optionen auf dem Tisch: Sollte binnen zwei Jahren keine Einigung erreicht werden, würden automatisch die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zu greifen beginnen. Das würde dazu führen, dass britische Waren in der EU mit Importzöllen belegt werden. In der WTO gilt die Meistbegünstigtenklausel. Sie besagt, dass Handelsvorteile, die einem Land zugestanden werden, auch allen anderen Ländern zugebilligt werden müssen. Das Ifo hat auf dieser Basis ausgerechnet, dass auf britische Pharmaprodukte und Chemikalien Zölle in Höhe von vier Prozent in der EU anfallen würden. Bei Pkws und Autoteilen würden sie sogar bis zu zehn Prozent ausmachen.
Damit solche Handelsbeschränkungen nicht greifen, könnte man sich auf ein EWR-Modell (Europäischer Wirtschaftsraum) einigen. Der EWR-Vertrag regelt die Anbindung der EU-Länder an Norwegen, Island und Liechtenstein. In diesen drei Staaten gelten mit wenigen Ausnahmen im Agrarsektor die vier Grundfreiheiten der EU. Also auch die Niederlassungs- und Warenverkehrsfreiheit, Zölle sind abgeschafft. Ein Mitspracherecht bei Entscheidungen der Union haben die drei Staaten nicht. Dafür leisten sie Zuschüsse zum Haushalt der Union. Das Problem dabei: Hauptargument der Brexit-Befürworter war, dass zu viele Migranten aus der EU nach Großbritannien eingewandert sind und man daher Beschränkungen brauche.
http://derstandard.at/2000039776112/Warum-es-fuer-die-EU-schwer-wird-Haerte-gegen-die
Narrenschiffer schrieb:dass nämlich in den letzten Jahren Deutschland mit Merkel sich sehr aggressiv als Führungsmacht der EU zu etablieren versuchte.Ja super, Deutschland wurde ja in die Rolle gedrängt. Geht auch allein Ökonomisch nicht ganz anders.
stereotyp schrieb:es sei völlig verantwortungslos, solch komplexe Fragen das Volk entscheiden zu lassenWenn das Volk zu blöd ist komplexe Entscheidungen zu treffen, ist es auch zu doof den Volksvertreter zu wählen. Dann sollte man am besten eine Technokratie einführen oder ehrlicherweise gleich ne Plutokratie. Weil eine Physikerin hat auch nicht wirklich Ahnung von Wirtschaft. ;)
Fedaykin schrieb:Ob es noch was nützt?Weiss ich nicht, dort wird eine EU Referendum Regel zitiert. Konnte allerdings noch keine Quelle für finden dass diese Regel existiert.
the_georg schrieb:as der ganzen jungen Generation die eigenlich erwartungsgemäß das "remain" ausmachen würde jetzt so langsam einfällt, wenns groß in den Nachrichten kommt.Wie kommst du darauf das die Jugend das Verpennt hat? Demographie ist in UK auch nicht viel anders als Hier.
the_georg schrieb:Sicherlich die ganzen Leute die die Wahl verpennt oder für unwichtig gehalten haben und den jetzt langsam bewusst wird, dass es zur Realität wurde :DNach einer Demokratie Abstinenz zu wegweisenden Entscheidungen verwundert mich das überhaupt nicht. Das ist wie den rechten Arm 20 Jahre nicht benützen und sich dann ein Bier anstatt in den Mund über die Hose zu leeren.
Die Stimme des Einzelnen zählt wohl in manchen Fällen ja dann doch.