Helion schrieb:Ich kann dir auch nicht sagen, warum sich manche Menschen so verhalten – vielleicht sind es Gefühle wie Frustration, Wut, Erniedrigung, das Erleben von Ungerechtigkeit oder das Bedürfnis nach Vergeltung. Solche Emotionen können Menschen in extreme Richtungen treiben.
Damit tust du (vielleicht unbewusst) das, was sehr, sehr viele Leute tun, wenn sie von extremen Gewalttaten hören: Sie glauben zwar, das deutlich zu verurteilen, suchen aber gleichzeitig nach "Gründen" oder "Erklärungen". In meinen Augen ist das der Versuch, sich einreden zu wollen, einem selbst könne es nie passieren, zum Opfer einer solchen Gewalttat zu werden, weil man ja nicht die gleichen Fehler wie das Opfer macht. Solche Versuche gibt es auch bei anderen Themen, z.B. "normalen" Verbrechen. Dadurch wird automatisch dem Opfer eine Mitschuld zugeschoben und der Täter entlastet bzw. die Tat relativiert. Den Schaden hat dann natürlich nur das Opfer. Der Täter dagegen freut sich über das Verständnis und sieht überhaupt keine Veranlassung, von weiteren Taten Abstand zu nehmen. Warum auch? Er war ja nur wütend, frustriert, fühlte sich ungerecht behandelt, wollte Vergeltung etc. Komischerweise werden solche Gefühle immer nur dem Täter (als Erklärung) zugestanden.
Meiner Meinung nach ist dieses überbordende Verständnis, ob nun beim tätlichen Mobbing in der Grundschule, bei einem Verbrechen oder bei einem Terrorakt, eines der Hauptprobleme.
Helion schrieb:Warum reagieren viele auf der anderen Seite – auch hier im Forum – genauso verbissen, pauschalisierend und stur? Diese Haltung findet man nicht nur auf einer Seite, sie zieht sich durch viele Gruppen, einschließlich radikaler Siedler. Vielleicht wäre ein erster Schritt, nicht mit derselben Sturheit zu antworten, die man bei anderen kritisiert.
Ich weiß nicht, ob du auch mich mit den Leuten hier im Forum meinst. Ich weiß auch nicht, wie die Siedler denken. Deren Ausschreitungen verurteile ich auch; im Gaza sind die aber überhaupt nicht möglich, weil es dort gar keine jüdischen Siedler gibt.
Aber ich kann mir gut vorstellen, was es heißt, in ständiger Angst zu leben, dass der Nachbar heute Lust hat, einen zu quälen und leiden zu lassen. Wenn diese Gefahr real ist und ganze, völlig normale Familien in ihrem Zuhause betrifft, die auf grausamste Weise vom Baby bis zur Oma abgeschlachtet wurden, und wenn die einzige Tatsache, die verhindert hat, dass man selbst zu den Opfern gehört, darin besteht, dass man zufällig nicht vor Ort war, ist der Gedanke, dass man dauernd in Verteidigungsbereitschaft sein muss, damit so etwas nie wieder geschehen kann, vermutlich ungeheuer groß. Das ist dann eine generelle Traumatisierung einer größeren Menschenmenge.
Ich gehe davon aus, dass weder User aus diesem Forum noch die ganzen (Israel verurteilenden und) moralisierenden Politiker, Pro-Palästina-Aktivisten und andere Prominente sich das auch nur annähernd vorstellen können.