rhapsody3004 schrieb:Richtig widerwärtig fand und finde ich übrigens auch das mit zweierlei Maß zu messen bei Solidaritätsbekundungen gegenüber Opfern und Opferfamilien. Es ist sooo offensichtlich, leider, dass nicht die Opfer und deren Familien eine Rolle spielen, sondern die jeweiligen Täter oder mutmaßlichen Täter. Davon, also von den Tätern und mutmaßlichen Tätern, machen viele, meinem Eindruck nach, ihre Solidarität, ihre Anteilnahme und je nachdem auch sogar aktive Trauermärsche von abhängig.
diese Art der Doppelmoral allerdings, das muss man doch ehrlich sagen, wohnt uns allen innen!
Sie ist sozusagen menschlich: wir Menschen wissen, bewusst wie unterbewusst, dass jeder einmal sterben muss, dass der Tod logisch zum Leben dazugehört. Der Tod eines Menschen, insbesondere eines uns zuvor unbkannten Menschen, trifft uns daher grundsätzlich nicht so sehr. Wenn wir aber das Gefühl haben, dass der Tod auch uns und eine Person, die uns nahesteht und wichtig ist, hätte ebenso treffen können, so empfinden wir stärker. Aber auch das können wir noch akzeptieren als etwas, was Teil des Lebens ist.
Aber wenn wir nun der Auffassung sind, dass ein frühzeitiger Tod leicht hätte verhindert werden können, mit "einfachen Mitteln", dann geraten wir in Aufregung und empfinden Mitleid mit Opfer und Opferangehörigen und Wut auf die, die die aus unserer Sicht "einfachen Mittel" nicht genutzt haben, um dies zu verhindern und verlangen, dass zwecks Vermeidung einer Wiederholung diese "einfachen Mittel" nun ergriffen werden.
Das Problem ist nur, dass jeder "einfache Mittel" anders definiert.
Wenn ein Flüchtling in Deutschland eine Straftat begeht, gar einen Terroranschlag begeht, sagt der AfD Wähler, das wäre mit "einfachen Mitteln" zu verhindern gewesen, indem einfach keine Flüchtlinge nach Deutschland eingelassen werden und die, die schon da sind, abgeschoben werden. Folgen dieses Gedankens, dass das einfach zu verhindern gewesen wäre, siehe oben.
Andere hingegen sagen, dass solche Massnahmen eben keine "einfachen Mittel" sind, sondern unsere offene Gesellschaft zerstören und humanitäre Härten schaffen würden, viel mehr Schaden anrichten würden.
Aber solche Gedankengänge sind nicht allein AfD-Anhängern und -Gegnern vorbehalten:
Jedes Jahr sterben tausende Menschen im Straßenverkehr. Es gibt nicht wenige, die sagen, dass mit "einfachen Mitteln" das zu vermeiden wäre, zB. mit Tempo 30 in Städten überall, Tempo 100 auf der Autobahn, regelmäßigen medizinischen Tests von Führerscheininhabern, mehr Verkehrsüberwachung und höheren Strafen bei Übertretungen (insbesondere schnellere Anwendung der Mittel Fahrverbot und Führerscheinentzug), Verbot von übermotorisierten, tonnenschweren Stadtpanzern (SUVs) usw.
Andere hingegen empfinden jegliche Einschränkung als Angriff auf ihre persönlichen Freiheiten ("Freie Fahrt für freie Bürger") und die Verkehrstoten akzeptieren sie als unabänderlichen Preis der Mobilität.
Wenn dann ein Unfall geschieht, wird der eine Konsequenzen wie zB. Verkehrsberuhigung fordern, der andere hingegen das bedauerlich finden, aber als Teil des Lebens akzeptieren.
Besonders interessant war diese Doppelmoral während Corona zu beobachten:
Da gab es einerseits die, für die jeder mit Corona Verstorbene eine Katastrophe war, egal wie alt und durch wie schlimme Vorerkrankungen bereits vor Corona geschwächt, und die aus ihrer Sicht "einfache Mittel" wie genereller Lockdown, Ausgangssperren, Corona-Lager und Zero-Covid wie in China forderten. Und andererseits die, die sogar die Existenz von Corona anzweifelten, jedenfalls jedoch jegliche noch so einfache Massnahme ablehnten.
Interessanterweise drehte sich das dann bei der Impfung komplett um: da gab es einerseits die, die jede noch so kleine Unpässlichkeit in den Monaten nach der Impfung als schweren Impfschaden durch die "Gen-Spritze" klassifizierten und als "einfache Massnahme" das Ende des Impfens verlangten, und auf der anderen Seite die, die bis heute glauben, die Impfung sei vollständig nebenwirkungsfrei und Menschen mit tatsächlichen Impfschäden implizit als Simulanten oder gar explizit als Covidioten beschimpfen.
Ein anderes interessantes Beispiel ist das Tōhoku-Erdbeben 2011. Den meisten wahrscheinlich nicht mal unter diesem Namen geläufig. Durch dieses Erdbeben und die davon ausgelöste Flutwelle starben rund 22.500 Menschen! Eine halbe Million Menschen wurden obdachlos. Diese humanitäre Katastrophe verblasste jedoch vollständig, diese Opfer fanden zumindest in Deutschland nur wenig Mitleid. Durch Erdbeben und Flutwelle jedoch wurde auch das AKW Fukushima beschädigt und zwei Mitarbeiter starben (nicht durch Strahlung, sondern durch das Erdbeben) und etwa 100 Mitarbeiter erhielten eine Strahlendosis über den zulässigen Grenzwerten. Diese Opfer fanden soviel Resonanz, dass in Deutschland infolgedessen sogar als "einfaches Mittel" die Energiepolitik geändert wurde ("Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg"), wovon wir nun einige Folgen jetzt im Ukraine Krieg ausbaden dürfen...
Kurzum: ich galube, niemand kann sich davon freisprechen, Opfer je nach eigenen Ansichten unterschiedlich zu "bewerten".