was ich im Fall von Weidel (aber ebenso bei anderen Politikern, die nach §188 klagen) besonders verwerflich finde, ist, dass Anwaltsfirmen die Beleidigungen raussuchen und die Klagen führen, statt die Betroffenen selbst.
rhapsody3004 schrieb:Na ja, da weiß die Weidel wenigstens mal, wie es sich anfühlt. CDUler, Linke, SPDler und vor allem auch Grüne können davon schon lange ein trauriges Lied singen. Also was Opfer von Beleidigungen mit als auch ohne in Tateinheit mit Bedrohungen angeht geworden zu sein.
ich denke, es gäbe da einen wunderbaren Weg, die Rechte von Opfern zu sichern, aber zugleich unsinnige Anzeigen zu verhindern: bei Beleidigungsfällen, egal ob Politiker oder "Normalbürger" betroffen sind, sollte eine Art "in persona" Pflicht gelten. Dh. der Geschädigte müsste verpflichtet werden, die Anzeige höchstpersönlich vor Ort im Sekretariat des Gerichts am Gerichtsort des Beklagten einzudiktieren, einen Gütetermin persönlich wahrzunehmen und bei einer Verhandlung ggf. höchstpersönlich zu erscheinen. Das Opfer sollte natürlich das Recht haben, sich einen Anwalt zwecks Beratung zu nehmen, dieser sollte aber nicht vertretungsweise auftreten dürfen und dessen Kosten sollten immer vom Kläger zu tragen sein, auch wenn dieser gewinnt.
Wahre Beleidigungsopfer würden damit weiterhin vollumpfänglich geschützt, wer wirklich durch eine Beleidigung schwer getroffen wurde und Genugtuung sucht, hat sicher kein Problem damit, dies vor Gericht persönlich vorzutragen.
Zugleich aber wären Beleidigungsanzeigen als Geschäftsmodell von Anwaltsfirmen damit tot! Es wäre damit ja kein Geld für Anwälte mehr zu verdienen.
Und zugleich wären Beleidigte auch gezwungen, sich selbst zu prüfen, ob die Beleidigung sie so schwer getroffen hat, dass sie deshalb einen entsprechenden Aufwand treiben wollen. Ein Politiker, der 1900 Anzeigen im Jahr stellt, müsste sich dann fragen, welche dieser Beleidigungen wirklich so schwer getroffen haben und ob es lohnt, täglich fünf Gerichte aufzusuchen, um Anzeigen zu diktieren und entsprechend auch noch in fünf Verhandlungen am Tag Klage zu führen... Zur Arbeit käme ein solcher Politiker dann jedenfalls nicht mehr. Müsste also sinnvollerweise auswählen, gegen welche dieser Beleidigungen es wirklich notwendig ist vorzugehen!
In dem Kontext fiel mir noch eine schöne Geschichte von Hans Fallada ein: der beschreibt in einem seiner Bücher, ich glaube in einer Kurzgeschichte, einen Landrichter, der eine besondere Form des Umgangs mit Nachbarschaftsstreitigkeiten und Beleidigungsanzeigen pflegte: er lud die Parteien zu einem Gütetermin in sein Amtszimmer ein. In seinem Amtszimmer befand sich einer dieser alten gemauerten Steinöfen mit integrierter Sitzbank. Er wies dann den Gerichtsdiener an, egal wie das Wetter war, auch im Hochsommer, kräftig zu heizen, es sei ihm kalt. Er liess die Parteien auf der Sitzbank vom Ofen Platz nehmen und fragte, ob sie zu einer gütlichen Einigung bereit seien. Wenn sie das ablehnten, sagte er, er habe noch anderes zu tun, Akten zu studieren, die Parteien sollten doch warten. Wenn einer aufstehen wollte, fuhr er ihn an, die Würde des Gerichts zu achten und ruhig sitzen zu bleiben, sonst müsse er gegen diese Partei entscheiden. Nach einer gewissen Zeit fragte er nach, ob die Parteien nun zu einer Einigung bereit seien. Wenn die weiter ablehnten, liess er den Gerichtsdiener nochmal Holz nachlegen, es sei ihm noch immer kalt. Irgendwann dann waren die Parteien dann ausreichend "durchgekocht" (oder "weichgekocht"), um sich zu einigen...
Nicht nur, dass er deshalb in solchen Sachen kaum noch Urteile fällen musste, nachdem sich das erstmal rumgesprochen hatte, ging auch die Zahl von Beleidigungsanzeigen u.ä. signifikant zurück...