rabunsel schrieb:Die obersten Gerichte sind nicht dazu da um zwischen unterschiedlichen Meinungen zu schlichten, wenn wir bei deinem Bild bleiben wollen, wären eben die neutralen Richter dazu da um zwischen den unterschiedlichen Meinungen zu schlichten. Erst wenn dabei Fehler passieren, oder wenn ein Grund für die Besorgnis der Befangenheit vorliegt, muss, wie hier, der BGH eingreifen.
Na ja, das ist nicht ganz richtig. Die Rolle des BGH ist durchaus zwischen zwei Meinungen, von kompetenten Juristen geäussert, am Ende zu schlichten bzw. eine eben als in Zukunft massgeblich zu bezeichnen.
Hier wurde das ja offensichtlich: Die Verteidiger, kompetente Juristen, waren der Meinung, dass hier die Befürchtung der Befangenheit vorliegt. Ebenfalls kompetente Juristen der Kammer, welche den Befangenheitsantrag ablehnten, waren nicht der Meinung. Es blieben die beiden gegensätzlichen Meinungen bestehen, und hier musste und durfte der BGH nun eben entscheiden. Es war eben nicht so, dass hier von vorn herein feststand, dass die Kammer einen "Fehler" gemacht hatte. Erst seit dem Beschluss des BGH steht jetzt fest, dass die Kammer anders hätte entscheiden sollen.
Es ist eben nicht so, dass es sich bei der grossen Mehrzahl aller Streitfragen vor dem BGH um auch den Laien klar ersichtliche "Fehler" handelt, sondern eben um oben beschrttiebene Streitfragen. Das ist das Wesen der Jurisprudenz. In meinem Studium hatte ich einen sehr guten Professor, der von uns Studenten im 1. Semester etwas Unerwartetes verlangte: Er sagte: argumentieren sie jetzt mal schlüssig, dass es sich bei dem vorgelegten Szenario nicht um einen rechtsgültigen Vertrag handelt. Und wir fanden, hey, easy, und argumentierten drauf los. Und dann die Überraschung: Er sagte, fein, und jetzt argumentieren Sie bitte einmal, dass es sich durchaus um einen rechtsgültigen Vertrag handelt. Wir waren überrascht, aber mit etwas Nachdenken gelang uns auch das. Und wir hatten eine wertvolle Lektion gelernt: in sehr vielen wenn nicht den meisten Fällen in der Praxis kann man durchaus als kompetenter Jurist zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Am Ende muss man dann bewerten, welche Position die "richtigere" ist. Und dazu schaut man sich herrschende Meinung, Lehre, usw. an, also die Positionen, welche in der Vergangenheit von kompetenten Juristen vertreten wurden. Und dann muss man sich der obersten Rechtsprechung beugen. Es gibt zum Beispiel durchaus viele Juristen, die akademisch tätig sind, also in der Regel als Professoren an juristischen Fakultäten, die absolut nicht einverstanden damit sind, wie Richter an BGH oder BVerfG in einer Sache entschieden haben.
Jurisprudenz ist keine Naturwissenschaft: Da ist klar, dass 1+ 1 immer zwei sein sollte. Der Jurist aber sagt, salopp gesagt, wir müssen erst einmal klären, was überhaupt 1 ist bevor wir so eine gewagte Aussage treffen, dass zweimal eins immer zwei ist. Usw.
Genau dafür verdienen Richter am BGH ihre Besoldung.