seele
04.07.2003 um 10:36Innere Verletztheit
Fachleute sprechen von Automutilation: ein selbst verletzendes Verhalten, durch das Betroffene Erleichterung von ihren inneren Anspannungen erzielen wollen. Psychologe Norbert Hänsli, der ein Buch zum Thema Selbstverletzungen geschrieben hat und bei der Jugendseelsorge in Zürich arbeitet, sieht im selbst verletzenden Verhalten eine «innere Verletztheit, die sich äusserlich zeigt». Um sich von überwältigender innerer Spannung und Angst zu befreien und dem quälenden Gefühl der Leere und Empfindungslosigkeit zu entrinnen, fügen Jugendliche sich selbst Verletzungen zu. «Sich selbst zu verletzen, ist jedoch ein untaugliches Mittel, denn es schafft nur scheinbare und kurzfristige Erleichterung, die seelische Not bleibt weiterhin bestehen», meint er.
Häufig wird von aussen Stehenden das selbst verletzende Verhalten als Wunsch, sich zu töten, interpretiert. Jedoch genau das Gegenteil trifft zu: «Auf keinen Fall will ich mich umbringen; vielmehr versuche ich, mich wieder lebendig zu fühlen!» erzählt Noemi leicht aufgeregt. Die Handlung der Selbstverletzung hilft, sich der eigenen Lebendigkeit zu vergewissern.
Nachahmungseffekt
Im Oberstufenschulhaus Mettmenriet in Bülach, das 400 Jugendliche besuchen, sieht man sich auch mit Selbstverletzungen konfrontiert. «Wir haben ab und zu Fälle von sich selbst verletzenden Jugendlichen», meint Peter Gerber, Lehrer und Leiter des Schulhauses. Die Lehrerschaft ist über die Thematik sensibilisiert und kennt die entsprechenden Fachstellen. Was Gerber befürchtet, ist der Nachahmungseffekt: «Wir thematisieren die Problematik bewusst nicht in der Klasse, weil uns die Gefahr der Nachahmung zu gross erscheint.»
Die Gefahr einer Nachahmung bei einer Thematisierung bestehe tatsächlich, meint auch Hänsli. «Doch die derzeit laufende gesellschaftliche Diskussion kann durchaus aufklärend wirken und helfen, dass betroffene Jugendliche ermutigt werden, aus der Isolation herauszutreten und kompetente ärztliche und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.»
Differenzierte Betrachtung
Wichtig scheint ihm eine differenzierte Betrachtung dieses Phänomens: «Hintergründe, Motive, Art und Schweregrad der Verletzung sind individuell und können stark variieren.»
Meist gibt die genauere Betrachtung einer Lebensgeschichte Aufschluss über mögliche Ursachen. So konnte Hänsli vermehrt feststellen, dass Betroffene in ihrer Kindheit prägende und schmerzhafte Trennungserfahrungen erlebten. Auch erlebten Betroffene in einem höheren Mass physische Gewalt, sexuelle Ausbeutung oder Alkoholismus in der Familie. Daraus zu schliessen, dass nur Menschen mit solch traumatischen Erlebnissen sich selbst verletzen, wäre laut Hänsli jedoch zu einfach: «Auch eine ständige subtile Entwertung durch die soziale Umgebung kann zu selbst verletzendem Verhalten führen.» Häufig sind Betroffene verletzt und reagieren stark auf Verlusterlebnisse. Sie reagieren verletzlicher als andere. Betroffene können oft ihre Gefühle schlecht wahrnehmen und verbalisieren. Selbstverletzungen sind demnach ein ins Fleisch geschnittener Hilfeschrei.
Doch auch gesellschaftliche Faktoren wollen Fachleute mitunter verantwortlich für selbst verletzendes Handeln machen. Die zunehmende Zersplitterung und Individualisierung der Gesellschaft und die vorherrschende Gefühlskälte unterstützen die Handlung der Selbstverletzung. «Gefühle werden in unserer Gesellschaft immer weniger artikuliert. So ist vertrauen und einfühlen können ein Prozess, der Zeit braucht und sich entwickeln muss. Doch in unserer schnellen und lauten Zeit haben die feinen und zeitaufwändigen Entwicklungen immer weniger Raum», so Psychologe Hänsli.
Empfänglich für Notsignale
Jugendliche und junge Menschen, die sich selbst Gewalt zufügen, tun dies meist in Einsamkeit und im Stillen. Ihre Handlung muss trotzdem als Hilferuf interpretiert werden, der häufig nur sehr schwer wahrgenommen werden kann. Was also tun, wenn man in seinem Umfeld eine Person kennt, die sich selbst verletzt? Hänsli rät, dass eine nahe stehende Person, die zur betroffenen eine konfliktfreie Beziehung pflegt, sie behutsam anspricht und ermutigt, Fachhilfe anzunehmen.
*..ich denke, aber bin ich?..*
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Fachleute sprechen von Automutilation: ein selbst verletzendes Verhalten, durch das Betroffene Erleichterung von ihren inneren Anspannungen erzielen wollen. Psychologe Norbert Hänsli, der ein Buch zum Thema Selbstverletzungen geschrieben hat und bei der Jugendseelsorge in Zürich arbeitet, sieht im selbst verletzenden Verhalten eine «innere Verletztheit, die sich äusserlich zeigt». Um sich von überwältigender innerer Spannung und Angst zu befreien und dem quälenden Gefühl der Leere und Empfindungslosigkeit zu entrinnen, fügen Jugendliche sich selbst Verletzungen zu. «Sich selbst zu verletzen, ist jedoch ein untaugliches Mittel, denn es schafft nur scheinbare und kurzfristige Erleichterung, die seelische Not bleibt weiterhin bestehen», meint er.
Häufig wird von aussen Stehenden das selbst verletzende Verhalten als Wunsch, sich zu töten, interpretiert. Jedoch genau das Gegenteil trifft zu: «Auf keinen Fall will ich mich umbringen; vielmehr versuche ich, mich wieder lebendig zu fühlen!» erzählt Noemi leicht aufgeregt. Die Handlung der Selbstverletzung hilft, sich der eigenen Lebendigkeit zu vergewissern.
Nachahmungseffekt
Im Oberstufenschulhaus Mettmenriet in Bülach, das 400 Jugendliche besuchen, sieht man sich auch mit Selbstverletzungen konfrontiert. «Wir haben ab und zu Fälle von sich selbst verletzenden Jugendlichen», meint Peter Gerber, Lehrer und Leiter des Schulhauses. Die Lehrerschaft ist über die Thematik sensibilisiert und kennt die entsprechenden Fachstellen. Was Gerber befürchtet, ist der Nachahmungseffekt: «Wir thematisieren die Problematik bewusst nicht in der Klasse, weil uns die Gefahr der Nachahmung zu gross erscheint.»
Die Gefahr einer Nachahmung bei einer Thematisierung bestehe tatsächlich, meint auch Hänsli. «Doch die derzeit laufende gesellschaftliche Diskussion kann durchaus aufklärend wirken und helfen, dass betroffene Jugendliche ermutigt werden, aus der Isolation herauszutreten und kompetente ärztliche und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.»
Differenzierte Betrachtung
Wichtig scheint ihm eine differenzierte Betrachtung dieses Phänomens: «Hintergründe, Motive, Art und Schweregrad der Verletzung sind individuell und können stark variieren.»
Meist gibt die genauere Betrachtung einer Lebensgeschichte Aufschluss über mögliche Ursachen. So konnte Hänsli vermehrt feststellen, dass Betroffene in ihrer Kindheit prägende und schmerzhafte Trennungserfahrungen erlebten. Auch erlebten Betroffene in einem höheren Mass physische Gewalt, sexuelle Ausbeutung oder Alkoholismus in der Familie. Daraus zu schliessen, dass nur Menschen mit solch traumatischen Erlebnissen sich selbst verletzen, wäre laut Hänsli jedoch zu einfach: «Auch eine ständige subtile Entwertung durch die soziale Umgebung kann zu selbst verletzendem Verhalten führen.» Häufig sind Betroffene verletzt und reagieren stark auf Verlusterlebnisse. Sie reagieren verletzlicher als andere. Betroffene können oft ihre Gefühle schlecht wahrnehmen und verbalisieren. Selbstverletzungen sind demnach ein ins Fleisch geschnittener Hilfeschrei.
Doch auch gesellschaftliche Faktoren wollen Fachleute mitunter verantwortlich für selbst verletzendes Handeln machen. Die zunehmende Zersplitterung und Individualisierung der Gesellschaft und die vorherrschende Gefühlskälte unterstützen die Handlung der Selbstverletzung. «Gefühle werden in unserer Gesellschaft immer weniger artikuliert. So ist vertrauen und einfühlen können ein Prozess, der Zeit braucht und sich entwickeln muss. Doch in unserer schnellen und lauten Zeit haben die feinen und zeitaufwändigen Entwicklungen immer weniger Raum», so Psychologe Hänsli.
Empfänglich für Notsignale
Jugendliche und junge Menschen, die sich selbst Gewalt zufügen, tun dies meist in Einsamkeit und im Stillen. Ihre Handlung muss trotzdem als Hilferuf interpretiert werden, der häufig nur sehr schwer wahrgenommen werden kann. Was also tun, wenn man in seinem Umfeld eine Person kennt, die sich selbst verletzt? Hänsli rät, dass eine nahe stehende Person, die zur betroffenen eine konfliktfreie Beziehung pflegt, sie behutsam anspricht und ermutigt, Fachhilfe anzunehmen.
*..ich denke, aber bin ich?..*