@Rick_Blaine@OriginesMan sollte eines nicht, schwere Rechtsfehler verharmlosen.
Es gab die Korrespondenz zwischen StA und Aßbichler. Ich glaube nicht, dass allein aus diesem Grund der BGH das Verfahren aufgehoben hätte. Dem BGH ist die Stellungnahme der Richterin an die erste Jugendkammer besonders ins Auge gestochen. Der BGH schrieb:
Die Bedenken gegen die einseitige Erörterung des Inbegriffs der Hauptverhandlung und damit gegen die gebotene Neutralität hat die Vorsitzende am 19. Februar 2024 vertieft, indem sie
ausgeführt hat, weitere Rechtsgespräche mit der Verteidigung seien hinfällig gewesen, weil diese ohnehin auf Freispruch auf der Grundlage eines angenommenen Unfallgeschehens beharren würde. Anfragen zu rechtlichen Hinweisen seien damit in diese Richtung „obsolet“ gewesen.
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=141309&anz=1164&pos=0@Rick_Blaine hatte in folgendem Beitrag klargestellt, welche Funktion ein richterlicher Hinweis hat:
Rick_Blaine schrieb am 17.09.2025:Bei der ganzen Diskussion hier wird aber die Rolle des "rechtlichen Hinweises" zu wenig beachtet. Der BGH hat festgestellt, dass dieser das wichtigste Element der umfassenden Aufklärungspficht ist.
Sinn und Zweck des § 265 StPO ist es - namentlich vor dem Hintergrund der Gewährleistung eines fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs -, den Angeklagten vor Überraschungen zu bewahren. Ihm soll Gelegenheit gegeben werden, sich hinreichend verteidigen zu können. Dieser Zweck wird am zuverlässigsten dadurch erreicht, dass der Angeklagte auf jede in Betracht kommende Rechtsfolge ausdrücklich hingewiesen wird, sei es in der Anklageschrift, im Eröffnungsbeschluss oder in der Hauptverhandlung. Der aus Fairnessgründen gebotene Schutz des Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen erfordert keine restriktive Auslegung des § 265 StPO, sondern eine umfassende Hinweispflicht.
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Diese Stellungnahme der Richterin läuft dieser Anforderung zuwider. Nur weil sich die Verteidigung auf ein anderes Geschehen fokussiert hat, befreit das ein Gericht nicht von der Aufklärungspflicht. Die Richterin nimmt sich jedoch das Unrecht heraus, in diesem Fall auf ausreichende Hinweise zu verzichten. Sie macht also komplett das Gegenteil von dem, was der BGH vorschreibt. Umso schwerer wiegt dieser Fehler, wenn ein Gericht weiß, dass sich die Verteidigung aus ihrer Sicht verrannt haben soll.
Ich denke, wenn das Gericht wirklich ausreichende Hinweise gegeben hätte (nicht nur die, welche in der Mail auftauchen), dann hätte die Verteidigung schon im ersten Verfahren auf einem Glaubwürdigkeitsgutachten des JVA-Zeugen bestanden.
@Rick_Blaine glaubt sogar, dass die jetzige Jugendkammer diesen Antrag nur vorweg genommen haben könnte, weil sie angenommen haben könnte, dass die Verteidigung einen solchen Antrag stellen würde:
Rick_Blaine schrieb am 30.05.2025:Solche Überlegungen können auch hier eine Rolle spielen: das Gericht wird wohl davon ausgehen können, dass die Verteidigung ein solches Gutachten beantragen wird. Und wenn tatsächlich bereits gewisse Auffälligkeiten bei diesem Zeugen festgestellt wurden, oder auch wenn man nur die besondere Situation als inhaftiertem Zeugen mit einem mglw zumindest aus eigener Sicht erwarteten Vorteil einer für die Anklage positiven Aussage bedenkt, kann man es als wahrscheinlich ansehen, dass das Gericht einem solchen Antrag der Verteidigung zustimmen wird. Dann ist es ökonomisch, das vor Beginn der HV zu tun.
Ich denke, bei richtigen Hinweisen an den Angeklagten hätte schon im ersten Gerichtsverfahren die Verteidigung einen entsprechenden Antrag erstellt. Ich gehe davon aus, dass das Gutachten damals dann ähnlich ausgefallen wäre.
Es gibt auch im Recht Dinge, wo man durchaus behaupten kann, dass ein Gericht versagt hat. Gerade solche schweren Rechtsfehler, die eigentlich nicht sein dürfen, gehören dazu. Und natürlich können auch Ermittler versagen, wenn sie nicht ausreichend der Sache auf den Grund gehen. Das gleich gilt für die StA. Auch im Berufsalltag versagt man ab und zu und ist einer Aufgabe nicht gewachsen. Meist wird das schnell gemerkt und man bekommt Unterstützung von Kollegen. Im schlimmsten Fall erfolgt dann die Kündigung.
Warum soll es Tabu sein zu sagen, dass die Ermittler/StA/Gericht auch versagt haben können. Es gehört in meinen Augen sogar zur Transparenz. Wenn es zwei unterschiedliche Urteile gibt, die diametral auseinander liegen, dann würde ich gerne Wissen warum. War es nur ein Grenzfall oder steckt doch wesentliche aber in Wirklichkeit vermeidbarer Fehler dahinter. Öffentliche Verfahren sind wichtig und wenn man jegliche Kritik mit dem Hinweis auf die freie Beweiswürdigung versucht zu unterbinden, dann hat man nicht verstanden, wozu Verfahren öffentlich sind.
Vorliegend war es ein schwerer aber vermeidbarer Rechtsfehler, der vielleicht 1 1/4 Jahre zusätzliche Haft vermieden hätte.
Ich glaube, wir sollten hier wieder nach vorne schauen und den Thread nicht mit solchen Grundsatzdiskussionen versauen. Die neue Kammer hat auf Grund dieses Gutachtens (und vielleicht auch noch wegen weiteren Dingen) des dringenden Tatverdacht nicht mehr gesehen. Ein sogenannter „Grenzfalls“ ist es wohl gar nicht. Überzeugt hatte mich jedenfalls die Beweiswürdigung des JVA-Zeuge durch die vorherige Kammer nicht im Ansatz. Das Ergebnis des Gutachtens war für mich keine Überraschung.
Ich jedenfalls bin gespannt auf die nächsten Tage, die den JVA-Zeugen näher beleuchten werden und warte gespannt auf die Berichte von @Fassbinder1925.