duval schrieb:Insgesamt wurden rund 1.800 Hinweise und Spuren erfasst. Etwa 8.900 Personen wurden überprüft. Bisher keine heiße Spur.
Und wenn es Hinweise oder Spuren Richtung Haus Fabian gab wurde denen sicher nachgegangen.
Michael Straten und sein Schicksal ist und bleibt vielen Koblenzer präsent.
----------
"
½ mal lebenslänglich späterDuplizität der Ereignisse: Im März 2018 bewohnte ich das gleiche Zimmer des Hotels in einer Kurstadt im Nordschwarzwald wie heute. Wie damals war ich an der Reihe, einen Text für die Facebook-Präsenz der Brückenschreiber Koblenz zu erstellen.
Abends schockte mich beim Blick ins Internet die Nachricht vom bestialischen Mord an Michael Straten auf dem Koblenzer Hauptfriedhof. Eine halbe lebenslange Haftstrafe später ist der Mord noch immer unaufgeklärt, hat sich dankenswerter Weise ein Journalist der Süddeutschen Zeitung noch einmal des Falls angenommen, Im Gespräch mit ihm hatte ich den Eindruck, dass wohl nur noch Kommissar Zufall helfen kann, den/die Mörder zu finden, da nach so langer Zeit kaum neue Fakten zu erwarten sind.
Statt einer eigentlich geplanten Kurzgeschichte hier noch einmal der Nachruf für Michael, der damals eine große Resonanz nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch in der Presse.
Damals wie heute gilt in erster Linie eines: Michael Straten war in erster Linie nicht Obdachloser oder Ermordeter, sondern ein Mensch.Die Würde bleibt!
Wir hatten den gleichen Vornamen. Gleiche Generation, häufiger Name. Und wir kannten uns. Seit etwa zwanzig Jahren. Dann, vor ein paar Tagen, erreichte mich die Nachricht, was mit dir geschehen ist.
Du warst ein ruhiger Mensch. Angenehm, wenn auch nicht immer einfach zu nehmen. Auf deine Weise immer besonders.
Freitags kamen zur meist gleichen Zeit die meist gleichen Leute in den Bioladen, so, als seien sie verabredet. Es war einer von der Sorte, wie sich der heutige Bio-Supermarkt-Käufer einen altmodischen Bioladen vorstellt. Ikea-Regale, Getreidesäcke, Obst und Gemüse, Bio-Brot und schwarzes Brett. Und einem verschrobenen Inhaber, der bekannte, mit seinem Laden die Welt retten zu wollen und mit seinen Erziehungsversuchen allen auf den Wecker ging.
Nein, du warst kein unangenehmer Zeitgenosse, hast wenig von dir mitgeteilt, andere aber auch nicht ausgefragt. Ein Einzelgänger in gutem Sinne. Wenn wir kamen, warst du meist schon da. Du trankst deinen Kaffee und wir unterhielten uns. So wie es an jenen Nachmittagen in solchen Läden noch gute Kultur war. Statt eines Kaffees konnte es für dich auch mal ein Glas kaltgepresstes Olivenöl sein, weil du glaubtest, dass es gut für dich sei.
Damals hattet ihr gerade euer Geschäft geschlossen, Rahmen, Poster und Bilder ließen sich in der Koblenzer Altstadt nicht gut genug verkaufen. Wohl zeitgleich die Trennung von deiner Freundin, viel auf einmal für dich. Wir merkten, dass es dich aus der Bahn geworfen hatte. Schulden waren auch übriggeblieben und ein neuer Job nicht in Sicht. Du warst ein Individualist, das hast du auch selbst betont und es mag sein, dass es gekränkter Stolz war, der dir im Weg stand.
Es war dir wichtig, dir deine Würde zu bewahren, auch in den letzten Jahren. In einer Lebenssituation, die für die meisten Menschen schon „unten“ bedeutete, behieltest du deine Selbstachtung, schafftest es offensichtlich, auch beim Platte machen weiterhin in Würde zu leben. Ein morgendlicher Kaffee beim Kaffee-Sommelier. Gepflegte Erscheinung, soweit es deine Lebensumstände zuließen, rudimentäre soziale Kontakte, niemand sollte dich als „Penner“ verunglimpfen. Du bliebst in deiner und in unserer Welt, auch wenn der Spagat für dich groß gewesen sein muss. Ich hatte geglaubt, du hättest die Kurve gekriegt, dich lange nicht mehr gesehen bis zu dem Tag, als dein Bild durch die Medien ging. Jetzt gibt es eine Belohnung von zehntausend Euro, um deinen Mörder zu finden, das ist gut. Das Geld hätte vorher dein Leben vielleicht in bessere Bahnen lenken können.
Schlimmes ist dir widerfahren, ‚schlimm‘ ist in dem Zusammenhang fast eine obszöne Verharmlosung. Unfassbar, dass gerade jemandem wie dir so etwas geschehen konnte. „Leben und leben lassen“ könnte dein Lebensmotto gewesen sein, aber das kann ich nur vermuten.
Heute finde ich es schwer erträglich, überhaupt in einer Welt zu leben, in der irgendeinem Menschen derartig Grausames angetan wird. Auch nach dutzenden gedanklichen Annäherungen kann ich mir kein Szenario ausdenken, was zum Verbrechen an dir geführt haben kann. Und jetzt höre ich auf, mir überlegen zu wollen, was ein Grund dafür sein mag. Denn es kann keinen geben. Außer im Hirn eines kranken Mörders.
Als Geste meiner Achtung verneige ich mich in Gedanken vor dir. Deine Würde hat dir in meinen Augen keine noch so bestialische Form des Verbrechens nehmen können.
Deine Würde ist dir geblieben, Michael."
-----------
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Autorengruppe.
(Text © Michael Eisenkopf)
Michael Eisenkopf ist Mitglied der Autorengruppe „Brückenschreiber Koblenz“
www.brueckenschreiber-koblenz.de